Miss­ach­tung der ärzt­li­chen Berufs­ord­nung im Kriegs­fall geplant


vdää* kri­ti­siert den Ber­li­ner Rah­men­plan für die Zivi­le Ver­tei­di­gung

Der Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pis­to­ri­us (SPD) möch­te die Gesell­schaft so schnell wie mög­lich „kriegs­tüch­tig“ machen. [1] Unter der soge­nann­ten „zivil-mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit“ ver­steht die Bun­des­re­gie­rung auch das Gesund­heits­sys­tem als Teil der „Gesamt­ver­tei­di­gung“. [2] Nun hat sich der Gesund­heits­sek­tor in Ber­lin die­ser Rol­le in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam ange­nom­men: Die Ber­li­ner Senats­ver­wal­tung für Wis­sen­schaft, Gesund­heit und Pfle­ge hat in Zusam­men­ar­beit mit der Bun­des­wehr, der Ber­li­ner Kran­ken­haus­ge­sell­schaft und zwölf Ber­li­ner Kli­ni­ken ein 28-sei­ti­ges Arbeits­pa­pier erstellt: „Rah­men­plan für die Zivi­le Ver­tei­di­gung im Bereich der Ber­li­ner Kran­ken­häu­ser 1.0“. In dem Text wer­den ver­schie­de­ne Kriegs­sze­na­ri­en in der Bun­des­haupt­stadt durch­ge­spielt.

Der Rah­men­plan ist nicht ver­öf­fent­licht wor­den, sein Inhalt wur­de der Öffent­lich­keit in einer Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung im Som­mer nur vage vor­ge­stellt. Im Okto­ber wur­de das Arbeits­pa­pier jedoch an zwei Zei­tun­gen gele­akt, die über die abstru­sen Sze­na­ri­en berich­te­ten. [3, 4] Inzwi­schen hat „Frag­Den­Staat“ das Papier ver­öf­fent­licht. [5]

Wir sind vor allem auf­grund fol­gen­der Inhal­te sehr besorgt:

• die Erwä­gung von so genann­ter umge­kehr­ter Tria­ge, bei der in Kran­ken­häu­sern gering­fü­gig ver­letz­tes mili­tä­ri­sches Per­so­nal Vor­rang vor Schwerst­ver­letz­ten und Zivilist*innen bekä­me, um Soldat*innen schnellst­mög­lich wie­der ein­satz­fä­hig zu machen

• eine offe­ne Dis­kus­si­on über das Ster­ben­las­sen „Schwerst­ver­letz­ter bzw. so genann­ter „hoff­nungs­lo­ser“ Patient*innen

• eine Umstel­lung von „Indi­vi­du­al­me­di­zin auf Kata­stro­phen­me­di­zin“ mit der Fol­ge, dass Inter­es­sen Drit­ter (z.B. des Mili­tärs) über das Wohl der Patient*innen gestellt wür­den

• die Benen­nung von akut erkrank­ten Men­schen aus Pfle­ge­ein­rich­tun­gen als Stör­fak­to­ren in der Not­auf­nah­me (also z.B. alte Men­schen, Men­schen mit Behin­de­run­gen und Men­schen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen)

• die Erwä­gung der Ein­stel­lung medi­zi­nisch not­wen­di­ger elek­ti­ver Ein­grif­fe

• die Abga­be weit­rei­chen­der Befug­nis­se in Kran­ken­häu­sern an Behör­den und Mili­tär

• eine maxi­ma­le und unrea­lis­ti­sche Per­so­nal­re­kru­tie­rung u.a. durch Daten­schutz­ab­bau im Kran­ken­haus („Ana­ly­se des Per­so­nals“), Wider­ruf von Neben­er­werbs­er­laub­nis­sen, Rekru­tie­rung von Per­so­nal im Ruhe­stand, Rekru­tie­rung von Ver­wal­tungs­be­schäf­tig­ten des Lan­des Ber­lin zu „Pfle­ge­un­ter­stüt­zungs­kräf­ten“

Dr. phil Nad­ja Rako­witz, Pres­se­spre­che­rin des vdää* dazu: „Wir sind scho­ckiert über das Aus­maß, mit dem die Autor*innen des Papiers die Miss­ach­tung der ärzt­li­chen Berufs­ord­nung als auch des ärzt­li­chen Gelöb­nis­ses des Welt­ärz­te­bunds for­dern. [6, 7] Das Gesund­heits­sys­tem soll einer Mili­tär­lo­gik unter­wor­fen wer­den, die die Grund­sät­ze medi­zin-ethi­schen Han­delns voll­stän­dig unter­gräbt.“

Der Rah­men­plan ent­spricht einer weit ver­brei­te­ten Ansicht in der Ärzt*innenschaft, dass ein Krieg so wahr­schein­lich sei, dass es alter­na­tiv­los ist, sich an den staat­li­chen Vor­be­rei­tun­gen, auch der Prio­ri­sie­rung des Mili­tärs im zivi­len Gesund­heits­we­sen zu betei­li­gen. Mili­tä­ri­sche Durch­set­zungs­fä­hig­keit ist jedoch kein ärzt­li­ches Hand­lungs­ziel, und wir weh­ren uns dage­gen, sie dazu zu machen.

