Mas­si­ver Abbau droht, Finanz-»Revolution« fällt aus. Zusam­men­fas­sen­de Dar­stel­lung und Bewer­tung des KHVVG

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Am 06.12.2022 hat die von Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach ein­ge­setz­te Regie­rungs­kom­mis­si­on ihre Stel­lung­nah­me mit dem Titel »Grund­le­gen­de Reform der Kran­ken­haus­ver­gü­tung« vor­ge­legt. Am 12.12.2024 ist die Umset­zung die­ser Emp­feh­lun­gen, das Kran­ken­haus­ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz (KHVVG), in Kraft getre­ten. Tho­mas Böhm dis­ku­tiert es im Namen des Bünd­nis’ Kran­ken­haus statt Fabrik.

von Tho­mas Böhm

Lau­ter­bach hat­te die Reform mit gro­ßen Wor­ten ange­kün­digt: »Über­win­dung der DRGs«, »Dra­ma­ti­sche Ent­öko­no­mi­sie­rung« »Revo­lu­ti­on« waren nur eini­ge Schlag­wor­te. Am 22.03.2024 mach­te er im Bun­des­rat fol­gen­des deut­lich: »Wir schüt­zen ins­be­son­de­re die klei­nen Kran­ken­häu­ser auf dem Land.« Schon etwas anders klang es eini­ge Zeit spä­ter: »Wir wer­den alle Kran­ken­häu­ser ret­ten, die wir benö­ti­gen« (Lau­ter­bach am 06.04.2024 im Main­e­cho) und: »Es wird kei­ne Ent­öko­no­mi­sie­rung geben.« (Par­la­men­ta­ri­sche Staats­se­kre­tär Fran­ke am 09.09.2024 auf dem Kran­ken­haus­gip­fel) 

Was den Scharf­ma­chern bei die­ser Debat­te vor­schwebt, wur­de auch klar: »Jeder Monat, in dem nicht fünf bis zehn Kran­ken­häu­ser vom Netz gehen, ist ein ver­lo­re­ner Monat.« (Wulf-Diet­rich Leber, Lei­ter der Abtei­lung Kran­ken­häu­ser beim GKV-Spit­zen­ver­band am 21.03.2024 beim DRG-Forum) oder »Von der Ver­sor­gungs­qua­li­tät wür­den sogar 400 Kran­ken­häu­ser aus­rei­chen.« (Prof. Rein­hard Bus­se am 18.07.2019 in Die Debat­te) oder: »Eine star­ke Ver­rin­ge­rung der Kli­ni­kan­zahl von aktu­ell knapp 1.400 auf deut­lich unter 600 Häu­ser, wür­de die Qua­li­tät der Ver­sor­gung für Pati­en­ten ver­bes­sern und bestehen­de Eng­päs­se bei Ärz­ten und Pfle­ge­per­so­nal mil­dern.« (Ber­tels­mann-Stif­tung 05.07.2019)

Bei sol­chen mar­ki­gen Kampf­an­sa­gen muss man sich die Aus­gangs­la­ge klar­ma­chen: Seit 1991 gibt es 659 Kran­ken­häu­ser (von damals 2.164) weni­ger und 183.362 Bet­ten (von damals 598.073) wur­den abge­baut. Der Haupt­ver­lust ging zu Las­ten der öffent­li­chen Kran­ken­häu­ser, die Pri­va­ten haben ihre Bet­ten­zahl seit­her annä­hernd ver­vier­facht.1

Die ehr­gei­zi­gen Zie­le des geplan­ten Abbaus sol­len im Gesetz über Struk­tur­re­ge­lun­gen und Ver­gü­tungs­re­ge­lun­gen erreicht wer­den. Die­se zusam­men­fas­sen­de Bewer­tung kon­zen­triert sich auf die wesent­li­chen Tei­le des Geset­zes, näm­lich die Ein­füh­rung von Leis­tungs­grup­pen, von »Min­dest­zah­len« und von »Sek­toren­über­grei­fen­den Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen«. Hin­zu­kommt die Vor­hal­te­ver­gü­tung.

