Dis­kus­si­on über Impf­pflicht im vdää* Vor­stand

Sie bil­det Argu­men­te für und wider eine all­ge­mei­ne Impf­pflicht gegen Covid-19 ab. Die Pro- und Con­tra-Argu­men­te haben wir im Fol­gen­den gra­phisch unter­schie­den, sie stel­len aber nicht die Aus­sa­gen je einer Per­son dar, son­dern sind aus den Bei­trä­gen zahl­rei­cher Betei­lig­ter zusam­men­ge­stellt. Die­se Betei­lig­ten sind alle als Ärzt*innen tätig und befür­wor­ten die Imp­fung grund­sätz­lich. Kon­tro­vers aller­dings ist die Fra­ge der gesell­schafts­po­li­ti­schen Impli­ka­tio­nen und ob eine Impf­pflicht gerecht­fer­tigt und sinn­voll ist. Auch die­se Dis­kus­si­on behan­delt nicht alle Aspek­te, wir hof­fen aber, dass sie zu Irri­ta­ti­on und Wei­ter­den­ken anregt.

Die For­de­rung nach einer all­ge­mei­nen Impf­pflicht ist popu­lis­tisch. Sie soll nur von den Ver­säum­nis­sen in der Impf­kam­pa­gne und Coro­na­po­li­tik ablen­ken: Weih­nachts­aus­nah­me, kei­ne durch­ge­hen­den Kon­trol­len von 2G/3G, Ver­än­de­rung der Qua­ran­tä­ne­re­ge­lun­gen zur Auf­recht­erhal­tung von Arbeits­ab­läu­fen und nicht aus gesund­heit­li­chen Grün­den etc. Auch mit den heu­te mög­li­chen Maß­nah­men ist noch sehr viel Luft nach oben, und die­se Maß­nah­men soll­ten erst ein­mal aus­ge­schöpft wer­den. Eine Impf­pflicht wäre zudem erst sehr zeit­ver­zö­gert ein­führ­bar und wirk­sam und hät­te bes­ten­falls eine Aus­wir­kung auf Win­ter 2022, ist aber kei­ne Lösung für die aktu­el­le Situa­ti­on.

Weil hin­sicht­lich der Impf­pflicht oft ein Ver­gleich zu den Masern gezo­gen wird, muss fest­ge­hal­ten wer­den, dass dies gar nicht ver­gleich­bar ist. Ein wesent­li­ches Argu­ment für die Masern-Impf­pflicht für Beschäf­tig­te in Kin­der­be­treu­ung, Kran­ken­häu­sern und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen ist, dass Geimpf­te die Erkran­kung nicht wei­ter über­tra­gen kön­nen. Die Imp­fung ist damit ein Schritt in Rich­tung Aus­rot­tung die­ser Krank­heit. Das trifft für COVID-19 nicht zu. Bei der Ein­füh­rung einer Coro­na-Impf­pflicht muss man defi­nie­ren, wie lan­ge der Impf­schutz anhält, wie lan­ge eine Boos­te­rung wirk­sam ist, wel­cher Impf­stoff ver­wen­det wer­den soll und gegen wel­ches Virus oder wel­che Vari­an­te der vor­ge­schrie­be­ne Impf­stoff wirk­sam sein   soll. Für Masern ist all das bekannt, für Coro­na nicht. All die­se Fra­gen sind bis­her wis­sen­schaft­lich noch nicht geklärt. Die For­de­rung ist des­halb auch medi­zi­nisch nicht durch­setz­bar.

