Neu­es Kapi­tel der pro­gram­ma­ti­schen Grund­la­gen des vdää*

Kli­ma, Umwelt und Gesund­heit

Zusam­men­fas­sung

Die glo­ba­le Erwär­mung, die Zer­stö­rung von Öko­sys­te­men und der Ver­lust natür­li­cher Lebens­grund­la­gen stel­len eine mas­si­ve Bedro­hung für die glo­ba­le Gesund­heit dar. Ver­ur­sacht wird die Kli­ma- und Umwelt­kri­se durch den über­mä­ßi­gen Res­sour­cen­ver­brauch der welt­wei­ten kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­wei­se. Obwohl die Pro­blem­ana­ly­se seit Jahr­zehn­ten ein­deu­tig ist, haben die domi­nie­ren­den poli­ti­schen Kräf­te nicht zur Lösung des Pro­blems bei­getra­gen, im Gegen­teil: Der Res­sour­cen­ver­brauch hat sich in den letz­ten 50 Jah­ren ver­drei­facht. Zuneh­men­de Auf­rüs­tung und Krie­ge füh­ren zusätz­lich zu den mensch­li­chen Opfern auch zu wei­te­ren öko­lo­gi­schen Belas­tun­gen. Zur Begren­zung der Kli­ma- und Umwelt­zer­stö­rung ist eine radi­ka­le sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on nötig. Um einen nach­hal­ti­gen und umfas­sen­den öko­lo­gi­schen Umbau des Gesund­heits­we­sens zu ermög­li­chen, bedarf es sowohl einer Über­win­dung der Öko­no­mi­sie­rung, als auch soli­da­ri­scher, bedarfs­ge­rech­ter Finan­zie­rung und demo­kra­ti­scher Pla­nung.

1. Kli­ma- und Umwelt­kri­se, Gesund­heit und ihre sozia­len Dimen­sio­nen

Die Aus­wir­kun­gen der Kli­ma- und Umwelt­kri­se auf die glo­ba­le Gesund­heit, u.a. durch extre­me Wet­ter­be­din­gun­gen, Zunah­me von Infek­ti­ons­krank­hei­ten, Trink­was­ser- und Lebens­mit­tel­knapp­heit, neh­men rasant zu. Die­se Pro­ble­me erwei­tern bekann­te men­schen­ge­mach­te Umwelt­ge­fah­ren: Luft- und Was­ser­ver­schmut­zung, Lärm­be­las­tung, Fol­gen „zivi­ler“ und mili­tä­ri­scher Nut­zung der Kern­ener­gie, wach­sen­de Rüs­tungs­in­dus­trie und Krieg, indus­tri­el­le Land­wirt­schaft, Tier­hal­tung und Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on. Neben den unmit­tel­ba­ren gesund­heit­li­chen Fol­gen führt die Kli­ma- und Umwelt­kri­se zu einer Ver­schär­fung gesell­schaft­li­cher Ungleich­heit, zu Krie­gen, zu poli­ti­scher Insta­bi­li­tät und erzwun­ge­ner Migra­ti­on.

Sozi­al benach­tei­lig­te Men­schen, die durch ihren nied­ri­gen mate­ri­el­len Lebens­stan­dard am wenigs­ten zur Kli­ma- und Umwelt­kri­se bei­getra­gen haben, bekom­men die Aus­wir­kun­gen bereits jetzt am stärks­ten zu spü­ren. Dem­ge­gen­über sichern die reichs­ten und mäch­tigs­ten Bevöl­ke­rungs­schich­ten ihren Wohl­stand auf Kos­ten der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung und kön­nen sich am bes­ten vor den gesund­heits­schäd­li­chen Fol­gen schüt­zen.

Ver­schärft wer­den die­se Fol­gen durch eine zuneh­men­de Öko­no­mi­sie­rung gesell­schaft­li­cher Insti­tu­tio­nen der Daseins­vor­sor­ge, in Form von Unter­fi­nan­zie­rung, Pri­va­ti­sie­rung und Kom­mer­zia­li­sie­rung sowie durch öko­no­mi­sche Kri­sen, sodass ins­ge­samt die Mög­lich­kei­ten für eine adäqua­te Gesund­heits­ver­sor­gung erheb­lich ein­ge­schränkt wer­den.