Leis­tungs­grup­pen

Es wer­den 65 Leis­tungs­grup­pen (LG) und bun­des­ein­heit­li­che Qua­li­täts­kri­te­ri­en ein­ge­führt. Die Leis­tungs­grup­pen las­sen sich grob in LG der Grund­ver­sor­gung (z.B. All­ge­mei­ne Inne­re, All­ge­mei­ne Chir­ur­gie, Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe, Päd­ia­trie), der Zen­tral­ver­sor­gung (z.B. Gas­tro­en­te­ro­lo­gie, Endo­pro­the­tik, Nephrolo­gie) und der Maxi­mal­ver­sor­gung (z.B. Leuk­ämie und Lym­phome, Leber­ein­grif­fe) unter­tei­len. Die Qua­li­täts­kri­te­ri­en bezie­hen sich auf die sach­li­che (z.B. Labor, CT) und per­so­nel­le Aus­stat­tung (z.B. Zahl der Ärzt*innen und Ein­hal­tung der Pfle­ge­per­so­nal­un­ter­gren­zen­ver­ord­nung) und sons­ti­ge Struk­tur- und Pro­zess­kri­te­ri­en. Außer­dem wer­den »ver­wand­te Leis­tungs­grup­pen« defi­niert, die nur gemein­sam erbracht wer­den dür­fen. Kern­punkt ist, dass bei Nicht­er­fül­lung kei­ne Zuwei­sung der LG durch das Land erfol­gen darf und dass kei­ne Behand­lung von Patient*innen außer­halb der zuge­wie­se­nen LG zuläs­sig ist. Alle Fest­le­gun­gen bezie­hen sich auf die ein­zel­nen Stand­or­te2 der Kran­ken­häu­ser: Bestimm­te Qua­li­täts­kri­te­ri­en kön­nen auch in Koope­ra­ti­on mit ande­ren Stand­or­ten oder Kran­ken­häu­sern erbracht wer­den.

Aus­nah­me­ge­neh­mi­gun­gen durch die Län­der bei Abwei­chun­gen von den Qua­li­täts­kri­te­ri­en sind nur in einem sehr begrenz­ten Rah­men mög­lich: Zum einen bei kurz­fris­ti­gen Abwei­chun­gen, die inner­halb von maxi­mal sechs Mona­ten beho­ben wer­den kön­nen, zum ande­ren für maxi­mal drei Jah­re, wenn das Kran­ken­haus für die flä­chen­de­cken­de Ver­sor­gung zwin­gend not­wen­dig ist.3

Das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um wird ermäch­tigt, mit Zustim­mung des Bun­des­rats eine Rechts­ver­ord­nung zur Wei­ter­ent­wick­lung der LG und der Qua­li­täts­kri­te­ri­en zu erlas­sen. Es kann auch Fest­le­gun­gen dar­über tref­fen, dass für bestimm­te LG Aus­nah­me­ge­neh­mi­gun­gen nicht zuläs­sig sind. Die Prü­fung der Qua­li­täts­kri­te­ri­en an jedem Stand­ort wur­de dem Medi­zi­ni­schen Dienst (MD) über­tra­gen und muss anfangs nach zwei Jah­ren und dann alle drei Jah­re wie­der­holt wer­den.

Bewer­tung Leis­tungs­grup­pen

LG sind aus unse­rer Sicht grund­sätz­lich rich­tig. Wenn man nicht finan­zi­ell (über Prei­se) steu­ern will, muss man pla­nen. Zum Pla­nen gehö­ren Kri­te­ri­en und Bedin­gun­gen. Die nähe­re Defi­ni­ti­on des Ver­sor­gungs­auf­trags ver­hin­dert auch, dass jedes Krankenhaus/jede Abtei­lung alles macht, auch wenn es/sie von den Vor­aus­set­zun­gen her dazu nicht geeig­net ist. Die Bun­des­län­der haben seit dem ideo­lo­gi­schen Sie­ges­zug des Neo­li­be­ra­lis­mus in den 80er Jah­ren die Kran­ken­haus­pla­nung mehr oder weni­ger voll­stän­dig ein­ge­stellt. Markt und Prei­se soll­ten es rich­ten. Daseins­vor­sor­ge kann man aber nicht dem Markt über­las­sen, sonst wird sie zum Geschäft und zum Wirt­schafts­zweig.

