Posi­ti­ons­pa­pier des vdää zur Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung 2014

 

Bedarfs­ge­rech­te Ver­sor­gung statt wirt­schaft­li­che Erfolgs­zah­len

Öko­no­mi­sie­rung stop­pen – Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung refor­mie­ren

1. Kran­ken­häu­ser sind Ein­rich­tun­gen der gesell­schaft­li­chen Daseins­vor­sor­ge. Die Sicher­stel­lung einer flä­chen­de­cken­den und bedarfs­ge­rech­ten sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung ist eine staat­li­che Pflicht­auf­ga­be. Kran­ken­haus­pla­nung und –steue­rung brau­chen gesell­schaft­li­che Pla­nung und poli­ti­sche Steue­rung. Sie dür­fen nicht Markt­kräf­ten über­las­sen wer­den.

2. Pla­nung im Gesund­heits­we­sen muss sich am Bedarf von dia­gnos­ti­schen, medi­zi­ni­schen und pfle­ge­ri­schen Leis­tun­gen der Men­schen ori­en­tie­ren und nicht an pri­vat­wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen der Kapi­tal­ver­wer­tung. Das Gesund­heits­we­sen darf nicht zum Gesund­heits­markt ver­kom­men. Folgt man die­ser Vor­ga­be, so soll­ten Kran­ken­häu­ser in öffent­li­cher oder frei­ge­mein­nüt­zi­ger Hand ver­blei­ben bzw. zurück­ge­ge­ben wer­den. Gesund­heit ist kein Pro­dukt und Gesund­heits­dienst­leis­tun­gen dür­fen nicht Waren sein, die eine kauf­kräf­ti­ge Nach­fra­ge befrie­di­gen. Sie sol­len viel­mehr dem Ver­sor­gungs­be­darf der Bevöl­ke­rung gerecht wer­den. In der Rea­li­tät des Kon­kur­renz­kamp­fes der Kran­ken­häu­ser, der mit dem deut­schen Fall­pau­scha­len­sys­tem bezweckt wird, wer­den aber volks­wirt­schaft­li­che Res­sour­cen ver­schwen­det und die Medi­zin zum Nach­teil der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ver­än­dert.

3. Sta­tio­nä­re Ver­sor­gung ist bedarfs­ge­recht und aus­rei­chend, wenn sie allen Pati­en­ten, die auf Kran­ken­haus­be­hand­lung ange­wie­sen sind, eine effek­ti­ve Ver­sor­gung auf qua­li­ta­tiv hohem Niveau garan­tiert. Gesamt­ge­sell­schaft­lich soll die Ver­sor­gungs­struk­tur wie auch das ein­zel­ne Kran­ken­haus nach Mög­lich­keit kos­ten­ef­fi­zi­ent sein.

4. Deutsch­land hat mehr Kran­ken­haus­bet­ten und Kran­ken­häu­ser als ande­re euro­päi­sche Län­der. Das hat sei­nen Ursprung in his­to­risch gewach­se­nen Unter­schie­den der Ver­sor­gungs­struk­tu­ren in den ver­schie­de­nen Län­dern. So wird in Deutsch­land z.B. der rasche und unge­hin­der­te Zugang zum Gesund­heits­we­sen höher bewer­tet als in skan­di­na­vi­schen Län­dern. Der vdää unter­stützt eine kri­ti­sche und ergeb­nis­of­fe­ne Prü­fung des Bedarfs an Kran­ken­häu­sern und Kran­ken­haus­bet­ten. Ein Abbau von Kapa­zi­tä­ten darf aber nur auf­grund ver­än­der­ter medi­zi­ni­scher Not­wen­dig­kei­ten vor­ge­nom­men wer­den und nicht nach wirt­schaft­li­chen Kri­te­ri­en erfol­gen. In unter­ver­sorg­ten Regio­nen kön­nen auch regio­na­le Gesund­heits­zen­tren in öffent­li­cher Trä­ger­schaft ein­ge­rich­tet wer­den.