2. Für eine radi­ka­le sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on

Ver­ur­sacht wird die Kli­ma­kri­se durch den mas­si­ven Aus­stoß von Treib­haus­ga­sen (THG), der durch das kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­sys­tem und den die­sem inne­woh­nen­den Wachs­tums­zwang ange­trie­ben wird. Seit Jahr­zehn­ten beschreibt dies­be­züg­li­che For­schung die­se Pro­blem­la­ge. Neben der Ver­bren­nung fos­si­ler Roh­stof­fe und der damit fort­schrei­ten­den Erd­er­wär­mung ist der wach­sen­de Res­sour­cen­ver­brauch auch für die groß­flä­chi­ge Zer­stö­rung von Öko­sys­te­men ver­ant­wort­lich. Zu die­ser trägt auch die Erzeu­gung „grü­ner” Ener­gien bei, z.B. durch Abbau von Metal­len und sel­te­nen Erden und die Pro­duk­ti­on von „Bio-Treib­stof­fen“. Nach Schät­zun­gen wer­den zudem 5,5 % aller THG-Emis­sio­nen durch das Mili­tär ver­ur­sacht, wobei die Aus­wir­kun­gen von Krie­gen dar­in noch nicht berück­sich­tigt sind. Die welt­wei­te Auf­rüs­tung und Krie­ge ver­schär­fen die Kli­ma- und Umwelt­kri­se in jeder Hin­sicht.

Die aktu­ell hege­mo­nia­len Stra­te­gien zur Reduk­ti­on der THG-Emis­sio­nen (Miti­ga­ti­on) und zur Kli­ma­fol­gen­an­pas­sung (Adapt­a­ti­on) set­zen auf Ent­kopp­lung von Wirt­schafts­wachs­tum und THG-Emis­sio­nen, sowie auf Umwelt­schutz­maß­nah­men inner­halb des bestehen­den Wirt­schafts­sys­tems (“grü­nes Wachs­tum”, “grü­ner Kapi­ta­lis­mus”). Oft ste­hen tech­ni­sche Lösun­gen für ein­zel­ne Aspek­te öko­lo­gi­scher Pro­ble­me im Zen­trum die­ser Stra­te­gien, dar­un­ter auch sol­che Tech­no­lo­gien, bei denen unklar ist, ob sie über­haupt recht­zei­tig und in aus­rei­chen­der Ska­lie­rung ange­wen­det wer­den kön­nen. Sol­che Her­an­ge­hens­wei­sen an eine öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on schät­zen wir ange­sichts der tat­säch­lich statt­fin­den­den gesell­schaft­li­chen Dyna­mik weder als rea­lis­tisch in Bezug auf eine erfolg­rei­che Reduk­ti­on der THG-Emis­sio­nen noch als erstre­bens­wer­te Per­spek­ti­ve ein. Selbst wenn eine öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­on mög­lich sein soll­te, wür­den die damit untrenn­bar ver­bun­de­nen sozia­len Miss­stän­de wie sozio­öko­no­mi­sche Unsi­cher­heit, Aus­beu­tung und feh­len­de demo­kra­ti­sche Selbst­be­stim­mung sowie die dar­aus resul­tie­ren­den Gesund­heits­schä­di­gun­gen für die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung fort­be­stehen oder gar ver­schärft.