Aber: Es besteht die Gefahr, dass sol­che Kri­te­ri­en wie jetzt bei den LG zum Bet­ten­ab­bau und zu Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen miss­braucht wer­den. Die­se Gefahr ist real, denn die Län­der ver­fol­gen – trotz ihres Wider­stan­des gegen bestimm­te Rege­lun­gen des KHVVG – kei­ne ande­ren Zie­le, wie die Ent­wick­lung der Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen und des Bet­ten­ab­baus beweist. Beim Streit mit dem Bund ging es im Wesent­li­chen dar­um, wer bei die­sem Abbau-Pro­zess den Hut auf­hat, nicht um die Ver­hin­de­rung des Abbaus. Die Gefahr des Miss­brauchs lässt sich am ehes­ten dadurch min­dern, dass die Kran­ken­haus­pla­nung demo­kra­tisch (unter Betei­li­gung aller Betrof­fe­nen, auch der Patient*innen und Beschäf­tig­ten) und mög­lichst regio­nal (in Ver­sor­gungs­re­gio­nen) und nicht vom grü­nen Tisch her erfolgt.

Die Über­tra­gung der Prü­fung der Qua­li­täts­kri­te­ri­en an den Medi­zi­ni­schen Dienst ist eben­falls nicht rich­tig. Ein­mal abge­se­hen davon, dass der MD – auch wenn er nicht mehr so heißt – immer noch ein Dienst der Kran­ken­kas­sen ist (von ihnen wird er zu 100% finan­ziert), liegt der Sicher­stel­lungs­auf­trag für die Ver­sor­gung (und damit auch für die Qua­li­tät der Ver­sor­gung) beim Land. Dem­entspre­chend muss auch das Land die­se Qua­li­tät über­prü­fen. Durch die Abga­be die­ser Auf­ga­be wird die Pla­nungs­ho­heit der Län­der (die ja die Ver­sor­gung sicher­stel­len soll) ein­ge­schränkt und die Kas­sen erhal­ten (indi­rekt) Ein­fluss auf die Pla­nung.

Lau­ter­bach hat ja zu den Zie­len sei­ner Reform auch die »Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung« erklärt. Was aber droht, ist eine deut­li­che Aus­wei­tung der Büro­kra­tie im Zusam­men­hang mit den Leis­tungs­grup­pen (Nach­weis, dass man die jewei­li­gen Bedin­gun­gen erfüllt, Kon­trol­len durch den Medi­zi­ni­schen Dienst, Strei­tig­kei­ten um die Erfül­lung der Bedin­gun­gen). In Bezug auf den DRG-Bereich ändert sich in Hin­blick auf die Büro­kra­tie natür­lich über­haupt nichts.

Min­dest­zah­len

Da die Wir­kung der LG Lau­ter­bach offen­sicht­lich noch nicht aus­rei­chend war, hat er »Min­dest­vor­hal­te­zah­len« als wei­te­res Selek­ti­ons­in­stru­ment ein­ge­führt. Für jede Leis­tungs­grup­pe soll eine Min­dest­zahl an durch­ge­führ­ten Behand­lun­gen not­wen­dig sein, damit der Stand­ort die Vor­hal­te­ver­gü­tung (s.u.) erhält. Zusätz­lich sol­len bei onko­ch­ir­ur­gi­schen Leis­tun­gen eben­falls Min­dest­zah­len von Leis­tun­gen für einen »Indi­ka­ti­ons­be­reich« (leis­tungs­grup­pen­über­grei­fend) gel­ten. Hier wird dann bei Unter­schrei­ten zwar die Vor­hal­te­ver­gü­tung aber nicht die »Rest«-DRG ver­gü­tet. Berech­net wird die­se Min­dest­zahl durch Fest­le­gung eines Pro­zent­sat­zes aller Fäl­le. Bei der Min­dest­vor­hal­te­zahl liegt der Pro­zent­satz noch nicht fest. Er soll noch in die­sem Jahr in einer Rechts­ver­ord­nung (mit Zustim­mung der Län­der) bestimmt wer­den. In der Geset­zes­be­grün­dung war von 20% aller Fäl­le die Rede. Bei den onko­ch­ir­ur­gi­schen Leis­tun­gen legt das Gesetz selbst sie mit 15% aller Fäl­le fest. Wel­che Stand­or­te betrof­fen sind, ergibt sich dadurch, dass alle Stand­or­te in einem Bun­des­land, die die jewei­li­ge Leis­tungs­grup­pe bzw. die onko­lo­gi­schen Leis­tun­gen erbrin­gen, auf­stei­gend nach der Zahl der Fäl­le sor­tiert wer­den, bis die Gesamt­zahl der von ihnen behan­del­ten Fäl­le die fest­ge­leg­te Gren­ze über­schrei­tet.