Zudem muss man sich die Fra­ge stel­len, wie eine Impf­pflicht durch- und umge­setzt wer­den soll. Es heißt immer, es soll kei­nen Zwang geben. Aber wie soll man Impf­pflicht durch­set­zen ohne Zwang? Mit 2G oder 3G kann man Leu­te bereits aus­rei­chend dar­an hin­dern, Ver­an­stal­tun­gen zu besu­chen oder den ÖPNV zu benut­zen, aber eine Impf­pflicht wür­de wesent­lich dar­über hin­aus­ge­hen. Für eine Impf­pflicht braucht man Impf­re­gis­ter und eini­ger­ma­ßen fäl­schungs­si­che­re Impf­nach­wei­se. Das wäre ein Novum der  zen­tra­len Erfas­sung medi­zi­ni­scher Daten und ein Ein­falls­tor für eine wei­te­re Daten­er­fas­sung: Wel­che Daten sol­len gespei­chert wer­den? Aber auch ganz prak­tisch ergä­ben sich Pro­ble­me: Für die Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur (Elek­tro­ni­sche Ver­net­zung der Akteu­re im deut­schen Gesund­heits- wesen) ist z.B. ein elek­tro­ni­scher Impf­pass geplant, der seit Jah­ren ent­wi­ckelt, aber immer noch nicht umge­setzt ist. Auch wür­de die Umset­zung in der Bevöl­ke­rung sicher­lich auf Wider­stän­de sto­ßen. Wür­de dann die Poli­zei die Kon­troll­auf­ga­be über­neh­men,  ähn­lich wie bei Sicher­heits­gurt oder Geschwin­dig­keits­be­gren­zung? Eine feh­len­de Imp­fung sieht man jeman­dem nicht an wie ande­re Ord­nungs­wid­rig­kei­ten. Es ist weder die Auf­ga­be der Poli­zei, noch die von Sicher­heits­diens­ten oder Kon­trol­leu­ren im ÖPNV oder bei der DB,  das dau­er­haft zu kon­trol­lie­ren. Und wor­in bestehen dann die Kon­se­quen­zen einer Ver­let­zung? Es müss­ten Straf­gel­der bei Nicht­be­fol­gung ver­hängt wer­den und die­se müs­sen bei Ver­wei­ge­rung mit Zwangs­maß­nah­men ein­ge­for­dert wer­den kön­nen. Andern­falls macht der Gesetz­ge­ber sich lächer­lich. Es gibt auch enor­me arbeits- und sozi­al­recht­li­che Pro­ble­me. Nach dem geän­der­ten Infek­ti­ons­schutz­ge­setz für eine ein­rich­tungs­spe­zi­fi­sche Impf­pflicht ist eine Abmah­nung und wahr­schein­lich auch Kün­di­gung bei Nicht­ein­hal­tung der Pflicht mög­lich. Es ist frag­lich, ob Lohn­er­satz­leis­tun­gen gezahlt wer­den müs­sen u.ä. Bei die­sen Kon­se­quen­zen ist der Über­gang von der Impf­pflicht zum Impf­zwang flie­ßend.

Eine Impf­pflicht ist sinn­voll und ange­mes­sen. Sie ist kein Aus­gleich für bis­he­ri­ge Ver­säum­nis­se, aber man kann das Eine auch tun, ohne eine Ver­än­de­rung des Ande­ren zu las­sen. Es gibt zu gro­ße Impf-Lücken, so dass die Aus­brei­tungs­wel­len immer wie­der die gesund­heit­li­che Ver­sor­gung aller gefähr­den wer­den. Die­se Lücken wird man nur durch eine Impf­pflicht schlie­ßen kön­nen.

Die Fra­ge, was für die Erfül­lung der Impf­pflicht nötig ist, könn­te in einem per­ma­nen­ten Klä­rungs­pro­zess blei­ben, der mit jeder neu­en Vari­an­te von vor­ne beginnt. Die kon­kre­ten Kon­se­quen­zen einer Impf­pflicht müs­sen also immer wie­der neu fest­ge­legt, kom­mu­ni­ziert und ope­ra­tio­na­li­siert wer­den. Das ist aber mach­bar, wenn nötig. Die Annah­me, dass auch bei Auf­tre­ten neu­er, bis­lang unbe­kann­ter Virus­va­ri­an­ten eine Imp­fung wahr­schein­lich die Schwe­re und/oder Häu­fig­keit der Erkran­kung abschwächt, also in gewis­sem Aus­maß effek­tiv ist,  ist mei­nes Erach­tens nach der­zei­ti­gem Wis­sens­stand berech­tigt.