5. Der vdää. sieht die star­re Tren­nung der ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung mit der „dop­pel­ten Fach­arzt­schie­ne“ als unsin­nig und als Ver­schwen­dung von Res­sour­cen an. Wir for­dern des­halb eine Prü­fung des Bedarfs an ambu­lan­ten Ver­sor­gungs­ka­pa­zi­tä­ten, die Zulas­sung der Kran­ken­häu­ser zur ambu­lan­ten, ins­be­son­de­re fach­ärzt­li­chen Ver­sor­gung sowie ver­bes­ser­te Mög­lich­kei­ten für Ver­trags­ärz­te, Kran­ken­haus­struk­tu­ren zu nut­zen. Die Ver­kür­zung von Ver­weil­dau­ern im Kran­ken­haus ohne ver­bes­ser­te Nach­sor­ge und inte­grier­te Ver­sor­gung geht am Bedarf der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten vor­bei.

6. Kran­ken­haus­be­darfs­plä­ne sol­len auf Län­der­ebe­ne fest­ge­legt und zwi­schen den Län­dern abge­stimmt wer­den. Aus Sicht des vdää soll­te die Bedarfs­pla­nung in Zukunft sek­tor­über­grei­fend erfol­gen, d.h. sowohl ambu­lan­te und sta­tio­nä­re medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung wie auch Reha­bi­li­ta­ti­on und Pfle­ge inte­grie­ren, und auf Abspra­chen zwi­schen loka­ler, regio­na­ler und über­re­gio­na­ler Ebe­ne beru­hen. Die­se schwie­ri­ge, aber loh­nen­de Auf­ga­be kann eine markt­wirt­schaft­li­che Her­an­ge­hens­wei­se nie­mals lösen. Da medi­zi­ni­scher Ver­sor­gungs­be­darf immer nur nähe­rungs­wei­se bestimmt wer­den kann, soll­te Bedarfs­pla­nung als gesell­schaft­li­cher Dis­kurs ange­legt wer­den, der alle rele­van­ten Akteu­re im Gesund­heits­we­sen beteiligt.(2) Auch regio­na­le Gesund­heits­kon­fe­ren­zen kön­nen ein Instru­ment der Pla­nung sein. Der Klä­rungs­pro­zess gehört in öffent­li­che Ver­ant­wor­tung. Bedarfs­pla­nung muss so weit wie mög­lich wis­sen­schaft­lich fun­diert und durch Ver­sor­gungs­for­schung objek­ti­viert wer­den. Die gesetz­li­chen Grund­la­gen der Kran­ken­haus­be­darfs­pla­nung soll­ten in der Wei­se refor­miert wer­den, dass eine bedarfs­ori­en­tier­te poli­ti­sche Steue­rung des Kran­ken­haus­sek­tors gegen­über einer pro­fit­ori­en­tier­ten Wett­be­werbs­ord­nung durch­ge­setzt wer­den kann.(3)

7. Kran­ken­haus­pla­nung wird nur wirk­sam, wenn not­wen­di­ge Inves­ti­tio­nen tat­säch­lich getä­tigt wer­den. Der vdää setzt sich für eine Wie­der­be­le­bung der dua­len Finan­zie­rung ein. Die all­ge­mei­ne Pra­xis der Umwid­mung von Betriebs­mit­teln aus DRG-Erlö­sen zur Eigen­fi­nan­zie­rung von Inves­ti­tio­nen durch die Kran­ken­häu­ser ist skan­da­lös. Poli­ti­sche Initia­ti­ven soll­ten wirk­sa­men Druck auf die Bun­des­län­der dahin­ge­hend aus­üben, dass sie künf­tig ihrer Ver­pflich­tung zur Finan­zie­rung der Inves­ti­tio­nen nachkommen.4 Der vdää unter­stützt die Idee einer poli­tisch breit getra­ge­nen Initia­ti­ve zur Auf­lö­sung des über lan­ge Jah­re auf­ge­lau­fe­nen Inves­ti­ti­ons­staus und zu einer dau­er­haft aus­rei­chen­den Finan­zie­rung von Inves­ti­tio­nen. Eine Ände­rung der Inves­ti­ti­ons­kos­ten­fi­nan­zie­rung in Rich­tung Monis­tik (Ein­prei­sung der Inves­ti­ti­ons­kos­ten in die DRGs und Bezah­lung durch die Kas­sen) lehnt der vdää ent­schie­den ab. Sie wäre das Ende einer Bedarfs­pla­nung durch die Län­der, wür­de dem Sicher­stel­lungs­auf­trag der Kom­mu­nen zuwi­der­lau­fen und den Kon­kur­renz­kampf der Kran­ken­häu­ser noch mehr ver­schär­fen.