Bewer­tung Min­dest­zah­len

Der finan­zi­el­le Effekt ist in bei­den Fäl­len ähn­lich: Mit nur noch ca. 50% der Ver­gü­tung lässt sich die Leis­tung nicht mehr erbrin­gen, ohne rie­si­ge Defi­zi­te auf­zu­bau­en. Es besteht der Zwang zur Auf­ga­be der Leis­tungs­grup­pe bzw. der onko­ch­ir­ur­gi­schen Leis­tun­gen und ggf. zur Schlie­ßung des Stand­or­tes. Es han­delt sich also um eine noch­ma­li­ge mas­si­ve Inter­ven­ti­on zur Leis­tungs­kon­zen­tra­ti­on.

Es gibt bis­her schon Min­dest­men­gen des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses (G‑BA), z.B. für Nierentransplanta­tionen oder die Ver­sor­gung von Früh­ge­bo­re­nen. Die­se bezie­hen sich nur auf ein­zel­ne Ein­grif­fe und wer­den nur mit wis­sen­schaft­li­chem Nach­weis eines Zusam­men­hangs zwi­schen Fall­zahl und Qua­li­tät erlas­sen. Die­se Min­dest­zah­len sind sinn­voll.

Dage­gen bezie­hen sich die Min­dest­zah­len des KHVVG auf gan­ze LG bzw. Indi­ka­ti­ons­be­rei­che also auf hun­der­te bis tau­sen­de ver­schie­de­ne Ein­grif­fe. Damit kann es kei­nen wis­sen­schaft­li­chen Nach­weis eines Zusam­men­hangs geben. Es han­delt sich um ein rei­nes Selek­ti­ons­in­stru­ment.

Die Berech­nungs­art bei den Min­dest­vor­hal­te­zah­len bedeu­tet auch, dass bei der nächs­ten Berech­nung wei­te­re KH betrof­fen sind, wenn wel­che weg­fal­len. Außer­dem setzt die Rege­lung einen Anreiz zur Men­gen­aus­deh­nung an der unte­ren Gren­ze, wenn Kran­ken­häu­ser ver­su­chen die Gren­ze zu über­win­den. Para­dox ist auch, dass ein Kran­ken­haus, das zwar Q‑Kriterien erfüllt, aber nicht die Min­dest­zah­len fak­tisch von der Ver­sor­gung aus­ge­schlos­sen wird.

Zumin­dest in Bezug auf die Min­dest­vor­hal­te­zahl besteht noch die Mög­lich­keit, die hier­für not­wen­di­ge Rechts­ver­ord­nung durch poli­ti­schen Wider­stand zu ver­hin­dern. Dies soll­te unbe­dingt gesche­hen.

Sek­toren­über­grei­fen­de Ver­sor­gungs­ein­rich­tung

Sek­toren­über­grei­fen­de Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen (SüV) betref­fen Stand­or­te von Kran­ken­häu­sern, die vom Land bestimmt wer­den. Ihre Leis­tun­gen sind

  • ambu­lan­te Leis­tun­gen auf­grund einer Ermäch­ti­gung zur Teil­nah­me an der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung4
  • ambu­lan­tes Ope­rie­ren
  • ver­ein­bar­te Sta­tio­nä­re Leis­tun­gen
  • Über­gangs­pfle­ge und Kurz­zeit­pfle­ge

Sta­tio­nä­re Leis­tun­gen dür­fen nur in dem Umfang erbracht wer­den, der in einer Ver­ein­ba­rung zwi­schen Deut­scher Kran­ken­haus Gesell­schaft (DKG) und Kas­sen auf Bun­des­ebe­ne ver­ein­bart wur­de und die (eben­falls ver­ein­bar­ten) Qua­li­täts­kri­te­ri­en erfüllt wer­den. Die Ver­gü­tung der ambu­lan­ten Leis­tun­gen der SüV erfolgt nach den gel­ten­den Bestim­mun­gen für den nie­der­ge­las­se­nen Bereich, den Pfle­ge­be­reich und für ambu­lan­te Ope­ra­tio­nen. Der sta­tio­nä­re Bereich wird über degres­si­ve Ent­gel­te pro Tag ver­gü­tet, die zwi­schen den Kas­sen und dem ein­zel­nen Kran­ken­haus aus­ge­han­delt wer­den.

