Eine progressive Antwort auf Privatisierung, Abbau des öffentlichen Gesundheitssystems und Ungleichheiten
Der vdää* hat sich seit 2013 in der Solidaritätsarbeit mit Griechenland engagiert (dokumentiert in der Sonderausgabe von Gesundheit braucht Politik). Die Weltwirtschaftskrise und die Austeritätspolitik der Troika zerstörten unter Federführung Deutschlands das ehemals öffentliche griechische Gesundheitssystem so nachhaltig, dass sich bis heute nichts wirklich verbessert hat. Im Gegenteil. Das zeigte eine gesundheitspolitische Konferenz auf Kreta, an der auch Nadja Rakowitz für den vdää* mitgewirkt hat. Wir veröffentlichen hier die von uns übersetzte gemeinsame Erklärung der Rosa Luxemburg Stiftung Griechenland und des Institute for Policy Alternatives (ENA), die die Konferenz organisiert haben:
Fazit der zweitägigen Konferenz zum Weltgesundheitstag
„Anlässlich des Weltgesundheitstages organisierten die Rosa-Luxemburg-Stiftung Griechenland und das Institute for Policy Alternatives (ENA) am 5. und 6. April in Heraklion, Kreta, eine Konferenz zum Thema „Public Health: für eine alternative Strategie – Die progressive Antwort auf Privatisierung, Abbau des öffentlichen Gesundheitssystems und Ungleichheiten“.
An der zweitägigen Veranstaltung referierten Akademiker*innen, Angehörige der Gesundheitsberufe, Expert*innen für Gesundheitspolitik, Gewerkschafter*innen des Gesundheitswesens aus Griechenland und dem Ausland, Patientenvertreter*innen, Parlamentsabgeordnete und Mitglieder linker politischer Parteien aus Griechenland und Zypern sowie der deutschen Partei Die Linke. Die Teilnehmer*innen waren Angestellte des nationalen Gesundheitssystems, Medizinstudierende sowie Bürger*innen, die sich in Patientenverbänden und Bewegungen für öffentliche Gesundheit engagieren.
Die grundlegende Erkenntnis aller Gesprächspartner*innen war, dass die neoliberale Strategie und die Privatisierungen in Griechenland, aber auch in den meisten europäischen Ländern, erwartungsgemäß zum Abbau der Strukturen des öffentlichen Gesundheitswesens geführt haben, ihr Personal in Bezug auf Arbeit und Gehälter erschöpft haben, was zu einer Welle von Kündigungen durch Ärzt*innen aus den Strukturen des öffentlichen Gesundheitswesens, vor allem in der Peripherie, geführt hat. Gleichzeitig hat das den Bürger*innen mit einer Explosion von privaten Direktzahlungen (Out of Pocket) und/oder privaten Krankenversicherungen eine unerträgliche finanzielle Belastung auferlegt. Dieser Politikmix, der sich immer weiter verstärkt, hat das Niveau der erbrachten Leistungen verschlechtert und gleichzeitig den ungedeckten Gesundheitsbedarf der Menschen und die gesundheitlichen Ungleichheiten vergrößert. Infolgedessen ist der schlechte Zustand des öffentlichen Gesundheitswesens ein weiterer wichtiger Faktor, der das Klima der Unsicherheit in der Gesellschaft und die Krise des Vertrauens in die demokratischen Institutionen und den Rechtsstaat verstärkt und ein günstiges Umfeld für den Aufstieg der extremen Rechten schafft.
Aktuell gibt es in Griechenland Tausende von „funktionell“ unversicherte Bürger*innen, die heute wieder einen Staus habe wie in der Zeit, bevor es das Nationale Gesundheitssystem ESY gab. Nach Angaben der OECD (2023) steht Griechenland an erster Stelle in Europa, was den ungedeckten Bedarf an medizinischer Versorgung aufgrund von Kosten betrifft (9,4 % der Bürger*innen, gegenüber 1 % in der EU), an erster Stelle, was die privaten Gesundheitsausgaben (Out of Pocket) in Prozent des BIP betrifft (40 %, gegenüber einem EU-Durchschnitt von 15 %), und an letzter Stelle in der Europäischen Union, was die öffentliche Finanzierung des Gesundheitssystems betrifft.
Insbesondere Kreta, wo die zweitägige Konferenz stattfand, ist eine Region, in der sich die Probleme des öffentlichen Gesundheitswesens rapide verschlechtern, in der es bei der Krankenhausversorgung große Unterschiede zwischen den Landesteilen gibt und in der es in letzter Zeit zu Massenmobilisierungen zur Verteidigung des öffentlichen Gesundheitssystems gekommen ist.