8. Abge­se­hen von der unge­nü­gen­den Inves­ti­ti­ons­fi­nan­zie­rung durch die öffent­li­che Hand ste­hen aus Sicht des vdää aus­rei­chen­de Finanz­mit­tel für eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung zur Ver­fü­gung. Ins­ge­samt wer­den die Mit­tel aber nicht sinn­voll ver­teilt.

9. Der vdää kri­ti­siert das deut­sche Fall­pau­scha­len­sys­tem als Trans­mis­si­ons­rie­men zu einer Öko­no­mi­sie­rung des Kran­ken­haus­sek­tors. Das G‑DRG-Sys­tem wird weder den Bedürf­nis­sen und Not­wen­dig­kei­ten von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten noch denen der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter gerecht. Nur abge­schlos­se­ne, doku­men­tier­te, zähl- und abre­chen­ba­re Ver­rich­tun­gen brin­gen den Kli­ni­ken Erlö­se ein. Sorg­sa­me Dia­gnos­tik und inten­si­ve Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, mit einer schließ­lich abwar­ten­den Vor­ge­hens­wei­se, die ris­kan­te oder unnö­ti­ge Pro­ze­du­ren ver­mei­det, wird nicht ver­gü­tet. Als Fol­ge davon ist eine ganz­heit­li­che Sicht auf den Pati­en­ten ist nicht mehr mög­lich, Unter­su­chung und Behand­lung kon­zen­trie­ren sich auf die Sym­pto­me der Auf­nah­me­dia­gno­se.

10. Das G‑DRG-Sys­tem setzt – unab­hän­gig vom zu erwar­ten­den gesund­heit­li­chen Nut­zen für die Pati­en­tin oder den Pati­en­ten – Anrei­ze zur Fall­zahl­stei­ge­rung und zu sach­kos­ten­in­ten­si­ven Pro­ze­du­ren. Der sys­tem­be­ding­te Kon­kur­renz­kampf der Kran­ken­häu­ser zwingt zu einer per­ma­nen­ten öko­no­mi­schen Wachs­tums­stra­te­gie bei gleich­zei­ti­gem Kos­ten­sen­kungs­wett­be­werb zu Las­ten der Beschäf­tig­ten. Das führt zu – im Ver­gleich der OECD-Län­der – auf­fal­lend hohen Ein­griffs­zah­len und ins­ge­samt über­pro­por­tio­na­len Aus­ga­ben­stei­ge­run­gen zulas­ten der GKV im sta­tio­nä­ren Sek­tor.

11. Das Gesetz zur Neu­ord­nung der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung (KHNG hat­te bereits 1985 unter Minis­ter Blüm im sta­tio­nä­ren Sek­tor das Kos­ten­de­ckungs­prin­zip besei­tigt, Pro­fi­te ermög­licht und die Öko­no­mi­sie­rung ein­ge­läu­tet. Fol­ge­rich­tig began­nen pri­va­te Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten, mit Gewinn­erwar­tung in den Kli­nik­be­reich ein­zu­drin­gen. Die Ein­füh­rung der D‑DRGs hat die­se Ent­wick­lung begüns­tigt und beschleu­nigt. Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten bie­ten sta­tio­nä­re Ver­sor­gung und Medi­zin­pro­duk­te oder inte­grier­te Ver­sor­gungs­pro­jek­te „aus einer Hand“ an, pri­va­te Zusatz­ver­si­che­run­gen die­ser Kon­zer­ne sind in der Ent­wick­lung. Hier sieht der vdää die Gefahr, dass ein pri­va­tes, nicht pri­mär am Pati­en­ten­wohl ori­en­tier­tes Parell­el­ge­sund­heits­we­sen ent­ste­hen könn­te.