Tech­no­lo­gien, die THG-freie Ener­gie­er­zeu­gung ermög­li­chen oder den THG-Gehalt in der Atmo­sphä­re redu­zie­ren, kön­nen und soll­ten, unter der Vor­aus­set­zung einer umfas­sen­den sozi­al aus­ge­rich­te­ten Tech­no­lo­gie­fol­gen­ab­schät­zung, einen Bei­trag zur Reduk­ti­on der THG-Emis­sio­nen leis­ten. Auf einer grund­le­gen­den Ebe­ne jedoch exis­tie­ren inner­halb der bestehen­den Wirt­schafts­ord­nung nicht zu über­win­den­de Hür­den für wirk­sa­me Kli­ma- und Umwelt­schutz­stra­te­gien, die auch die mög­li­chen posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen neu­er Tech­no­lo­gien kon­ter­ka­rie­ren. Ein zen­tra­les Pro­blem besteht in der Abhän­gig­keit der Staa­ten, Gesell­schaf­ten und Unter­neh­men von Wirt­schafts­wachs­tum und somit der Funk­ti­ons­fä­hig­keit kapi­ta­lis­ti­scher Pro­duk­ti­on. Arbeits­plät­ze, die das täg­li­che Leben der Lohn­ab­hän­gi­gen ermög­li­chen, und Steu­er­ein­nah­men, mit denen Wohl­fahrts­staa­ten und die öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on finan­ziert wer­den sol­len, beru­hen damit auf einem Mecha­nis­mus, der die Kli­ma- und Umwelt­kri­se antreibt und öko­no­mi­sche und sozia­le Ungleich­heit her­vor­ruft. Die Sta­bi­li­tät der mäch­tigs­ten Staa­ten und die Geschäfts­mo­del­le der größ­ten Kon­zer­ne beru­hen direkt oder indi­rekt auf der Nut­zung von fos­si­len Roh­stof­fen und umwelt­schäd­li­chen Indus­trien. Die­se Akteu­re set­zen sich wirk­sam für ihre damit ver­bun­de­nen Inter­es­sen ein, d.h. auch für eine Ver­schlep­pung einer öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on. Die seit Jahr­zehn­ten mit ver­schie­de­nen stra­te­gi­schen und poli­tisch-ana­ly­ti­schen Ansät­zen vor­ge­hen­den welt­wei­ten Öko­lo­gie­be­we­gun­gen sind, sofern sie es über­haupt ver­such­ten, dar­in geschei­tert, die grund­le­gen­den Ursa­chen wirk­sam anzu­ge­hen. Effi­zi­enz­ge­win­ne müs­sen unter den Zwän­gen der glo­ba­len Kon­kur­renz zur Stei­ge­rung von Pro­duk­ti­on und Pro­fit genutzt wer­den, statt zu einer Ver­min­de­rung des Res­sour­cen­ver­brauchs bei­zu­tra­gen.

Auch die für einen öko­lo­gi­schen Wan­del nöti­gen Roh­stof­fe wer­den im Rah­men der glo­ba­len öko­no­mi­schen Ungleich­heit extra­hiert, was zur Exter­na­li­sie­rung von Umwelt- und Gesund­heits­schä­den führt. Tat­säch­lich zeigt sich, dass die­se Stra­te­gie bis­lang vor allem zur loka­len Reduk­ti­on von THG-Emis­sio­nen durch Ver­la­ge­rung von ener­gie­in­ten­si­ven und umwelt­schäd­li­chen Indus­trien aus den reichs­ten und mäch­tigs­ten Staa­ten in ande­re, ärme­re Welt­re­gio­nen geführt hat. Die glo­ba­le Kon­kur­renz um Roh­stof­fe und natür­li­che Lebens­grund­la­gen äußert sich zuneh­mend in poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Kon­flik­ten, ins­be­son­de­re wäh­rend der Zuspit­zung öko­no­mi­scher Kri­sen­si­tua­tio­nen. Die­se Ent­wick­lun­gen wer­den von einer wei­te­ren Auf­lö­sung men­schen- und völ­ker­recht­li­cher Ver­ein­ba­run­gen beglei­tet, zu beob­ach­ten bei­spiels­wei­se in der eska­lie­ren­den Abschot­tungs­po­li­tik der euro­päi­schen Staa­ten.

Eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Zusam­men­hang von Kli­ma­wan­del und Gesund­heit soll­te sich vor die­sem Hin­ter­grund weder auf medi­zi­ni­sche Fra­gen im enge­ren Sinn noch auf die Ein­rich­tun­gen des Gesund­heits­we­sens beschrän­ken – sie soll­te die Ursa­chen sowohl der Kli­ma- und Umwelt­kri­se als auch der sozia­len Miss­stän­de und Ungleich­hei­ten erfor­schen, benen­nen und bekämp­fen. Schon eine mode­ra­te Poli­tik der Ein­däm­mung der Kli­ma- und Umwelt­kri­se und soli­da­ri­scher Adapt­a­ti­on macht Kon­flik­te mit den Pro­fi­teu­ren der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­wei­se unver­meid­bar. Eine grund­le­gen­de­re sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on wür­de nicht umhin­kom­men, gan­ze Pro­duk­ti­ons­zwei­ge und Wirt­schafts­be­rei­che (vor allem der fos­si­len Indus­trie) im Sin­ne gesell­schaft­li­cher Bedar­fe ein­zu­schrän­ken oder umzu­or­ga­ni­sie­ren.