Das schließt ande­re Maß­nah­men nicht aus, man soll­te sich für die Impf­quo­te ohne­hin nicht nur auf ein Instru­ment ver­las­sen. Die Impf­pflicht wür­de dort hel­fen, wo man die Men­schen noch nicht erreicht hat. In der LINKEN waren die ost­deut­schen Lan­des­ver­bän­de beson­ders in Sach­sen und Thü­rin­gen für eine Impf­pflicht aus der prak­ti­schen Erwä­gung, dass sich die Faschis­ten der AFD mit den Impfgegner*innen zusam­men­ge­tan haben. Ange­sichts die­ser Zah­len­ver­hält­nis­se besteht die begrün­de­te Sor­ge, dass Auf­klä­rung und Frei­wil­lig­keit nicht rei­chen wer­den, um eine aus­rei­chen­de Impf­quo­te zu errei­chen – es ist in der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on eine Art Ulti­ma Ratio, für die Impf­pflicht zu sein. Der Schutz von vul­ner­ablen Men­schen in Alten- und Pfle­ge­hei­men muss von uns for­ciert wer­den, da wür­de eben­falls eine Impf­pflicht hel­fen. Die insti­tu­tio­nen­be­zo­ge­ne Impf­pflicht, also die in Alten- und Pfle­ge­hei­men, Kran­ken­häu­sern etc., kommt schnel­ler und ist prak­ti­ka­bel. Das ist gut so. Und es ist gut, dass es alle trifft, die dort arbei­ten, und nicht nur die Pfleger*innen und Ärzt*innen. Das wird auch hel­fen, den Betriebs­frie­den auf den Sta­tio­nen und in den Teams wie­der­zu­brin­gen.

Impf­pflicht ist aber auch ein Gebot des Arbeits­schut­zes. Letz­tes Jahr hat­ten die Health Workers welt­weit die höchs­ten Todes­ra­ten wegen Coro­na. Die AOK Meck­len­burg-Vor­pom­mern hat eine Stu­die erstellt, die zeigt, dass die Health Workers das größ­te Risi­ko tra­gen, infi­ziert zu wer­den. Wir haben aber auch eine Ver­ant­wor­tung gegen­über den Men­schen, die das nicht ver­ste­hen. Die müs­sen wir mit­neh­men. Es ist also eine arbeits­recht­li­che Ver­ant­wor­tung, eine Impf­pflicht ein­zu­füh­ren, denn wir haben es auch mit uner­fah­re­nen Men­schen zu tun.

Wie kann das durch­ge­setzt wer­den? An ande­rer Stel­le haben wir uns inten­siv mit admi­nis­tra­ti­ven Stra­fen aus­ein­an­der­ge­setzt, die bei Ersatz­frei­heits­stra­fen enden, wenn die Ärms­ten die Stra­fen nicht zah­len kön­nen, wohin­ge­gen die Rei­che­ren sich qua­si »frei­kau­fen« kön­nen. Eine Impf­pflicht muss also so gestrickt sein, dass sie sich wie bei den Masern bewäh­ren muss. Mög­lich wäre dies über Beschäf­ti­gungs­kopp­lung. Also immer, wenn jemand einen Job anfängt, wo er mit Men­schen zu tun hat, muss sicher­ge­stellt sein, dass er geimpft ist, so dass sich die Imp­fung nach und nach durch­setzt und zu einer Selbst­ver­ständ­lich­keit wird. Ein Impf­zwang nutzt hier nichts. Klar ist aber auch, dass die Impf­pflicht aktu­ell gar nicht wirk­sam ist, des­we­gen wäre es auch ver­kehrt, wenn die Debat­te dar­über alles ande­re über­la­gern wür­de.

Das Daten­schutz­ar­gu­ment aller­dings ist ana­chro­nis­tisch; es hat bis­lang immer wie­der dafür gesorgt, dass wir kei­ne guten Public-Health-Daten haben. Es wäre, auch nach Coro­na, sehr gut, ein Impf­re­gis­ter zu haben. Dann wüss­ten wir viel mehr über die Gefähr­dungs­la­ge der Bevöl­ke­rung. Eine Impf­da­ten­bank wür­de dabei hel­fen, Coro­na-Daten und Krank­heits­ver­läu­fe etc. bes­ser zu erfas­sen und medi­zi­ni­sches Wis­sen dar­über zu ver­grö­ßern.

