von Kai Mosebach
Mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) endet eine Phase der Krankenhauspolitik, die stark vom fallpauschalorientierten Vergütungssystem (G‑DRG-System) geprägt war. Karl Lauterbach spricht von einer »Krankenhausrevolution« mit dem Ziel, die Versorgung auf Qualität zu stellen und die Ökonomisierung zu reduzieren. Dieser Beitrag untersucht vor diesem Hintergrund vier zentrale Fragen1:
- Bestehen ungleiche Wettbewerbsvorteile zwischen Krankenhausträgern?
- Führen kommunale Zuschüsse zu Ungleichheiten im ›Wettbewerb‹?
- Variiert der Profitdruck nach Trägerschaft?
- Trägt Trägervielfalt tatsächlich zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Qualität bei?
Wettbewerb im Krankenhaussektor
Theoretisch sollte Wettbewerb auf dem Behandlungsmarkt funktionieren, in der Praxis tut er das jedoch kaum. Patient*innen orientieren sich selten an objektiven Qualitätskriterien, sondern an ärztlichen Empfehlungen oder Notfallentscheidungen. Wettbewerb ist daher vor allem in elektiven und planbaren Leistungsbereichen möglich2. Hier konkurrieren spezialisierte Zentren um überregionale Patient*innenströme, wozu in der Regel noch Konkurrenz zwischen stationären und ambulanten Anbieter hinzukommt (Hybrid-DRGs). Die langjährige Politik der Konsolidierung von Krankenhausstrukturen einerseits und die Öffnung der Sektoren andererseits beeinflusst die Krankenhausplanung und fördert die Bildung großer Verbund- und Netzwerkstrukturen3.
Krankenhäuser befinden sich oft in einer paradoxen Wettbewerbssituation: Einerseits sollen sie wirtschaftlich arbeiten, andererseits besteht eine öffentliche Erwartung an flächendeckende Versorgung. Gerade in ländlichen Gebieten, in denen die Krankenhausdichte abnimmt, zeigt sich, dass der Wettbewerb nicht um Patient*innen, sondern oftmals um wirtschaftliche Überlebensfähigkeit geführt wird. Das führt zu unnötigen Behandlungen oder zu Verweigerungen von nötigen Behandlungen, aber auch zur Einschränkung von psychosozialen Pflegeleistungen4.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Patient*innensteuerung durch Ärzt*innen. Da viele Patient*innen sich nicht aktiv für ein Krankenhaus entscheiden (können), sondern durch ärztliche Überweisungen oder Rettungsdienste dorthin gelangen, ist der Wettbewerb weniger von Patient*innenautonomie geprägt als von Netzwerken zwischen Ärzt*innen und Kliniken. Dies zeigt, dass Marktmechanismen wie vorgesehen auf dem Behandlungsmarkt von der »Angebotsseite« gesteuert werden, patient*innengesteuerter Wettbewerb somit kaum funktioniert. Wettbewerb im Krankenhaussektor bedeutet dabei vor allem, die Patient*innen als »Erlösträger« oder »Kostenrisiko« zu betrachten, mit allen möglichen Effekten der sozialen Selektion und Fragmentierung der Versorgung5.
In Deutschland wird oft das alternative Konzept des Qualitätswettbewerbs (auf dem Leistungsmarkt, also durch Kassen als ›Sachwalter‹ der Patient*innen) angeführt, doch in der Praxis bleibt es schwierig umzusetzen 6. Zwar gibt es Krankenhaus-Rankings und Qualitätssicherungssysteme, doch haben Patient*innen oft keinen direkten Zugriff auf aussagekräftige Daten oder verstehen diese nicht ausreichend. Zudem sind Entscheidungen im medizinischen Bereich stark von subjektiven Faktoren geprägt, wie dem Vertrauen in Ärzt*innen und regionale Versorgungsstrukturen. Und die Kassen haben bislang wenig Zugriff auf die »Wahlentscheidungen« der Ärzt*innen bzw. Patient*innen. Kommerzielle Interessen der Krankenhausträger scheinen zu obsiegen7.
Profitdruck und Trägerschaft
Privatwirtschaftliche Krankenhausträger müssen gewinnmaximierend arbeiten, während freigemeinnützige und öffentliche Krankenhäuser lediglich finanzielle Überschüsse erwirtschaften müssen. Das modifizierte G‑DRG-System zwingt allerdings weiterhin jeden Träger zu betriebswirtschaftlicher Optimierung: Kostensenkung und/oder Produktivitätssteigerung. Privatwirtschaftliche Anbieter haben den Vorteil, später in den Markt eingetreten zu sein und sich auf lukrative Bereiche zu konzentrieren. Die öffentlichen und freigemeinnützigen Träger sichern meist die generelle Grundversorgung ab, auch wenn dies in Bezug auf die Bundesländer durchaus variieren kann8.