Stra­te­gien, die pri­mär auf öko­lo­gisch nach­hal­ti­ge Ver­hal­tens­wei­sen von indi­vi­du­el­len und insti­tu­tio­nel­len Konsument*innen abzie­len, sind kein Ersatz dafür, grund­sätz­li­che poli­ti­sche Kon­flik­te um wirk­sa­me Ein­däm­mungs­stra­te­gien aus­zu­tra­gen. Wenn sie die Auf­merk­sam­keit von die­sen Aus­ein­an­der­set­zun­gen ablen­ken, kön­nen sie grund­sätz­li­che Fort­schrit­te in Miti­ga­ti­on und Adapt­a­ti­on sogar behin­dern. Eine Stra­te­gie zur Ein­däm­mung der Kli­ma- und Umwelt­kri­se und zur gesund­heits­för­dern­den Adapt­a­ti­on hat daher nur Aus­sicht auf Erfolg, wenn sie eine grund­le­gen­de Ver­än­de­rung der gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se zur Natur beinhal­tet. Das ver­weist auf die Not­wen­dig­keit einer Über­win­dung der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­wei­se, das heißt der Logik von Pro­fit und pri­va­ter Ver­fü­gungs­ge­walt über die gesell­schaft­li­chen und natür­li­chen Res­sour­cen sowie der Logik des Zwangs zu stän­di­gem Wachs­tum der Pro­duk­ti­on.

3. Sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on im Gesund­heits­we­sen

Vie­le im Gesund­heits­we­sen Täti­ge erle­ben die gesund­heit­li­chen Fol­gen der Kli­ma- und Umwelt­kri­se direkt in ihrem Arbeits­all­tag. Auf­grund der engen Bezie­hung zu den Patient*innen in ihren Lebens­um­fel­dern und der unmit­tel­ba­ren Wahr­neh­mung der gesund­heit­li­chen Aus­wir­kun­gen von Kli­ma- und Umwelt­kri­sen kann ihnen daher eine spe­zi­fi­sche Rol­le zukom­men. Auf Grund­la­ge der oben dar­ge­stell­ten Zusam­men­hän­ge kann sich die­se jedoch nicht dar­auf beschrän­ken, auf das indi­vi­du­el­le Ver­hal­ten von Patient*innen ein­zu­wir­ken. Viel­mehr haben die im Gesund­heits­we­sen Täti­gen und Berufs­ver­bän­de die Ver­ant­wor­tung, ihr Fach­wis­sen über die indi­vi­du­el­le Behand­lung der Patient*innen hin­aus auf kol­lek­ti­ver Ebe­ne für eine soli­da­ri­sche Kli­ma- und Umwelt­po­li­tik inner­halb des Gesund­heits­we­sens und dar­über hin­aus ein­zu­set­zen.

Initia­ti­ven zur Ver­klei­ne­rung des Res­sour­cen­ver­brauchs im Gesund­heits­we­sen ohne Ein­schrän­kung der Ver­sor­gungs­qua­li­tät sind drin­gend not­wen­dig. Sie soll­ten durch wei­te­re For­schung unter­stützt und in der Ver­sor­gungs­pra­xis umge­setzt wer­den. Aller­dings fehlt den Ver­sor­gungs­struk­tu­ren oft die Mög­lich­keit, einen nach­hal­ti­gen kli­ma­neu­tra­len Umbau oder zumin­dest öko­lo­gi­sche Pro­jek­te in die­sem Bereich selbst zu finan­zie­ren. Der Inves­ti­ti­ons­stau wegen feh­len­der staat­li­cher Gel­der, z.B. im Kran­ken­haus­we­sen, ist schon ohne öko­lo­gi­sche Umbau­ten immens. Austeri­täts­po­li­tik und Schul­den­brem­se als neo­li­be­ra­le Staats­rä­son sind der Grund für staat­li­che Inves­ti­ti­ons­un­ter­fi­nan­zie­rung. Hin­zu kommt, dass durch die­se Poli­tik Kran­ken­häu­ser ihrer gesell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung immer weni­ger nach­kom­men kön­nen.