Unaus­ge­schöpf­te Mög­lich­kei­ten

Auch wenn ich per­sön­lich für eine Impf­pflicht bin, fin­de ich das poli­tisch wei­ter­hin pro­ble­ma­tisch. Das Bei­spiel Bre­men oder das Impf­an­ge­bot der Ham­bur­ger Poli­kli­nik Ved­del zei­gen doch, dass die Impf­quo­te höher ist, wenn man in die Quar­tie­re rein­geht, die Men­schen auf­sucht und direkt anspricht. Es sind noch nicht alle Mit­tel auf­su­chen­der Gesund­heits­ar­beit aus­ge­schöpft.

Natür­lich müss­te es noch mehr Anstren­gun­gen geben, aktiv auf Leu­te zuzu­ge­hen und Bar­rie­ren abzu­bau­en. Da man so aber die not­wen­di­gen Zah­len rea­lis­tisch nicht errei­chen wird, bin ich für eine Impf­pflicht. Auch Bre­men hat kei­ne Impf­quo­te, die bereits hoch genug ist für eine Her­den­im­mu­ni­tät. Im Ver­gleich zu Städ­ten wie Ham­burg und Ber­lin hat die Dif­fe­renz der Impf­quo­te abge­nom­men. Die Genoss*innen aus Thü­rin­gen haben argu­men­tiert, dass sie all das, was in Bre­men gemacht wur­de, auch gemacht haben, aber es hat nicht geklappt. Es gibt dann eben doch meh­re­re Fak­to­ren. Ich den­ke, dass Bre­men aus sozio­lo­gi­schen, his­to­ri­schen und sozu­sa­gen »geo­gra­phi­schen« Grün­den eine so hohe Impf­quo­te hat und es falsch ist, die­se Impf­quo­te aus­schließ­lich der sicher­lich guten Arbeit der lin­ken Gesund­heits­se­na­to­rin zuzu- schrei­ben und zu glau­ben, dass man mit der­sel­ben Pra­xis das Pro­blem über­all glei­cher­ma­ßen in den Griff bekom­men kann. Ich bin für eine Impf­pflicht, weil es mir schwer fällt, mir vor­zu­stel­len, wie man anders aus der Pan­de­mie raus­kom­men könn­te.

Umgang mit Impf­geg­nern

Die AfD und Querdenker*innen haben so vie­le Leu­te beein­flusst, die ohne Impf­pflicht nicht mehr ein­zu­fan­gen sind. Mit Impf­pflicht könn­te sich ein Teil der Impfgegner*innen bei Wah­rung des Gesichts imp­fen las­sen. Die Zahl derer, die damit aus einem Dilem­ma her­aus­kä­men, wird für gar nicht so klein gehal­ten.

Kann man die­sen Effekt nicht auch anders errei­chen? Bie­tet nicht z.B. der neue Tot­impf­stoff Nova­vax schon die Mög­lich­keit eines gesichts­wah­ren­den Posi­ti­ons­wech­sels? Und übt man nicht mit kon­se­quen­ten 2/3G-Regeln schon genü­gend Druck aus? Es han­delt sich dabei ja schließ­lich um einen fak­ti­schen Aus­schluss vom sozia­len und gesell­schaft­li­chen Leben.

Aus mei­ner bis­he­ri­gen Erfah­rung mit Impf­dis­kus­sio­nen sagen die Wenigs­ten, dass höhe­rer Druck sie über­zeu­gen wür­de. Es kom­men eher Argu­men­te wie* Mei­ne Freun­din lässt sich auch nicht imp­fen, in mei­ner Fami­lie ist kei­ner geimpft etc.. Es gibt aktu­ell auch kei­ne gute Beschäf­ti­gung mit Grün­den von Impf­ver­wei­ge­rung. Ich den­ke, das Phä­no­men ist sehr viel­schich­tig. Es gibt auch Leu­te, die sich dem ver­wei­gern, weil die ein­zi­ge Erfah­rung, die sie mit dem Staat haben, ist, seit 20 Jah­ren von Ämtern gegän­gelt und sank­tio­niert zu wer­den. Mit der so ent­stan­de­nen Ver­wei­ge­rungs­hal­tung muss man anders umge­hen als mit Ängs­ten oder ideo­lo­gi­schen Argu­men­ta­tio­nen. Und die über­zeug­ten Schwurbler*innen kann man weder mit 2G noch Impf­pflicht unter Druck set­zen.