Die Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie haben gezeigt, dass nur öffentliche Gesundheitssysteme – und nicht der Markt – modernen Gesundheitsbedrohungen begegnen und den Bedarf der Menschen an zuverlässiger und kostenloser Versorgung gerecht und universell decken können. Nach der „Solidaritätspause“ mit gemeinsamer Beschaffung von SARS-CoV-2-Impfstoffen und -Medikamenten und der Finanzierung der Mitgliedstaaten durch den Konjunktur- und Resilienzfonds (RRF) ist Europa zu einer Politik der Haushaltszwänge, des mangelnden Zusammenhalts und der Sparmaßnahmen zurückgekehrt, bei der soziale Fragen keine Priorität haben.
Besonders besorgniserregend ist, dass die EU mit ReArm Europe und der zusätzlichen Erhöhung der Militärausgaben jedes Landes um 1,5 % des BIP offen zur „Kriegswirtschaft“ übergeht und damit wertvolle neue Ressourcen von den Gesundheitssystemen und der „Pflegewirtschaft“ abzieht. Besonders für Länder wie Griechenland, das bereits 3,23% seines BIP für Militärausgaben aufwendet, wird dies wirtschaftlich und sozial verheerend sein und jede Möglichkeit des Wiederaufbaus des öffentlichen Gesundheitswesens in der Zukunft zunichtemachen. Das Gleiche gilt für alle europäischen Staaten, in denen die Planung erhöhter Militärausgaben Kürzungen bei Renten, Sozialleistungen und der Gesundheitsversorgung eingeleitet hat, eine europäische Abrüstung des Sozialstaats und der Gesundheitssysteme.
Die europaweite Vernetzung von Gewerkschaften und Bewegungen, die eine Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsdienste und die Achtung der Rechte und der Würde sowohl der Beschäftigten im Gesundheitswesen als auch der Patient*innen fordern, muss oberste Priorität haben.
Angesichts dieser Situation ist es dringend notwendig, eine glaubwürdige alternative Strategie für die öffentliche Gesundheit auf nationaler und europäischer Ebene zu formulieren. Die sehr konstruktive Diskussion auf der zweitägigen Konferenz konzentrierte sich weitgehend auf diese Frage. Eine Strategie, die den programmatischen und politischen Neoliberalismus und die Privatisierung im Gesundheitswesen in Frage stellt, aber auch den kollektiven Widerstand gegen die Zerschlagung der öffentlichen Gesundheitsdienste und die Vernetzung von Gewerkschaften und Bewegungen zur Verteidigung des sozialen Rechts auf Gesundheitsversorgung und zur Beseitigung von Ausschlüssen und Ungleichheiten stärkt.
Die fortschrittliche Antwort auf die modernen gesundheitspolitischen Herausforderungen (steigende Lebenserwartung und Altenpflege, Nutzung der künstlichen Intelligenz, nachhaltige Finanzierung der Systeme, gerechter Zugang zu Innovationen, faire Preise für teure Arzneimittel usw.), sowie auf moderne Gesundheitsbedrohungen (neue Infektionsviren, Krebs, Autoimmunkrankheiten, psychische Erkrankungen, Berufskrankheiten, Klimakrise usw.) zu reagieren, ist die mutige Investition in widerstandsfähige und qualitativ hochwertige öffentliche Systeme der allgemeinen Gesundheitsversorgung in Griechenland und Europa.
Das strategische Ziel muss die Einrichtung des neuen NHS sein, als kollektives gesellschaftliches Bedürfnis und Forderung, die nicht im Rahmen einer gewerkschaftlichen Forderung erfüllt werden kann.
Auf europäischer Ebene sollte die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die öffentlichen Gesundheitssysteme auf einer stabilen Grundlage eine Priorität sein. In Griechenland ist es notwendig, die regelmäßige Finanzierung aus dem Staatshaushalt als Prozentsatz des BIP in Einklang mit dem europäischen Durchschnitt von 7,4 % zu bringen, öffentliche Ressourcen vom privaten auf den öffentlichen Sektor umzuverteilen und effiziente Mechanismen zur Regulierung und Kontrolle des privaten Gesundheitsmarktes zu schaffen.
Gleichzeitig sollten sich die öffentlichen Gesundheitssysteme auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten, indem sie neue Technologien integrieren und nutzen, um qualitativ hochwertige Gesundheitsdienste für alle bereitzustellen.
Die wichtigste Schlussfolgerung, die sich aus der zweitägigen Veranstaltung zum Weltgesundheitstag ergab, ist, dass das Hauptprojekt der fortschrittlichen politischen Kräfte und ihrer Zusammenarbeit in Griechenland und Europa die alternative Strategie für die öffentliche Gesundheit werden muss.“
(Übersetzt aus dem Griechischen)