Bewer­tung sek­toren­über­grei­fen­de Ver­sor­gungs­ein­rich­tung

Bei den SüV han­delt es sich nicht mehr um Kran­ken­häu­ser mit Grund­ver­sor­gungs­auf­ga­ben. Sie sind eine Mischung aus Kurz­zeit­pfle­ge­heim, Kleinst­kran­ken­häu­sern und ambu­lan­ten Ein­rich­tun­gen. Erklär­tes Ziel ist die Nut­zung die­ser neu­en Kon­struk­te zur Schlie­ßung von klei­nen Grund­ver­sor­gern in länd­li­chen Regio­nen. Dies sieht man auch dar­an, dass sie nicht auf die Not­fall­ver­sor­gung aus­ge­rich­tet sind (z.B. kei­ne Über­wa­chungs­bet­ten). Die Lücke zwi­schen dem Haus­arzt­be­reich (soweit es die­sen über­haupt noch gibt) und dem nächst­ge­le­ge­nen grö­ße­ren Kran­ken­haus bleibt bzw. wird noch grö­ßer.

Sie über­win­den auch nicht die sek­to­ra­le Tren­nung der Ver­sor­gung. Für eine sol­che Über­win­dung wäre zunächst eine ein­heit­li­che Pla­nung der ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung durch die Län­der (kon­kret die Ver­sor­gungs­re­gio­nen) und die Auf­he­bung des Sicher­stel­lungs­auf­trags an die Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen not­wen­dig. Eine Über­win­dung der Tren­nung ist wei­ter­hin nur mög­lich, wenn Kran­ken­häu­ser das Recht bekom­men, ambu­lant zu behan­deln und ambu­lan­te Ver­sor­gungs­zen­tren zu betrei­ben.

Unter ambu­lan­ten Ver­sor­gungs­zen­tren ver­ste­hen wir:

  • Ein­rich­tun­gen der Kran­ken­häu­ser
  • gleich­mä­ßig in der Ver­sor­gungs­re­gi­on ver­teilt
  • ers­te Anlauf­stel­len für die Not­fall­ver­sor­gung
  • Über­wa­chungs­bet­ten und Ein­griffs­räu­me sowie alle not­wen­di­gen dia­gnos­ti­schen Ein­rich­tun­gen vor­han­den
  • wich­ti­ge medi­zi­ni­schen Fach­rich­tun­gen auf Fach­arzt­ni­veau vor­han­den
  • über Tele­me­di­zin an das Kran­ken­haus ange­bun­den
  • tur­nus­mä­ßig mit Beschäf­tig­ten der Kran­ken­häu­ser betrie­ben

Zusätz­lich müss­ten die Not­arzt­stand­or­te (incl. Hub­schrau­ber) deut­lich aus­ge­baut wer­den um die Prähos­pi­tal­zei­ten (ab Alar­mie­rung bis Ver­sor­gung im Kran­ken­haus) zu ver­kür­zen. Nur so kann die flä­chen­de­cken­de Ver­sor­gung in länd­li­chen Gebie­ten auf hohem Niveau gewähr­leis­tet wer­den. Bevor sol­che alter­na­ti­ven Struk­tu­ren nicht auf­ge­baut sind darf es kei­ne Schlie­ßun­gen geben.

Degres­si­ve Tages­ent­gel­te sind auch Prei­se, nicht für den ein­zel­nen Fall, son­dern für den Tag. Es han­delt sich also auch um eine Form der finan­zi­el­len Steue­rung mit all ihren Fehl­an­rei­zen. Es fin­det ledig­lich ein Tausch der finan­zi­el­len Anreiz­sys­te­me mit (teil­wei­se) ande­rer Ziel­rich­tung statt: Es besteht wei­ter­hin ein star­kes Inter­es­se an Per­so­nal­kos­ten­dum­ping und an einer mög­lichst bil­li­gen Ver­sor­gung der Patient*innen. Es gibt den Anreiz, die Ver­weil­dau­ern zu ver­län­gern – zumin­dest, bis die Kos­ten den degres­si­ven Tages­satz über­schrei­ten. Danach ist es öko­no­misch sinn­voll, den Pati­en­ten mög­lichst schnell zu ent­las­sen. Die Fol­ge sind sach­frem­de Ent­schei­dun­gen (»es lohnt sich noch/nicht mehr«) statt einer bedarfs­ge­rech­ten (»kann der Pati­ent aus medi­zi­ni­scher und pfle­ge­ri­scher Sicht ent­las­sen wer­den«).