Die ökonomische Ausrichtung der Träger führt zu unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Strategien. Während private Anbieter oft spezialisierte Leistungen im Rahmen netzwerkartiger Strukturen von eher kleineren Häusern mit hohen Erlösmöglichkeiten bündeln, tragen öffentliche und freigemeinnützige Krankenhäuser einen Großteil der Schwerpunkt- und Maximalversorgung. Dadurch entsteht eine Schieflage: Während wirtschaftlich lukrative Patient*innenströme gezielt von privaten Trägern angesprochen werden können, bleibt die kostenintensive Basisversorgung überwiegend bei den anderen Trägern; das hat auch mit deren nicht so akzentuierten Rentabilitätsorientierungen zu tun9.
Zudem hat sich seit der Einführung des G‑DRG-Systems und der Zunahme privatwirtschaftlicher Trägerorganisationen eine wachsende »Finanzialisierung« des Krankenhaussektors herausgebildet. Private Klinikketten agieren nach wirtschaftlichen Kennzahlen und sind darauf ausgelegt, Renditen zu erwirtschaften10. Dies kann dazu führen, dass medizinische Entscheidungen durch betriebswirtschaftliche Erwägungen beeinflusst werden, etwa indem bestimmte Behandlungen priorisiert oder unrentable Abteilungen geschlossen werden. KI-gesteuerte Diagnose- und Therapietools können dabei durchaus zur »Optimierung« des Erlösziels verwendet werden, wenn ihre Anwendung nicht bedarfsorientiert und qualitätsgesichert reguliert wird.
Auch öffentliche und freigemeinnützige Krankenhäuser sind betriebswirtschaftlichen Zwängen unterworfen. Obwohl sie keine renditemaximierenden Shareholder befriedigen müssen, unterliegen sie dennoch einem strukturellen Kostendruck. Dieser zwingt sie oft zu Einsparungen, die sich negativ auf die Versorgungsqualität auswirken können11. Vor allem in Zeiten steigender Personalkosten und höherer regulatorischer Anforderungen stellt sich die Frage, ob die Finanzierungssysteme eine nachhaltige Krankenhauslandschaft ermöglichen. Vorhaltekosten können neben dem Pflegebudget und Personalkostenbudgets für andere Gesundheitsberufe im Prinzip helfen, den Kostendruck abzudämpfen; da aber auch hier in der Regel nur »pauschale« Werte angesetzt werden, bleiben ökonomische Anreizstrukturen bestehen, die Erlösmaximierung begünstigen (sog. Korridoreffekte bei den Vorhaltekosten).
Kommunale Zuschüsse und Wettbewerbsverzerrung
Privatwirtschaftliche Träger kritisieren kommunale Zuschüsse als wettbewerbsverzerrend. Allerdings sind diese oft notwendig, um ungleiche Ausgangsbedingungen auszugleichen. Unterschiede in Personalpolitik und Tarifstrukturen führen dazu, dass öffentliche Krankenhäuser höhere Kosten haben. Die Einführung des Pflegebudgets und Mindestpersonalvorgaben sollten dem Anreiz des Vergütungssystems, Personalkosten zu drücken, entgegenwirken. Dennoch bleibt die Problematik, dass ungleiche Kostenstrukturen zwischen den Trägern den Wettbewerb »verzerren«.
Dies betrifft besonders die Anwendung und Wirkung von tariflichen Regelungen. Während kommunale Krankenhäuser oft tarifgebunden sind, können private Krankenhäuser flexibler agieren und mit günstigeren Löhnen wirtschaften. Dies verstärkt die Konkurrenz, da öffentliche Krankenhäuser in Personalkosten stärker belastet werden. Die Frage ist, ob kommunale Zuschüsse tatsächlich eine Wettbewerbsverzerrung darstellen oder eher eine notwendige Kompensation für strukturelle Nachteile sind. Die Re-Finanzierung der durchschnittlichen Tarifsteigerungen bei den Personalkosten im Rahmen des KHVVG ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, sie deckt aber in keiner Weise die gesamten Personalkosten ab. Es kommt noch hinzu, dass Häuser, die unter Tarif zahlen damit bevorteilt werden. Eine einheitliche Tarifstruktur für alle Krankenhausträger wäre also der notwendige nächste Schritt.
Kommunale Zuschüsse werden perspektivisch weiter an Bedeutung gewinnen, wenn kleinere Häuser zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Ohne staatliche Unterstützung droht vielen Kliniken die Schließung, was die regionale Versorgung massiv beeinträchtigen könnte (inwieweit das avisierte Sondervermögen einer möglichen GroKo unter Friedrich Merz hier helfen kann, bleibt offen). Gerade in strukturschwachen Gebieten kann eine solche Entwicklung dazu führen, dass Patient*innen weite Wege zurücklegen müssen, um eine angemessene Behandlung zu erhalten. Ob sog. Level-1a-Kliniken, die auf eine stärkere Verzahnung von ambulanten mit stationären Strukturen im Rahmen des KHVVG abzielen, diese Versorgungsprobleme auffangen können, ist bislang völlig offen.