Eine Impf­pflicht wäre aber auch ein Weg, die Schwurbler*innen noch wei­ter an den Rand zu drän­gen.

Das wür­de aber auch die Pola­ri­sie­rung in der Gesell­schaft wei­ter zuzu­spit­zen.

Die Poli­tik eines Staa­tes darf sich nicht an weni­gen Pro­zent der  Impfverweigerer*innen aus­rich­ten. Angst vor deren Reak­ti­on zu haben oder die mit­zu­den­ken, gibt ihnen ein unver­hält­nis­mä­ßi­ges Gewicht im Ver­hält­nis zur Rol­le des Staa­tes sei­nen ande­ren Bürger*innen gegen­über. Als Gesetz­ge­ber darf man sich nicht davon abhän­gig machen, was die Rechts­extre­men oder Schwurb­ler den­ken und wie sie reagie­ren wer­den.

Ich bin gegen auto­ri­tä­re Anru­fun­gen des Staa­tes. Ich muss aber zuge­ben, dass ich in Anbe­tracht der aktu­ell so pola­ri­sier­ten Debat­te doch Zwei­fel habe, ob es für durch­schla­gen­de Erfol­ge durch gute Impf­auf­klä­rung nicht schon zu spät ist.

Das kann ich sehr gut nach­voll­zie­hen, aber das ver­weist doch dar­auf, dass der Ruf nach einem »har­ten« Vor­ge­hen eher aus der eige­nen Ohn­macht und der ver­fehl­ten staat­li­chen Infor­ma­ti­ons- und Maß­nah­men­po­li­tik resul­tiert. Die Impfverweigerer*innen wer­den zur Pro­jek­ti­ons­fo­lie der ange­stau­ten Wut auf das eige­ne ver­pass­te Leben. Das ist sehr nach­voll­zieh­bar, aber eben Aus­druck der Mise­re und nicht deren Lösung.

Sicher ist eine Impf­pflicht ein har­ter Ein­griff. Aber bei den Aus­wir­kun­gen der Lock­downs auf die Kin­der, für das kul­tu­rel­le und gesell­schaft­li­che Leben, die Zunah­me psy­chi­scher Erkran­kun­gen stellt sich natür­lich schon irgend­wann die Fra­ge der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit die­ser Schä­den zu der Maß­nah­me einer Impf­pflicht, mit der ver­sucht wird, die­se Ein­schrän­kun­gen zu begren­zen.

Da geht es um eine prin­zi­pi­el­le Aus­ein­an­der­set­zung. Es wur­de ja schon oben dar­auf ver­wie­sen, dass es nicht um das Ziel der Impf­quo­te, son­dern um die staat­li­che Anord­nung und Durch­set­zung der Impf­pflicht geht, obwohl ande­re Mit­tel noch nicht aus­ge­schöpft sind. Der Staat kann sich also hin­ter der Debat­te über die Impf­pflicht ver­ste­cken.

Selbst­be­stim­mungs­recht am eige­nen Kör­per

Ich bin für das Imp­fen, aber gegen eine Impf­pflicht. Jeder Mensch soll­te das Recht haben, selbst über die Imp­fung zu bestim­men, das ist etwas Prin­zi­pi­el­les und schließt für mich an femi­nis­ti­sche Debat­ten um das Recht am eige­nen Kör­per an. Ich hal­te es auch nicht für ziel­füh­rend, so zu tun, als wäre die Imp­fung völ­lig harm­los. Wenn sie nichts im Kör­per machen wür­de, wäre sie ja sinn­los. Angst vor der Imp­fung ist nicht an sich und per se irra­tio­nal oder unnach­voll­zieh­bar. Die Fra­ge ist nur, wel­che Schluss­fol­ge­rung man dar­aus zieht und wie mit der Angst umge­gan­gen wird* ob sie ideo­lo­gi­siert wird oder ob man sie bear­bei­ten und abbau­en will, und sei es nur in einer Abwä­gung gegen das Risi­ko zu erkran­ken. Für Unsi­cher­hei­ten ist Dis­zi­pli­nie­rung auf jeden Fall kei­ne Lösung.