Oft ste­hen öko­lo­gisch nach­hal­ti­ge Ver­än­de­rungs­po­ten­tia­le im Kon­flikt mit den Vor­ga­ben eines öko­no­mi­sier­ten und zuneh­mend pri­va­ti­sier­ten Gesund­heits­sys­tems, in dem kurz­fris­ti­ge betriebs­wirt­schaft­li­che Kos­ten­re­duk­ti­on und Pro­fit­ma­xi­mie­rung zen­tra­le Prin­zi­pi­en dar­stel­len. Dies führt zu Über- Unter- und Fehl­ver­sor­gung, sowie unnö­ti­gem Res­sour­cen­ver­brauch. Auch aus öko­lo­gi­schen Grün­den sind die­se Rah­men­be­din­gun­gen zu kri­ti­sie­ren und zu ver­än­dern.

Um einen nach­hal­ti­gen und umfas­sen­den öko­lo­gi­schen Umbau des Gesund­heits­we­sens zu ermög­li­chen, ist eine bedarfs­ge­rech­te Finan­zie­rung ohne austeri­täts­po­li­ti­sche Zwän­ge, ohne Anrei­ze zur Über­ver­sor­gung und ohne die Mög­lich­keit pri­va­ter Gewin­ne not­wen­dig. Eine nicht gewinn‑, son­dern bedarfs­ori­en­tier­te Ver­fasst­heit ist kei­ne Garan­tie, aber eine not­wen­di­ge Bedin­gung für die Besei­ti­gung der Ver­schwen­dung mensch­li­cher, finan­zi­el­ler und stoff­li­cher Res­sour­cen im Gesund­heits­we­sen. Eine sol­che Aus­rich­tung auf gesell­schaft­li­che statt auf pri­vat­wirt­schaft­li­che Zwe­cke wie­der­um ist nur zu gewähr­leis­ten, wenn die Struk­tu­ren des Gesund­heits­we­sens in demo­kra­tisch ver­wal­te­tes öffent­li­ches oder gemein­nüt­zi­ges Eigen­tum über­führt wer­den.

Die öffent­li­che Gesund­heits­ver­sor­gung muss fach­lich und struk­tu­rell auf die Kon­se­quen­zen der fort­schrei­ten­den Erd­er­wär­mung und der Zer­stö­rung natür­li­cher Lebens­grund­la­gen ein­ge­stellt wer­den. Hier­zu liegt umfas­sen­de Exper­ti­se bspw. sei­tens der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO vor; auch ande­re Akteu­re ver­tie­fen sie unter den Schlag­wör­tern „Pla­ne­ta­ry Health“ und „One Health“ fort­lau­fend. Unter Bei­be­hal­tung der gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se ist zu erwar­ten, dass die sozia­le Ungleich­heit und die Benach­tei­li­gung von Bevöl­ke­rungs­grup­pen noch zuneh­men wer­den und sich die wach­sen­den gesund­heit­li­chen Pro­ble­me noch stär­ker als bis­her sehr unter­schied­lich ver­tei­len wer­den. Dies muss im Rah­men einer sozi­al gerech­ten Adapt­a­ti­on in die Pla­nung der Gesund­heits­ver­sor­gung mit­ein­be­zo­gen wer­den.

Zugleich bedeu­ten die Anfor­de­run­gen an Prä­ven­ti­on und Adapt­a­ti­on, die mit der Kli­ma- und Umwelt­kri­se ein­her­ge­hen, oft auch eine Umver­tei­lung des Res­sour­cen­ein­sat­zes bzw. einen erwei­ter­ten Res­sour­cen­be­darf. Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen dar­über las­sen sich nicht allei­ne inner­halb des Gesund­heits­sys­tems füh­ren, son­dern berüh­ren gesell­schafts­po­li­ti­sche Aus­rich­tun­gen und Ver­tei­lungs­kon­flik­te, sowie Fra­gen glo­ba­ler Aus­beu­tung und imperialistischer/(neo)kolonialer Poli­tik und des Wider­stan­des dage­gen.