Vor­hal­te­ver­gü­tung

Jede DRG hat ein Rela­tiv­ge­wicht (RG), dass die jewei­li­gen Kos­ten der Behand­lung ins Ver­hält­nis zu den Kos­ten der Behand­lung der ande­ren DRGs setzt – z.B. eine Blind­darm­ent­fer­nung bei Blind­darm­ent­zün­dung hat das Rela­tiv­ge­wicht 2, einer Leber­trans­plan­ta­ti­on das Rela­tiv­ge­wicht 30 (Nähe­rungs­wer­te). Der Preis für die Behand­lung des jewei­li­gen Pati­en­ten ergibt sich dann aus der Mul­ti­pli­ka­ti­on die­ses Rela­tiv­ge­wich­tes mit dem so genann­ten Lan­des­ba­sis­fall­wert. Er wird jähr­lich auf Lan­des­ebe­ne zwi­schen Kas­sen und Lan­des­kran­ken­haus­ge­sell­schaft nach gesetz­li­chen Vor­ga­ben aus­ge­han­delt und liegt momen­tan bei etwa 4.400 Euro.

Aus die­sem Rela­tiv­ge­wicht wer­den jetzt 60% für die Vor­hal­te­ver­gü­tung aus­ge­glie­dert, nach­dem die varia­blen (indi­vi­du­ell dem ein­zel­nen Pati­en­ten zuor­den­ba­ren) abge­zo­gen wur­den5. Es gibt also wei­ter­hin eine »Rest-DRG«, die je nach varia­blem Kos­ten­an­teil auf jeden Fall über 40%, ver­mut­lich im Schnitt bei 50–60% liegt.

Dane­ben gibt es eine zwei­te »Vor­hal­te-DRG« mit eige­nen Rela­tiv­ge­wich­ten, den so genann­ten »Vor­hal­te­be­wer­tungs­re­la­tio­nen«. Die Sum­me all die­ser Vor­hal­te­be­wer­tungs­re­la­tio­nen eines Stand­or­tes pro Jahr und pro Leis­tungs­grup­pe wird wie­der mul­ti­pli­ziert mit dem Lan­des­ba­sis­fall­wert ist dann die Vor­hal­te­ver­gü­tung.

Der Unter­schied ist also, dass die­se zwei­te DRG nicht pro aktu­el­lem Fall ver­gü­tet wird, son­dern als jähr­li­che Pau­scha­le basie­rend auf den Fall­zah­len des vor­letz­ten Jah­res. Die Aus­zah­lung erfolgt dann pro Patient*in als Abschlags­zah­lung auf den Jah­res­be­trag, der dem Stand­ort zusteht. Am Jah­res­en­de erfolgt ein Abgleich der zuste­hen­den und der erhal­te­nen Vor­hal­te­ver­gü­tung mit Aus­gleich der Dif­fe­ren­zen. 2026 ist die Ein­füh­rung ver­gü­tungs­neu­tral. 2027 und 2028 erfolgt eine Kon­ver­genz­pha­se mit einer Anrech­nung der Ver­än­de­run­gen von 33% und dann von 66%.

Die bis­her schon gel­ten­de vol­le Refi­nan­zie­rung der Kos­ten der Pfle­ge am Bett (»Pfle­ge­bud­get«) ist in die­ser Vor­hal­te­ver­gü­tung ent­hal­ten, am Jah­res­en­de wird aber ein even­tu­el­ler Dif­fe­renz­be­trag zu den tat­säch­lich ent­stan­den Pfle­ge­kos­ten aus­ge­gli­chen.

Die Neu­be­rech­nung die­ses Jah­res­be­tra­ges für den ein­zel­nen Stand­ort erfolgt erst­mals nach zwei Jah­ren und dann nur noch alle drei Jah­re. Ver­än­der­te Fall­zah­len gehen nur in die Neu­be­rech­nung ein, wenn sie sich im Zwei- bzw. Drei­jah­res­zeit­raum um mehr als 20% nach oben oder unten ver­än­dert haben. Ände­run­gen in der Fall­schwe­re der behan­del­ten Fäl­le6 gehen bei jeder Neu­be­rech­nung ein.