Es geht aber auch gesell­schaft­lich um die Suche nach dem mil­de­ren Mit­tel, um das ange­streb­te Ziel des Endes der Pan­de­mie zu errei­chen. Die­ses mil­de­re Mit­tel gäbe es mit einer inhalt­lich, finan­zi­ell und per­so­nell gut aus­ge­stat­te­ten Impf­kam­pa­gne  und einer dezen­tra­len und auf­su­chen­den Basis­ge­sund­heits­auf­klä­rung.

Soli­da­ri­tät

Es heißt in der öffent­li­chen Debat­te immer, sich imp­fen zu las­sen, sei soli­da­risch. Aber was ist aktu­ell soli­da­risch? War­um ist es soli­da­risch, dass in Deutsch­land schon Men­schen zum drit­ten Mal geimpft wer­den, wäh­rend es welt­weit immer noch Men­schen in Gesund­heits­be­ru­fen gibt, die noch nicht ein­mal ein ers­tes Mal geimpft sind? Hier ist ein Blick auf das Nord-Süd Ver­hält­nis völ­lig abhan­den gekom­men.

Das stimmt. Anders­rum gehört es zu unse­ren Beru­fen dazu, dass wir mit Schutz­be­foh­le­nen arbei­ten und in die­sem Sin­ne dafür ver­ant­wort­lich sind, die­se durch uns selbst nicht  zu gefähr­den. Des­we­gen hal­te ich es für eine Fra­ge von Soli­da­ri­tät, eine ein­rich­tungs­be­zo­ge­ne Impf­pflicht umzu­set­zen.

Bei einer Impf­pflicht erge­ben sich auch Pro­ble­me für die­je­ni­gen, die ohne­hin durch Regis­trie­rungs­ras­ter fal­len. Ich imp­fe gera­de papier­lo­se Men­schen* Wenn die kon­trol­liert wer­den, haben die zum Zer­ti­fi­kat kei­nen gül­ti­gen Pass. Die­ses Pro­blem müss­te eine Impf­pflicht auch so lösen, um bereits exis­tie­ren­de Aus­schlüs­se nicht wei­ter zuzu­spit­zen. Des­halb leuch­tet mir nur die arbeits­platz­be­zo­ge­ne Impf­pflicht ein, aber nicht die all­ge­mei­ne.

Arbeits­schutz

Mei­nes Erach­tens ist eine vom Arbeit­ge­ber ein­ge­for­der­te und kon­trol­lier­te Imp­fung ein Gebot des Arbeits­schut­zes, da, wie hier bereits gesagt wur­de, die­se Berufs­grup­pen ein bedeu­tend höhe­res Risi­ko tra­gen, an Coro­na zu erkran­ken. Für mich ist das wie ein Helm auf einer Bau­stel­le. Die Leu­te müs­sen nicht ver­ste­hen, war­um sie einen Helm tra­gen müs­sen, sie sol­len es tun, weil er sie schützt und um ihr Unfall­ri­si­ko zu redu­zie­ren. Arbeit­ge­ber drü­cken sich auch an ande­rer Stel­le um so etwas, auch da argu­men­tie­ren wir, dass das nicht akzep­ta­bel ist und die Für­sor­ge­ver­pflich­tung umge­setzt wer­den muss.

Aber wenn man nicht auf der Bau­stel­le ist, trägt man kei­nen Helm. Also auch Bauarbeiter*innen tra­gen zu Hau­se kei­nen Helm mehr. Ist der Helm dann nicht eigent­lich eher eine Meta­pher für eine kon­se­quen­te 2G-Regel? Also, wenn man sich in Berei­chen bewegt, wo man mit vie­len Men­schen zu tun hat, muss man sich über 2G schüt­zen, aber ansons­ten nicht. Es gibt etli­che sozi­al- und arbeits­recht­li­che Pro­ble­me, die eine Impf­pflicht zur Fol­ge hät­te. Wenn jemand dem nicht nach­kommt, kann er gekün­digt wer­den? Dürf­te die Per­son Arbeits­lo­sen­geld oder Ersatz­leis­tun­gen bezie­hen? Was ist mit Kran­ken­geld? Juris­tisch ist das völ­lig unklar und die Gerich­te wür­den mit einer Wel­le von Klä­rungs­fäl­len kon­fron­tiert wer­den. Im Gesund­heits­be­reich ist die Impf­pflicht ab März 2022 da. Wer sich nicht imp­fen lässt, wird dann ohne Bezah­lung frei­ge­stellt wer­den. Wir wer­den dann aber recht wahr­schein­lich ab März auch weni­ger Pfle­ge­kräf­te haben.

