vdää* kritisiert ärztliche Rolle bei versuchter Abschiebung
»Ich werde mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden.«
Auf diesen Satz aus dem ärztlichen Gelöbnis des Weltärztebundes kann sich der kurdische Aktivist Hamza A. im Kontakt mit seinen Ärzt*innen leider nicht berufen: Seit Mitte Juni befindet sich der Geflüchtete Hamza A. in Dresden in Abschiebehaft – und seit sieben Wochen im Hungerstreik. Laut Sächsischem Flüchtlingsrat protestiert er damit gegen seine drohende Abschiebung in die Türkei. Dort droht ihm sehr konkret eine erneute Inhaftierung. Sowohl die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch als auch Amnesty International berichten regelmäßig von Misshandlungen und Folter von Gefangenen in der Türkei.
Während seines Hungerstreiks gab es mehrfach Versuche, Hamza A. abzuschieben, trotz eines Gewichtsverlusts von nun über 20 kg und einer instabilen psychischen Verfasstheit – er weist selbstverletzendes Verhalten auf und unternahm einen Suizidversuch. Trotzdem wurde Hamza A. von einem Amtsarzt die Reise- und Transportfähigkeit bescheinigt, anstatt ihn in ein Krankenhaus zu verlegen.
“‘Ich habe nur noch meinen Kopf gegen die Wand’ – Protokoll einer Abschiebung” lautet der Titel eines detaillierten Berichts des Inhaftierten über den letzten Abschiebeversuch vom 6. August 2025. Dieser scheiterte lediglich an der Weigerung der Piloten, Hamza A. mitzunehmen. In dem Protokoll schildert der Hungerstreikende, eine erniedrigende Behandlung durch polizeiliches wie auch ärztliches Personal erfahren zu haben. Dieses Verhalten wurde durch einen der Ärzte mit einer Suizidgefahr während des Abschiebeprozesses begründet. Trotzdem wurde an der Abschiebung festgehalten.
Der Inhaftierte erhebt des Weiteren schwere Gewaltvorwürfe während des Aufenthalts im Frankfurter Flughafen und im Flugzeug selbst – dies alles geschah in Anwesenheit und mit Billigung einer ärztlichen Begleitperson: So beschreibt er, dass er z.B. gewaltvoll im Flugzeugsitz fixiert und sein Mund zugehalten worden sei, trotz bekannter Asthma-Erkrankung, was zu erheblicher Luftnot führte. Die Risiken für einen lagebedingten Erstickungstod während Flugzeugabschiebungen sind tragischerweise hinlänglich bekannt, weshalb atembehindernde Techniken verboten wurden.
Auch soll ein Polizeibeamter den Abschiebehäftling getreten und dabei Äußerungen getätigt haben, die dem antikurdischen Rassismus zuzurechnen sind. Andere Polizisten hätten ihn „komplett ausgezogen, leuchteten mit einer Taschenlampe auf meine Genitalien, lachten dabei – ich verstand nicht, was sie sagten“.
Während der versuchten Abschiebung soll es zum Ende hin zu selbstverletzendem Verhalten gekommen sein, v.a. zu Kopfverletzungen. Dennoch wurde Hamza A. nicht in einem Krankenhaus aufgenommen, sondern zurück in die Abschiebehaftanstalt transportiert, in der jeden Moment die Tortur aufs Neue beginnen kann.
Ärzt*innen unterliegen in ihrer beruflichen Tätigkeit der ärztlichen Berufsordnung und dem ärztlichen Gelöbnis der Weltärztebund-Deklaration von Genf. Hier heißt es unter anderem: „Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein. Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren. … Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten. Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden.“
Ein Amtsarzt soll Hamza A. erklärt haben, im Interesse der Landesdirektion Sachsen zu handeln. Anstaltsärzt*innen arbeiten in einem grundsätzlichen Spannungsfeld, mit Verpflichtung gegenüber dem Justizsystem einerseits und den inhaftierten Patient*innen andererseits. Dadurch besteht die Gefahr, dass Ärzt*innen als Teil des Justizsystems nicht unabhängig in ihren medizinischen Entscheidungen handeln. Sobald Ärzt*innen in Vollzugsaufgaben wie Abschiebungen involviert sind, verlassen sie damit ein primär Patient*innen-orientiertes Handeln.
Der Verein demokratischer Ärzt*innen erinnert dagegen an die 1991 verabschiedete Malta-Deklaration des Weltärztebundes, die zu diesem Loyalitätskonflikt Stellung bezieht:
»Ärzte mit doppelter Loyalität unterliegen den gleichen ethischen Grundsätzen wie andere Ärzte, d.h. ihre oberste Verpflichtung gilt dem einzelnen Patienten.«
Dr. Peter Hoffmann vom vdää* fordert: „Wir verlangen von der Sächsischen Landesärztekammer, mögliches Fehlverhalten ihrer Mitglieder in diesem Fall zu prüfen. Insbesondere appellieren wir an den Landesärztekammer-Beauftragten für Menschenrechte und gegen Rassismus und Diskriminierung, Stephan Bialas, dessen Tätigkeitsfeld insbesondere auch geflüchtete Menschen beinhaltet: Besuchen Sie Hamza A. umgehend und leiten Sie eine unabhängige Begutachtung sowie die Verlegung in ein Krankenhaus in die Wege.“
Dr. Nadja Rakowitz, Pressesprecherin