vdää* kritisiert ärztliche Lobbyverbände in Debatte um Terminvergabe
In seltener Klarheit und Wahrheit macht in der Diskussion um die Terminvergabe in Arztpraxen der Vorsitzende des Spitzenverbands Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa), Dirk Heinrich, deutlich, was die existentielle Grundlage der ambulanten ärztlichen Versorgung in Deutschland ist: „Arztpraxen in Deutschland sind wirtschaftliche Unternehmungen. […] Die Vertragsarztpraxis gehört ihren jeweiligen Eigentümerinnen und Eigentümern und nicht den Krankenkassen oder dem Staat“ (Pressemitteilung der SpiFa vom 18.08.2025). Dirk Heinrich, der auch Vorsitzender des Virchowbundes ist, macht der Selbstbeschreibung seines Verbandes alle Ehre, indem er auch in dieser Debatte „ausschließlich die Interessen aller niederlassungswilligen, niedergelassenen und ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte […] vertritt“ und nicht etwa die Interessen der Bevölkerung.
Deshalb verbittet er sich Regelungen, die betriebswirtschaftlichen Überlegungen im Wege stehen. Dazu würden Vorschriften zur Terminvergabe nach Dringlichkeit und nicht nach Honorarhöhe gehören. Um die Haltung zu erklären, führt Dirk Heinrich aus: „Wenn also der Kassenvertrag erfüllt ist, können eben auch Privatpatientinnen und ‑patienten behandelt werden.“ Dies sei nach Ableistung von 25 Sprechstunden für Kassenpatient*innen der Fall. So stellt er sich den Versorgungsauftrag, den die Kassenärztliche Vereinigung übernommen hat, also vor: Man leistet den GKV-Pflichtteil ab, um dann in die Honorar-Kür zu gehen: Terminvergabe an GKV-Selbstzahler*innen und Privatpatient*innen sowie selbst zu zahlende IGeL.
»Dieses Beispiel zeigt erneut, welche Fehlkonstruktion die ambulante Versorgung hierzulande ist. Wer Arztpraxen als Privatunternehmen unangetastet lässt, darf sich nicht wundern, wenn Ärzt*innen wie Unternehmer*innen agieren.«
Die Krux ist nur, dass diese 25 Stunden ein gesetzlich eingeführtes Mittel sind, dem Versorgungsauftrag der KVen für die ambulante Versorgung überhaupt nur in die Nähe zu kommen. Es handelt sich nicht um eine altruistische Selbstverpflichtung der Praxiseigentümer*innen.
„Dieses Beispiel zeigt erneut, welche Fehlkonstruktion die ambulante Versorgung hierzulande ist. Wer Arztpraxen als Privatunternehmen unangetastet lässt, darf sich nicht wundern, wenn Ärzt*innen wie Unternehmer*innen agieren. Die Mehrzahl der Patient*innen und Beschäftigten im Gesundheitswesen lehnt ein solches Verständnis der ärztlichen Rolle ab“, so Dr. phil. Nadja Rakowitz, Geschäftsführerin des vdää*. „Karl Marx hätte seine Freude daran gehabt, wie klar hier seine These konkretisiert wird: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Die Fokussierung auf Gewinn in den Arztpraxen ändert man nur, wenn man die Strukturen ändert“, so Rakowitz weiter.
Deshalb unterstützt der vdää* zunächst die Forderung der VdK-Präsidentin Verena Bentele nach „großflächiger“ Kontrolle bei Terminvergaben (DÄB 19.08.2025). Der vdää* fordert darüber hinaus, dass die private Unternehmerschaft in der Medizin, ob stationär oder ambulant, zurückgedrängt wird und dass die Private Krankenversicherung als Vollversicherung zugunsten einer Solidarischen Bürger*innenversicherung abgeschafft wird. „Betriebswirtschaftliche Überlegungen in der Arztpraxis führen logischerweise zu Rosinenpickerei nach Umsatzgesichtspunkten“, so Michael Janßen, Allgemeinmediziner und Mitglied des Vorstands des vdää*. „Nach den Regeln der Honorierung sind es meist die am meisten bedürftigen Gruppen wie chronisch Kranke, Personen mit Sprachbarrieren und Nichtversicherte, die wenig einbringen und dann eben am Ende der Terminliste stehen“, so Janßen weiter.
Dr. Nadja Rakowitz, Pressesprecherin