Pro­blem des Nor­mal­zu­stan­des

Zu argu­men­tie­ren, dass »wir die Über­las­tung des Gesund­heits­we­sens ver­hin­dern müs­sen«, ist zynisch und für mich kein Argu­ment. Wie­so wird denn nicht dar­über dis­ku­tiert, die Orga­ni­sa­ti­on des Gesund­heits­we­sens grund­sätz­lich zu ver­än­dern? Die Öko­no­mi­sie­rung des Gesund­heits­sys­tems und deren Fol­gen sind aktu­ell viel gefähr­li­cher für die Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung als die Tat­sa­che, dass höchs­tens 80 Pro­zent der Bevöl­ke­rung geimpft sind.

Wäre hier nicht die rich­ti­ge For­de­rung, das eine zu tun ohne das ande­re zu las­sen? Wenn das Gesund­heits­sys­tem über­for­dert wird, neh­men Men­schen Scha­den, die sich haben imp­fen las­sen, aber wegen ande­rer Erkran­kun­gen Behand­lung oder Pfle­ge brau­chen. Ist das fair? Eine Impf- pflicht könn­te dafür sor­gen, dass Ver­sor­gungs­ka­pa­zi­tä­ten nicht durch Unge­impf­te blo­ckiert wer­den.

In die­sem Zusam­men­hang soll­te auch dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass vie­le Bet­ten auf Inten­siv­sta­tio­nen wegen Per­so­nal­man­gel gesperrt sind. Selbst die bereits für sich unge­nü­gen­den gesetz­li­chen Rege­lun­gen zur Per­so­nal­un­ter­gren­ze auf bestimm­ten Sta­tio­nen wur­de durch die Coro­na Aus­nah­me­si­tua­ti­on aus­ge­setzt und kön­nen nun unter­schrit­ten wer­den. Statt spek­ta­ku­lä­re und öffent­lich insze­nier­te Ver­le­gungs­flü­ge durch die Bun­des­weh­r­öf­fent­lich dar­zu­stel­len, die neben­bei wirk­lich Unsum­men kos­ten, soll­te sich die Poli­tik Gedan­ken dar­über machen, wie die­se Bet­ten wie­der akti­viert wer­den kön­nen. Es müss­te eigent­lich gefor­dert wer­den, Gel­der umzu­ver­tei­len und das Gesund­heits­sys­tem kom­plett zu reor­ga­ni­sie­ren. Wenn eine all­ge­mei­ne Impf­pflicht poli­tisch pro­ble­ma­tisch ist, wie­so soll­te man dann für eine Impf­pflicht für bestimm­te Berufs­grup­pen sein? Die Pro­ble­me, die der Staat nicht in den Griff bekommt, lan­den dann wie­der bei uns, ins­be­son­de­re bei der Pfle­ge.

Es gibt auch eine gro­ße Dis­kre­panz zwi­schen den Ein­kom­men durch Imp­fung bei den Ärzt*innen und bei den Pfle­ge­kräf­ten. Ärzt*innen haben ohne gro­ße Dis­kus­si­on eine Auf­sto­ckung der Impf­ver­gü­tung von 20 auf 28 Euro, bzw. 36 Euro am Wochen­en­de, erhal­ten, also eine Erhö­hung um 40 Pro­zent, Impfärzt*innen erhal­ten 130 Euro pro Stun­de, wäh­rend das Pfle­ge­per­so­nal für 5 Pro­zent mehr Lohn strei­ken muss­te und immer noch auf eine ein­ma­li­ge Zula­ge von 3.000 Euro war­ten muss. Der ärzt­li­che Zuschlag mag berech­tigt sein, dann aber bit­te auch für die Pfle­ge. Hier wird die gan­ze struk­tu­rel­le Wider­sprüch­lich­keit des Sys­tems deut­lich. Gegen eine Impf­pflicht spricht mei­nes Erach­tens auch, dass die­se in der Kon­se­quenz indi­vi­dua­li­sie­rend wir­ken könn­te in dem Sinn, dass der Staat sich dann aus der Ver­ant­wor­tung zieht, akti­ve Ange­bo­te zu machen und zu finan­zie­ren. Gibt es eine Impf­pflicht, ist der Ball irgend­wie bei den ein­zel­nen Bürger*innen und der Staat muss sich kei­ne Mühe mehr geben, die hier schon aus­rei­chend beschrie­be­nen Defi­zi­te der eige­nen Maß­nah­men, Auf­klä­rung, Infor­ma­ti­ons­po­li­tik etc. zu über­den­ken oder aus­zu­schöp­fen.