12. Die Vor­hal­te­kos­ten von Kran­ken­haus­struk­tu­ren mit natur­ge­mäß wech­seln­der Bele­gung wie Not­fall­am­bu­lan­zen, Kreiß­sä­le und Inten­siv­sta­tio­nen wer­den im G‑DRG-Sys­tem nicht berück­sich­tigt. Auch Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen in Aus- und Wei­ter­bil­dung des schon heu­te knap­pen Fach­per­so­nals wer­den heu­te unter dem betriebs­wirt­schaft­li­chen Blick­win­kel kurz­fris­ti­ger Kos­ten­ef­fi­zi­enz kurz gehal­ten.

13. Das deut­sche Fall­pau­scha­len­sys­tem ist ein Fest­preis­sys­tem. Das Niveau die­ser Fest­prei­se ist im G‑DRG-Sys­tem von den tat­säch­li­chen Selbst­kos­ten der Kran­ken­haus­be­hand­lun­gen weit­ge­hend abge­kop­pelt. Die stän­dig stei­gen­de Zahl von Kli­ni­ken, die Ver­lus­te erwirt­schaf­ten, zeigt, dass das Preis­ni­veau nicht aus­kömm­lich ist. Die Prei­se wer­den zwi­schen Kran­ken­haus­ge­sell­schaft und GKV des jewei­li­gen Bun­des­lan­des jähr­lich neu aus­ge­han­delt. Für die­sen kom­pli­zier­ten Ver­hand­lungs­pro­zess gilt eine gan­ze Rei­he von Regeln, die die Berück­sich­ti­gung einer Viel­zahl stei­gern­der und min­dern­der Fak­to­ren sicher­stel­len soll. Letzt­lich wird auf die­se Wei­se der Euro­be­trag fest­ge­legt, der im jewei­li­gen Bun­des­land für eine durch­schnitt­lich auf­wän­di­ge Kran­ken­haus­be­hand­lung bezahlt wird, ent­spre­chend einem sog. Rela­tiv­ge­wicht der Fall­schwe­re von 1,00. Die Auf­ga­ben des InEK (Insti­tut für das Ent­gelt­sys­tem im Kran­ken­haus) dabei sind: Ers­tens die Defi­ni­ti­on von Fall­grup­pen (Dia­gno­sis Rela­ted Groups), die hin­sicht­lich ihrer Kos­ten homo­gen sind und zwei­tens die Berech­nung des Kos­ten­auf­wan­des der Fall­grup­pen im Ver­gleich zuein­an­der. Auf die­se Wei­se wer­den die Rela­tiv­ge­wich­te der Fall­grup­pen bestimmt. Eine Fall­grup­pe, für deren Behand­lung zum Bei­spiel all­ge­mein dop­pelt so viel Geld auf­ge­wandt wer­den muss wie für eine durch­schnitt­li­che Kran­ken­haus­be­hand­lung, erhält dem­entspre­chend das Rela­tiv­ge­wicht 2. Die­sen Berech­nun­gen lie­gen die nach einer ein­heit­li­chen Sys­te­ma­tik auf­ge­schlüs­sel­ten Kos­ten aller DRG-Fäl­le der Refe­renz­kran­ken­häu­ser des InEK zugrun­de. Dar­aus folgt: ein gleich­mä­ßi­ger Anstieg der Selbst­kos­ten der Kran­ken­häu­ser z.B. durch eine Tarif­er­hö­hung wird in der DRG-Sys­te­ma­tik nicht abge­bil­det.