Abschied von der Trägervielfalt
Die Reform fördert eine Zentralisierung und Konzentration von Krankenhausstrukturen. Der Wettbewerb im stationären Bereich wird zunehmend von großen Verbünden dominiert werden, wodurch kleinere, unabhängige Krankenhäuser zunehmend unter Druck geraten. Trägervielfalt bedeutet dabei weniger Wettbewerb vieler Anbieter um die beste Versorgung als vielmehr eine träger- und verbundbasierte Differenzierung in spezialisierte Strukturen der Kranken(haus)versorgung. Die Rede von der Trägervielfalt ist zudem ein Zugeständnis an die faktische Unterschiedlichkeit von Trägerstrukturen in den Bundesländern, also: legitimatorische Politikrhetorik. Trägervielfalt bei ungleichen Personalkostenstrukturen fördert die Schwächung der öffentlichen Krankenhausträger.
Durch die geplante Krankenhausreform werden finanzielle Engpässe kleinerer Kliniken weiter verschärft, was zu einer verstärkten Marktbereinigung führen könnte; das ist ja auch ausgesprochenes Ziel des KHVVG. Während Befürworter*innen darin eine Effizienzsteigerung sehen, warnen Kritiker*innen vor Versorgungslücken in strukturschwachen Regionen. Der Trend zur Zentralisierung wird dazu führen, dass nur noch wenige große Träger die Krankenhauslandschaft dominieren. Die (intransparente) Krankenhausplanung steht vor schwierigen Entscheidungen für die Versorgung vor Ort.
Auch das Vorhaltebudget stellt keine vollumfängliche Lösung dar, da es nur bestimmte strukturelle Kosten abdeckt, aber nicht die (problematischen) grundsätzlichen Anreiz-Mechanismen des DRG-Systems (= Mengenausweitung und Rationierung12) aufhebt. Letztlich bleibt der wirtschaftliche Druck auf Krankenhäuser bestehen, was dazu führen kann, dass wirtschaftliche Erwägungen weiterhin einen erheblichen Einfluss auf die medizinische Versorgung haben werden.
Fazit
Die Krankenhausreform setzt zwar neue Qualitätsstandards und Vorhaltebudgets ein, doch eine echte Entökonomisierung findet nicht statt. Vielmehr bleibt der finanzielle Druck – wenn auch in modifizierter Form – bestehen, und der Markt wird sich weiter in Richtung großer und wirtschaftlich dominanter Einheiten entwickeln. Gewinnanreize und Kostenoptimierung stehen weiterhin im Mittelpunkt, was die Gefahr birgt, dass wirtschaftliche Erwägungen die Versorgungsqualität beeinflussen. Dabei ist gegen die Bildung von größeren Versorgungssystemen grundsätzlich nichts einzuwenden, insofern sie bedarfsorientierte und dezentralisierte Strukturen ermöglichen. Der britische NHS ist in seinem Ursprung ebenfalls als sein großes integriertes Versorgungssystem zu betrachten.
Um eine echte Entökonomisierung zu erreichen und eine sektorenübergreifende bedarfsorientierte Versorgung zu ermöglichen, müssten Gewinnanreize und der betriebswirtschaftliche Zwang zur Rentabilität grundlegend hinterfragt und reguliert werden, und zwar im stationären wie im ambulanten Sektor13. Andernfalls bleibt das Gesundheitswesen in Zukunft weiter durch das Vordringen kommerzieller Interessen geprägt, anstatt sich primär an patientenzentrierten und bedarfsorientierten Versorgungsmodellen auszurichten. Dies erfordert eine politische Debatte über den Stellenwert von Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sowie die Frage, inwieweit Versorgungssicherheit durch öffentliche (kommunale) Strukturen gewährleistet werden kann14.
Kai Mosebach ist Dozent für Gesundheitswissenschaft, Gesundheitspolitik und Gesundheitsökonomie und arbeitet bei der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen im Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen
Eine Liste mit Literaturhinweisen erhalten Sie bei der Redaktion: kontakt@vdaeae.de
Die DOI zu der Langfassung des VDÄÄ-Beitrags ist mit »Wendezeit(en) in der Krankenhauspolitik? Wettbewerbsbedingungen im stationären Sektor, die Lauterbach’sche ‚Krankenhausrevolution’ und das Gespenst der systemischen Kommerzialisierung betitelt« und hier zu lesen: http://dx.doi.org/10.13140/RG.2.2.21537.11367
- s. ausführlicher: Mosebach 2025a ↩︎
- Wasem/Geraedts 2011 ↩︎
- Wörz 2008; Vogd 2011; Mosebach 2013a, 2026 ↩︎
- Zander et al. 2014; BMF 2018; Wehkamp/Nagele 2018 ↩︎
- Kühn 1993, 2004 ↩︎
- Wasem/Geraedts 2011; Cassel/Wasem 2014 ↩︎
- Mosebach 2013b; Maio 2014, 2019 ↩︎
- Mosebach 2013a, 2026 ↩︎
- Mosebach 2013a, 2026 ↩︎
- Heubel et al. 2010 ↩︎
- Simon 2019, 2020 ↩︎
- s. Kühn 2004 u. Mosebach 2025b ↩︎
- Deppe 2011; Maio 2014 ↩︎
- Simon 2020, 2023; Mosebach 2025b, 2026 ↩︎
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