4. Rol­le des vdää* in der Kli­ma- und Umwelt­kri­se

Auf der Ver­sor­gungs­ebe­ne unter­stüt­zen wir Ansät­ze, die den Stel­len­wert von Ver­hal­tens- und Ver­hält­nis-Prä­ven­ti­on, Gesund­heits­för­de­rung und spre­chen­der Medi­zin gegen­über einer meist res­sour­cen­in­ten­si­ve­ren, pri­mär krank­heits­ori­en­tier­ten Medi­zin stei­gern. Wir begrü­ßen Initia­ti­ven, die sich fach­lich mit der Reduk­ti­on kli­ma- und umwelt­schäd­li­cher Phar­ma­ka und Medi­zin­pro­duk­te befas­sen. Wei­ter­hin befür­wor­ten wir Maß­nah­men, die ins­be­son­de­re den Schutz vul­nerabler Bevöl­ke­rungs­grup­pen vor den zuneh­men­den Extrem­wet­ter­er­eig­nis­sen und ande­ren Fol­gen der Kli­ma- und Umwelt­kri­se in den Blick neh­men.

Auf der Ebe­ne des Gesund­heits­we­sens kri­ti­sie­ren wir Struk­tu­ren, die hohe THG-Emis­sio­nen und Res­sour­cen­ver­brauch begüns­ti­gen. Dies betrifft ins­be­son­de­re die Öko­no­mi­sie­rung mit der dar­aus resul­tie­ren­den res­sour­cen­in­ten­si­ven Über- und Fehl­ver­sor­gung, aber auch den durch Austeri­täts­po­li­tik ver­ur­sach­ten Inves­ti­ti­ons­stau, der einen öko­lo­gi­schen Umbau der Kran­ken­häu­ser unmög­lich macht. Wir set­zen uns für eine gemein­wohl­ori­en­tier­te, bedarfs­ge­rech­te und evi­denz­ba­sier­te Ver­sor­gung ein. Debat­ten und Bewe­gun­gen für Ver­ge­sell­schaf­tung und demo­kra­ti­sche Pla­nung in ande­ren Berei­chen grei­fen wir auf und über­tra­gen die­se auf das Gesund­heits­we­sen. Wir wol­len auf glo­bal und uni­ver­sell ver­füg­ba­re Ver­sor­gungs­struk­tu­ren hin­ar­bei­ten, die den sich wan­deln­den gesell­schaft­li­chen Bedürf­nis­sen und Umwelt­be­din­gun­gen ent­spre­chen.

Gesamt­ge­sell­schaft­lich set­zen wir uns für Ver­hält­nis­se ein, in denen sowohl eine adäqua­te Reduk­ti­on der Treib­haus­gas­emis­sio­nen und der Umwelt­zer­stö­rung sowie der Schutz und Wie­der­auf­bau von Öko­sys­te­men, als auch eine Über­win­dung der öko­no­mi­schen Ungleich­hei­ten mög­lich sind. In die­sen Aus­ein­an­der­set­zun­gen haben wir nur in brei­ten und auch inter­na­tio­na­len gesell­schaft­li­chen Bünd­nis­sen Aus­sicht auf Erfolg.

In der Zusam­men­ar­beit mit ande­ren gesund­heits­po­li­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen set­zen wir uns des­halb für demo­kra­ti­sche und kapi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Ant­wor­ten auf die Kli­ma- und Umwelt­kri­se ein. Hier­bei brin­gen wir ins­be­son­de­re Kli­ma­ge­rech­tig­keits- und Ver­tei­lungs­fra­gen ein. Initia­ti­ven zur Über­win­dung der pro­fit­ori­en­tier­ten Wachs­tums­ori­en­tie­rung im Gesund­heits­we­sen unter­stüt­zen wir. Die­se wer­den nur Aus­sich­ten auf Erfolg haben, wenn sie bereit sind, grund­le­gen­de gesell­schaft­li­che Kon­flik­te aus­zu­tra­gen.

In Bünd­nis­sen mit der Kli­ma­ge­rech­tig­keits­be­we­gung brin­gen wir unse­re medi­zi­ni­sche und gesund­heits­po­li­ti­sche Exper­ti­se ein. Ins­be­son­de­re unse­re Erfah­rung als Streiter*innen für ein demo­kra­tisch geplan­tes, soli­da­ri­sches und bedarfs­ori­en­tier­tes Gesund­heits­we­sen kann in den Aus­ein­an­der­set­zun­gen um eine demo­kra­tisch geplan­te öko­lo­gi­sche Wirt­schaft wert­voll sein.