14. All­ge­mei­ne Fall­kos­ten­ver­än­de­run­gen kön­nen nur über zu ver­han­deln­de Ver­än­de­run­gen der Lan­des­ba­sis­fall­wer­te ein­ge­preist wer­den. Zur Kos­ten­dämp­fung sind die Ver­än­de­run­gen der Lan­des­ba­sis­fall­wer­te jedoch auch an die Ent­wick­lung der volks­wirt­schaft­li­chen Grund­lohn­sum­me gekop­pelt wor­den. Damit wur­de die finan­zi­el­le Aus­stat­tung der Kran­ken­häu­ser an die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung statt an den Ver­sor­gungs­be­darf gekop­pelt, und dabei an einen Para­me­ter, der aus ver­tei­lungs­po­li­ti­schen Grün­den, näm­lich der Umver­tei­lung von unten nach oben, hin­ter der volks­wirt­schaft­li­chen Gesamt­ent­wick­lung zurück­bleibt. Auf die­se Wei­se wur­den die Prei­se über die ver­gan­ge­nen Jah­re bestän­dig unter die Selbst­kos­ten vie­ler Kran­ken­häu­ser gedrückt. Das unge­nü­gen­de Preis­ni­veau pro Fall­pau­scha­le setzt einen star­ken Anreiz zur kom­pen­sa­to­ri­schen Fall­zahl­aus­wei­tung, um so die Erlö­se zu stabilisieren.(5) In die­sem Mecha­nis­mus sehen wir die aktu­el­le Erschei­nungs­form von Ratio­nie­rung: Behand­lun­gen wer­den zwar durch­ge­führt, jedoch in Form einer Man­gel­wirt­schaft oft­mals ohne aus­rei­chen­de pfle­ge­ri­sche und mensch­li­che Zuwen­dung.

15. Der Wett­be­werb der Kran­ken­häu­ser läuft zum ande­ren Teil über die Sen­kung der Selbst­kos­ten, vor allem der Per­so­nal­kos­ten. Das InEK stellt sei­ne Kos­ten­kal­ku­la­ti­ons­da­ten allen Kran­ken­häu­sern trans­pa­rent zur Ver­fü­gung. Mit die­ser Daten­ba­sis kön­nen sich die Kran­ken­häu­ser per­ma­nent mit ihren Kon­kur­ren­ten ver­glei­chen und ziel­ge­rich­te­te Spar­maß­nah­men durch­füh­ren„ um die Fall­kos­ten wie auf einer Kel­ler­trep­pe immer wei­ter zu sen­ken. Die­je­ni­gen Kran­ken­häu­ser, die am rück­sichts­lo­ses­ten Per­so­nal abbau­en, Arbeit ver­dich­ten und Löh­ne sen­ken, haben die bes­ten betriebs­wirt­schaft­li­chen Kennzahlen.(6)

16. Mit der geplan­ten Aus­wei­tung pau­scha­lier­ter Ent­gelt­sys­te­me auf Psy­cho­so­ma­tik und Psych­ia­trie mit­tels PEPP-Sys­tem (Pau­scha­lier­tes Ent­gelt für Psych­ia­trie und Psy­cho­so­ma­tik) wer­den unge­ach­tet aller Beteue­run­gen angeb­lich zu erwar­ten­der posi­ti­ver Wir­kun­gen die glei­chen Effek­te ange­strebt. Ange­sichts einer zukünf­tig wei­ter zu erwar­ten­den Zunah­me psy­cho­so­ma­ti­scher und psych­ia­tri­scher Erkran­kun­gen soll mit der Erzwin­gung eines ent­spre­chen­den Abrech­nungs­sys­tems gegen den geschlos­se­nen Wider­stand der Fach­krei­se Druck zur Absen­kung der Fall­kos­ten ent­wi­ckelt wer­den.

17. Das G‑DRG-Sys­tem ver­än­dert den Ver­sor­gungs­pro­zess grund­le­gend in Struk­tur und Qua­li­tät. Medi­zin und Pfle­ge wer­den ver­ding­licht. Wäh­rend tech­ni­sche Ver­rich­tun­gen als erlös­re­le­van­te Ele­men­te auf­ge­wer­tet und aus­ge­wei­tet wer­den, wird die Bedeu­tung ver­schie­dens­ter For­men von Bezie­hungs­ar­beit wie Zuwen­dung, Sor­ge und Pfle­ge für the­ra­peu­ti­sche Pro­zes­se zuneh­mend aus­ge­blen­det und die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter weg­ra­tio­na­li­siert. Damit wer­den Pro­fes­sio­na­li­tät und Berufs­ethos einer Viel­zahl hoch­qua­li­fi­zier­ter Berufs­grup­pen im Kran­ken­haus aus­ge­höhlt.