Impf­re­gis­ter /  Büro­kra­ti­sie­rung / Daten­schutz

Um noch mal auf die Daten­schutz­dis­kus­si­on von vor­hin zurück zu kom­men. Ein Impf­re­gis­ter wür­de uns vie­le Daten geben über die Wir­kung der Imp­fung für die Public-Health-For­schung. Hier immer mit dem Daten­schutz zu argu­men­tie­ren, ist nicht rich­tig. Eine Aus­kunfts­pflicht ist in bestimm­ten Berei­chen unab­ding­bar, um die vul­ner­ablen Grup­pen zu schüt­zen. Die Pan­de­mie wird lan­ge nicht zu Ende sein und wir brau­chen Daten, wer geimpft ist. Für mich wäre ein Regis­ter die Vor­aus­set­zung für die Beur­tei­lung der Not­wen­dig­keit einer Impf­pflicht.

Mir ist unklar, wie das zeit­lich alles gehen soll. Ich wür­de davon aus­ge­hen, dass  es min­des­tens ein Jahr dau­ern wür­de, bis man ein Impf­re­gis­ter ein­rich­tet und dann auf die­ser Basis eine Impf­pflicht ein­führt; dann spre­chen wir locker über 2023.

Die Idee des Impf­re­gis­ters fin­de ich sehr über­zeu­gend. Mein Fokus beim Impf­re­gis­ter war nicht wis­sen­schaft­lich, son­dern prak­tisch auf der Basis des Wis­sens, wo Leu­te nicht geimpft sind, die­se direkt und kon­kret anspre­chen zu kön­nen. Es ist tech­nisch nicht zwin­gend, dass die Daten miss­braucht wer­den. Ein Regis­ter hat auch nicht not­wen­dig einen Impf­zwang zur Fol­ge. Wenn wir sozia­le Deter­mi­nan­ten ernst neh­men, müs­sen wir dar­über nach­den­ken, wie man an sozia­le Grup­pen her­an­kommt, die wir sonst nicht errei­chen. Ich wür­de es für sinn­voll hal­ten, wenn der Staat die Men­schen anschrei­ben und auf sie zuge­hen müss­te, ihnen ein Impf­an­ge­bot  zu machen, das wür­de schon mal Hür­den redu­zie­ren.

Ein Impf­re­gis­ter als For­de­rung, um epi­de­mio­lo­gi­sche Daten zu gewin­nen, hal­te ich für eine Aus­re­de. Dass es kei­ne Public-Health-Daten gibt, liegt an den man­geln­den wis­sen­schaft­li­chen Struk­tu­ren und dar­an, dass eine sol­che For­schung nicht finan­ziert wird, weil es kein Inter­es­se dar­an gibt. Ein­fach nach einem Impf­re­gis­ter zu rufen und zu mei­nen, dass man dann epi­de­mio­lo­gi­sche For­schung und Aus­sa­gen machen könn­te, ist wis­sen­schaft­lich völ­lig ver­fehlt. Das Impf­re­gis­ter ist im Moment ledig­lich ein Instru­ment, die Impf­pflicht durch­zu­set­zen, kein epi­de­mio­lo­gi­sches For­schungs­in­stru­ment.

Ein Impf­re­gis­ter wür­de auch nie die Kopp­lung an Infor­ma­tio­nen ent­hal­ten, die man dafür bräuch­te, ein­zel­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen in einer sozi­al- und gesell­schafts­po­li­ti­schen Public- Health-Pra­xis adres­sie­ren zu kön­nen.

 



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