Bewer­tung Vor­hal­te­ver­gü­tung

Zunächst fällt die ziem­lich kom­pli­zier­te Berech­nungs­wei­se auf. Die DRG-Logik und ‑Berech­nung soll offen­sicht­lich unter allen Umstän­den erhal­ten blei­ben. Wenn es tat­säch­lich um eine Ver­gü­tung der Vor­hal­tung gehen wür­de, müss­ten die not­wen­di­gen Geld­be­trä­ge ganz anders berech­net wer­den. Die Fra­ge wäre dann, wel­che Vor­hal­tun­gen sind in wel­cher Leis­tungs­grup­pe not­wen­dig und wie hoch ist der dafür benö­tig­te Geld­be­trag. Das wäre eine ech­te Sach­steue­rung, statt einer ver­kapp­ten finan­zi­el­len Steue­rung. Hin­zu kommt: Es bleibt im Wesent­li­chen bei der Gesamt­sum­me der Ver­gü­tung und damit auch bei der bestehen­den Unter­fi­nan­zie­rung und der mas­si­ven Finanz­not der Kran­ken­häu­ser.

Tat­sa­che ist, dass die DRG gera­de nicht über­wun­den wer­den. Wei­ter­hin wer­den 40% plus varia­bler Kos­ten­an­teil mit Fall­prei­sen aus­be­zahlt. Der Anreiz zur Men­gen­aus­deh­nung bleibt damit voll­stän­dig erhal­ten bzw. er wird noch grö­ßer, weil nur noch die­ser Teil der DRG-Ver­gü­tung frei gestalt­bar ist und weil es einen noch schär­fe­ren Kon­kur­renz­kampf um das redu­zier­te Geld­vo­lu­men geben wird.

Aber auch die Vor­hal­te­ver­gü­tung selbst ist nicht men­gen­un­ab­hän­gig:

  • Bis­he­ri­ge Men­gen­stei­ge­run­gen füh­ren zu einem Vor­teil bei der Erst­ver­tei­lung.
  • Eine Gesamt­stei­ge­rung (auch der Fall­schwe­re) bun­des­weit oder lan­des­weit wirkt sich erhö­hend auf die Vor­hal­te­ver­gü­tung aus.
  • Wenn es gelingt, eine Stei­ge­rung der Fall­zah­len inner­halb von drei Jah­ren um jähr­lich 7%. zu errei­chen, erfolgt eine deut­li­che Erhö­hung der Vor­hal­te­ver­gü­tung.

Das soge­nann­te »Upco­ding«, also die Patient*innen bei der Abrech­nung krän­ker zu machen, als sie sind, wird in jedem Fall belohnt. Per­so­nal­kos­ten­dum­ping ist wei­ter­hin lukra­tiv, denn es erhöht auch bei der Vor­hal­te­ver­gü­tung die Gewin­ne.

Die Vor­hal­te­ver­gü­tung ist nicht zweck­ge­bun­den. Sie kann also für alles ver­wen­det wer­den, für Inves­ti­tio­nen, die eigent­lich die Län­der finan­zie­ren müss­ten, oder für eine Divi­den­de an Kapi­tal­eig­ner.

Fast unnö­tig zu sagen, dass natür­lich der not­wen­di­ge Büro­kra­tie­auf­wand noch­mals ansteigt, wenn mit zwei ver­schie­de­nen Abrech­nungs­ver­fah­ren gear­bei­tet wer­den muss.

Eine der Absur­di­tä­ten die­ser Art von Vor­hal­te­ver­gü­tung ist, dass ein Kran­ken­haus dafür bestraft wird, dass es mehr Fäl­le behan­delt, auch wenn es dies nicht unter finan­zi­el­len Aspek­ten tut, son­dern weil z.B. mehr Men­schen erkran­ken.

Das Grund­pro­blem ist, dass finan­zi­el­le Steue­rung und Geld blind sind gegen die Qua­li­tät. Die not­wen­di­ge und die unnö­ti­ge Behand­lung haben den­sel­ben Preis und wer­den gleich bezahlt. Die Schluss­fol­ge­rung aus all dem lau­tet:

  • In der Daseins­vor­sor­ge hat finan­zi­el­le Steue­rung nichts ver­lo­ren.
  • Not­wen­dig ist Sach­steue­rung statt finan­zi­el­ler Steue­rung.
  • Not­wen­dig ist auch die Tren­nung der Ver­gü­tung der Leis­tungs­er­brin­ger von der Leis­tungs­er­brin­gung.
  • Im Kran­ken­haus­be­reich bedeu­tet das, wir brau­chen die Selbst­kos­ten­de­ckung 2.0, die voll­stän­di­ge Abschaf­fung der DRGs und ein Gewinn­ver­bot.