Das Aus­maß der Kli­ma­kri­se und die Betrof­fen­heit brei­ter Bevöl­ke­rungs­schich­ten auf der gesam­ten Welt kön­nen ein ver­bin­den­des Moment dar­stel­len. Hier­zu betei­li­gen wir uns dar­an, posi­ti­ve Erzäh­lun­gen und Pra­xen von einer demo­kra­ti­schen, soli­da­ri­schen und öko­lo­gi­schen Gesell­schaft zu ent­wi­ckeln, die statt indi­vi­du­el­lem Ver­zicht sozia­len Fort­schritt in den Fokus rücken.

 Zie­le und For­de­run­gen des vdää*

Der vdää* und sei­ne Mit­glie­der betei­li­gen sich dar­an, die poli­ti­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Vor­aus­set­zun­gen auf­zu­bau­en, die eine Abkehr von der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­wei­se in den Bereich des Mög­li­chen rücken zuguns­ten gesell­schaft­li­cher Ver­hält­nis­se, die öko­lo­gisch nach­hal­ti­ges und auf mensch­li­che Bedürf­nis­se aus­ge­rich­te­tes Wirt­schaf­ten orga­ni­sie­ren kön­nen. 

  1. Gemein­wohl­ori­en­tier­te, bedarfs­ge­rech­te und demo­kra­tisch geplan­te Gesund­heits­ver­sor­gung statt Pro­fit­ori­en­tie­rung, Über- und Fehl­ver­sor­gung
  2. Prä­ven­ti­ve, sozia­le und spre­chen­de Medi­zin unter Ein­be­zie­hung der sozia­len Deter­mi­nie­rung von Gesund­heit aus­bau­en, um den Bedarf an meist res­sour­cen­in­ten­si­ve­ren, tech­ni­sier­ten und phar­ma­ko­lo­gi­schen Inter­ven­tio­nen zu sen­ken
  3. Reduk­ti­on kli­ma- und umwelt­schäd­li­cher Phar­ma­ka und Medi­zin­pro­duk­te ohne Ein­schrän­kung der Ver­sor­gungs­qua­li­tät, sowie wei­te­re For­schung zum res­sour­cen­spa­ren­den und kli­ma­neu­tra­len Umbau des Gesund­heits­we­sens, der Medi­zin­pro­duk­te- und Phar­ma­in­dus­trie
  4. Ärzt*innen, ärzt­li­che Kör­per­schaf­ten und Gewerk­schaf­ten sol­len sich für eine radi­ka­le sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on ein­set­zen und dazu auch mit poli­ti­schen und wis­sen­schaft­li­chen Akteu­ren außer­halb des Gesund­heits­we­sens koope­rie­ren
  5. Arbeits­zeit­re­duk­ti­on und kli­ma­an­ge­pass­te Arbeits­be­din­gun­gen, um Gesund­heits­schä­den zu redu­zie­ren
  6. Gesetz­ge­be­ri­sche Inter­ven­tio­nen und öffent­li­che Inves­ti­tio­nen, die allen Men­schen unein­ge­schränk­ten Zugang zu not­wen­di­gen Res­sour­cen sowie gesun­den Lebens­be­din­gun­gen sichern, Ver­mö­gens- und Ein­kom­mens­un­gleich­heit ver­rin­gern und dafür sor­gen, dass die für die Kli­ma­kri­se haupt­ver­ant­wort­li­chen Akteu­re die Kos­ten der Trans­for­ma­ti­on tra­gen
  7. Glo­ba­le Abrüs­tung und diplo­ma­ti­sche statt mili­tä­ri­sche Kon­flikt­lö­sung

Göt­tin­gen, 25.05.2024

Die­se Kapi­tel des vdää*-Programms wur­de bei der Mit­glie­der­ver­samm­lung 2023 in Mar­burg aus­führ­lich dis­ku­tiert und abge­stimmt. Die MV gab dem Vor­stand den Auf­trag, den Text bis zur Vor­stands­sit­zung im Mai 2024 zu über­ar­bei­ten und zu beschlie­ßen. Der Text wur­de am 25. Mai 2024 vom erwei­ter­ten Vor­stand in Göt­tin­gen beschlos­sen. Das Kapi­tel stellt eine Ergän­zung der pro­gram­ma­ti­schen Grund­la­gen des vdää* dar.



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