Alles zu tun, um Krie­ge zu been­den und zu ver­hin­dern, ist dem­ge­gen­über ein ele­men­ta­res Ziel ärzt­li­chen Han­delns. Selbst­ver­ständ­lich wird argu­men­tiert, dass sol­che Vor­be­rei­tun­gen nur der Ver­tei­di­gung dien­ten. Vor­aus­ge­setzt wird dabei, dass die Kon­kur­renz der Staa­ten unaus­weich­lich sei und dass es auch der Bevöl­ke­rung dar­um gehen müs­se, dass Deutsch­land sieg­reich aus einem mög­li­chen Krieg her­vor­geht. Jeder Krieg ist aber schon eine Nie­der­la­ge für die Bevöl­ke­rung, die unter den grau­sa­men Fol­gen lei­det und gezwun­gen wird, für den jewei­li­gen Staat zu kämp­fen.

Der Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärzt*innen wehrt sich gegen die Gleich­set­zung der Inter­es­sen der Bevöl­ke­rung mit den Inter­es­sen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Ärzt*innen soll­ten an der Sei­te ihrer Patient*innen ste­hen, nicht unter den Befeh­len des Mili­tärs. Ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund eines unter­fi­nan­zier­ten Gesund­heits­sys­tems mit Pro­fit­ori­en­tie­rung und Fach­kräf­te­man­gel erscheint das Durch­spie­len und Ein­üben die­ser Kriegs­sze­na­ri­en zudem absurd, wenn nicht ein­mal genug Res­sour­cen zur Ver­fü­gung ste­hen, um die aktu­el­le Gesund­heits­ver­sor­gung gut zu gewähr­leis­ten.

Wir for­dern, alles dafür zu tun, die Gefahr eines Krie­ges klei­ner und nicht grö­ßer zu machen. Dabei hal­ten wir die aktu­ell ver­folg­te Stra­te­gie der Abschre­ckung durch Kriegs­tüch­tig­keit und Auf­rüs­tung nicht für ziel­füh­rend, zumal sie die Lebens­si­tua­ti­on und damit die Gesund­heit gro­ßer Tei­le der Bevöl­ke­rung ver­schlech­tert. Wir wer­den uns wei­ter an inter­na­tio­na­ler soli­da­ri­scher Ver­net­zung und Frie­dens­ar­beit auf allen gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Ebe­nen betei­li­gen.

Dr. Nad­ja Rako­witz, Pres­se­spre­che­rin

1 „Boris Pis­to­ri­us: Wir müs­sen bis 2029 kriegs­tüch­tig sein“, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw23-de-regierungsbefragung-1002264

2 „Grün­buch ZMZ 4.0“, 03/2025, https://zoes-bund.de/wp-content/uploads/2025/03/250306_Gruenbuch_ZMZ_digital.pdf

3 „Rah­men­plan für Kran­ken­häu­ser: »Luft­schlös­ser« für den Kriegs­fall“, neu­es deutsch­land 07.10.2025, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194549.aufruestung-rahmenplan-fuer-krankenhaeuser-luftschloesser-fuer-den-kriegsfall.html

4 „Kriegs­vor­be­rei­tung – Exklu­si­ves Doku­ment: So wer­den Ber­li­ner Kli­ni­ken auf Krieg gegen Russ­land vor­be­rei­tet“, Ber­li­ner Zei­tung 04.10.2025

5 „Rah­men­plan für die Zivi­le Ver­tei­di­gung im Bereich der Ber­li­ner Kran­ken­häu­ser 1.0“, https://fragdenstaat.de/dokumente/273086-rahmenplan-zvkh-berlin/

6 „Berufs­ord­nung der Ärz­te­kam­mer Ber­lin“ https://www.aekb.de/fileadmin/migration/pdf/Berufsordnung.pdf

7 Welt­ärz­te­bund: „Dekla­ra­ti­on von Genf – Das ärzt­li­che Gelöb­nis“ https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Internationales/Bundesaerztekammer_Deklaration_von_Genf_04.pdf

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