In Deutsch­land gab es die Selbst­kos­ten­de­ckung zwi­schen 1972 und 1984. Alle wirt­schaft­lich ent­stan­de­nen Kos­ten muss­ten von den Kas­sen refi­nan­ziert wer­den. Unter­jäh­rig erfolg­te die Ver­gü­tung der Kran­ken­häu­ser über tages­glei­che Pfle­ge­sät­ze. Am Jah­res­en­de wur­de »spitz« abge­rech­net: Über­zah­lun­gen im Ver­hält­nis zu den ent­stan­de­nen Kos­ten muss­ten zurück­ge­zahlt wer­den, Unter­zah­lun­gen muss­ten von den Kas­sen nach­fi­nan­ziert wer­den. Gewin­ne waren damit gesetz­lich ver­bo­ten. Die Kas­sen hat­ten das Recht, die Wirt­schaft­lich­keit zu prü­fen. So bestan­den kei­ne Anrei­ze zu unnö­ti­ger Leis­tungs­aus­deh­nung auf Kos­ten der Patient*innen und zu (Per­so­nal-) Kos­ten­dum­ping.

Ein ers­ter Ein­stieg in die Selbst­kos­ten­de­ckung wäre es, wenn – wie bei der Pfle­ge am Bett – alle Per­so­nal­kos­ten zu 100% refi­nan­ziert wür­den.

Zusam­men­fas­sung

In unse­rer 1. Stel­lung­nah­me vom 11.01.2023 zu den Vor­schlä­gen der Regie­rungs­kom­mis­si­on hat­ten wir geschrie­ben: »Betrach­tet man das Gesamt­in­stru­men­ta­ri­um, das die Kom­mis­si­on vor­schlägt, liegt der star­ke Ver­dacht nahe, dass genau die­ser Miss­brauch das wesent­li­che Anlie­gen der Pla­nungs­vor­schlä­ge ist und damit noch wei­te­rer Bet­ten­ab­bau und Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen die Fol­ge sein wer­den« und: »Die groß ange­kün­dig­te Finan­zie­rungs­re­form ist letzt­lich ein Eti­ket­ten­schwin­del.«

Dar­an hat sich nichts geän­dert. Unse­re Gesamt­be­wer­tung zum KHVVG lau­tet wei­ter­hin: »Mas­si­ver Abbau droht, Finanz-›Revolution‹ fällt aus«.

Auch wenn das KHVVG jetzt ver­ab­schie­det wur­de, ist der Kampf für eine kos­ten­de­cken­de Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung und um die Abschaf­fung der DRGs nicht been­det. Auch Ände­run­gen an beson­ders gefähr­li­chen Tei­len des KHVVG (z.B. den Min­dest­zah­len, eine Ver­schär­fung des Leis­tungs­grup­pen­sys­tems und der Qua­li­täts­kri­te­ri­en, sowie ver­bes­ser­te Aus­nah­me­re­ge­lun­gen), ste­hen bereits in die­sem Jahr an und kön­nen von uns beein­flusst wer­den.

  1. Zah­len aus Desta­tis Grund­da­ten der Kran­ken­häu­ser 2023 und 1991 ↩︎
  2. Stand­ort­de­fi­ni­ti­on: Ent­fer­nung mehr als 2000 m ↩︎
  3. Defi­ni­ti­on: durch­schnitt­li­che Fahrt­zei­ten über­schrei­ten »für einen erheb­li­chen Teil der Ein­woh­ner des Ein­zugs­ge­biets« in All­ge­mei­ne Inne­re Medi­zin und All­ge­mei­ne Chir­ur­gie 30 Minu­ten, bei den übri­gen Leis­tungs­grup­pen 40 Minu­ten ↩︎
  4. Die Ermäch­ti­gung muss im haus­ärzt­li­chen Bereich erteilt wer­den, im fach­ärzt­li­chen Bereich, wenn kei­ne Zulas­sungs­be­schrän­kung besteht. ↩︎
  5. Die varia­blen Sach­kos­ten sind ein erheb­li­cher Teil der Gesamt­kos­ten. Bei einer Blind­darm­ent­fer­nung sind es ca. 14%, bei einem künst­li­chen Knie­ge­lenk ca. 30%. ↩︎
  6. Die Fall­schwe­re ent­spricht der Höhe des jewei­li­gen Rela­tiv­ge­wichts ↩︎


Diskussion

  1. Inter­es­san­te Ana­ly­se! Ich bin gespannt, was davon jetzt noch von der neu­en Koali­ti­on umge­setzt wird. Die es ja nun doch auch so wei­ter­füh­ren will, obwohl noch vor weni­gen Mona­ten dage­gen gewet­tert wur­de

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