18. Vor der Ein­füh­rung der DRGs wur­den die Kran­ken­häu­ser nach dem heu­te ver­teu­fel­ten Selbst­kos­ten­de­ckungs­prin­zip ver­gü­tet. Alle inner­halb eines Jah­res ange­fal­le­nen Kos­ten wur­den gemein­sam mit den Kas­sen ermit­telt und – allein aus Abrech­nungs­grün­den – durch die ange­fal­le­nen Pfle­ge­ta­ge divi­diert („tages­glei­che Pfle­ge­sät­ze“). Die­ses Sys­tem hat­te zwar den Nach­teil der Intrans­pa­renz der erbrach­ten Leis­tun­gen und setz­te kei­nen Anreiz zu wirt­schaft­li­chem Han­deln, dafür aber den Vor­teil, dass es kei­nen öko­no­mi­schen Anreiz zu medi­zi­nisch unbe­grün­de­ten Pro­ze­du­ren setz­te.

19. Der vdää for­dert eine radi­ka­le Reform der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung, die nicht nur an Sym­pto­men her­um­zu­dok­tern, son­dern an die Wur­zel des Übels geht die Öko­no­mie des Kran­ken­haus­we­sens muss sich dem medi­zi­ni­schen Bedarf und den Bedürf­nis­sen der Men­schen unter­ord­nen nicht umge­kehrt! Statt über eine Bezah­lung pro Fall­pau­scha­le sol­len die Betriebs­kos­ten über eine Wie­der­ein­füh­rung kran­ken­haus­in­di­vi­du­el­ler, von den regio­na­len Akteu­ren unter staat­li­cher Auf­sicht ver­ein­bar­ter Bud­gets finan­ziert wer­den. Vor­aus­set­zung hier­für ist eine gründ­li­che Bedarfs­pla­nung. Die Grund­for­de­rung lau­tet: Jede The­ra­pie­ent­schei­dung muss unab­hän­gig von der Bezah­lung fal­len! Bei den KH-indi­vi­du­el­len Bud­gets müs­sen sowohl Vor­hal­te­kos­ten wie leis­tungs­be­zo­ge­ne Struk­tur­kos­ten berück­sich­tigt wer­den. Kran­ken­häu­ser dür­fen weder Gewin­ne noch Ver­lus­te machen, da die­se Opti­on wirt­schaft­li­che Fehl­an­rei­ze setzt. Die im Moment den DRGs zugrun­de­lie­gen­den Fall­pau­scha­len­grup­pen könn­ten in Zukunft als Instru­ment die­nen, das Ver­sor­gungs­ge­sche­hen trans­pa­rent abzu­bil­den, damit eine adäqua­te Bud­get­be­mes­sung unter­stützt wird. Ände­run­gen im Finan­zie­rungs­sys­tem soll­ten vor ihrer flä­chen­de­cken­den Ein­füh­rung als Pilot­pro­jek­te in aus­ge­such­ten Regio­nen erprobt wer­den.

20. Der vdää ist von der poli­ti­schen Not­wen­dig­keit einer radi­ka­len Neu­ori­en­tie­rung der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung über­zeugt. Solan­ge die­se nicht durch­ge­setzt wer­den kann, wer­den Reform­vor­schlä­ge für das bestehen­de deut­sche Fall­pau­scha­len­sys­tem gemacht, die zumin­dest Sym­pto­me lin­dern könn­ten:

  • i. Der vdää for­dert, dass begrün­de­te Real­kos­ten­stei­ge­run­gen der Kran­ken­häu­ser, wie Per­so­nal­kos­ten oder auch Kos­ten, die sich aus neu­en gesetz­li­chen Rege­lun­gen erge­ben, zusätz­lich zu den DRG-Erlö­sen refi­nan­ziert wer­den müs­sen. Dazu muss der Ori­en­tie­rungs­wert zur Ver­än­de­rung der Lan­des­ba­sis­fall­wer­te rea­lis­tisch ermit­telt und poli­tisch garan­tiert wer­den.
  • ii. Der vdää for­dert die gesetz­li­che Ein­füh­rung all­ge­mein­ver­bind­li­cher Per­so­nal­schlüs­sel in der sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung. Gute Medi­zin und gute Pfle­ge brau­chen zwin­gend eine Ver­bes­se­rung der Arbeits­be­din­gun­gen der Gesund­heits­be­ru­fe im Kran­ken­haus. Nur so kann es gelin­gen, bedarfs­de­ckend Nach­wuchs­kräf­te zu fin­den und lang­fris­tig zu moti­vie­ren.
  • iii. Der vdää unter­stützt sinn­vol­le Maß­nah­men zur Ver­mei­dung der gegen­wär­tig zu beob­ach­ten­den, medi­zi­nisch nicht indi­zier­ten Men­gen­aus­wei­tun­gen.
  • iv. Der vdää schlägt vor, den im ambu­lan­ten Sek­tor eta­blier­ten Erlaub­nis­vor­be­halt auch auf im sta­tio­nä­ren Bereich erbrach­te Leis­tun­gen aus­zu­wei­ten. Damit dürf­ten neue Leis­tun­gen erst dann im Kran­ken­haus­be­reich all­ge­mein ein­ge­führt und abge­rech­net wer­den, wenn sie vom GBA als effek­tiv zuge­las­sen wor­den sind. Sinn­voll erscheint eine Staf­fe­lung der Zulas­sung nach dem Grad der Evi­denz des Nut­zen­nach­wei­ses.
  • v. Der vdää spricht sich gegen eine Ver­schär­fung des Wett­be­werbs und gegen eine wei­te­re Dere­gu­lie­rung des sta­tio­nä­ren Sek­tors aus. Der vdää lehnt einen Abbau des Kon­tra­hie­rungs­zwangs und eine Aus­wei­tung von Selek­tiv­ver­trä­gen –auch auf Basis von Qua­li­täts­pa­ra­me­tern – auf die sta­tio­nä­re Ver­sor­gung ab, weil Preis­dum­ping und ungleich­mä­ßi­ge medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung abseh­ba­re Fol­gen sind.

21. In der poli­ti­schen Fach­welt wird dis­ku­tiert, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in einer „Qua­li­täts­of­fen­si­ve“ zu ver­bes­sern. „Gute Qua­li­tät soll hono­riert, „schlech­te­re Qua­li­tät“ mit finan­zi­el­len Abschlä­gen bestraft wer­den. Der vdää sieht die­se Initia­ti­ve mit gro­ßer Skep­sis. Zum einem ist die Qua­li­tät medi­zi­ni­scher Leis­tun­gen nur schwer zu beur­tei­len. Dies gilt ins­be­son­de­re für die Qua­li­tät von Indi­ka­ti­ons­stel­lun­gen. Bis­he­ri­ge Qua­li­täts­si­che­rungs-Pro­gram­me erfas­sen meist Struk­tur- und Pro­zess­qua­li­tät, wäh­rend die Ergeb­nis­qua­li­tät – also die Ant­wort auf die Fra­ge: „Was hat der Pati­ent eigent­lich von der Behand­lung?“ – in vie­len Fäl­len erst weit nach Abschluss der sta­tio­nä­ren Behand­lung beur­teilt wer­den kann. Die Mes­sung der Ergeb­nis­qua­li­tät erfor­dert also eine sek­tor­über­grei­fen­de Daten­er­he­bung und eine fai­re Risi­ko­ad­jus­tie­rung. Die­se ist unab­ding­bar, aber äußerst kom­plex und mit den vor­han­de­nen Daten kaum zu rea­li­sie­ren. Die For­de­rung „Ver­gü­tung nach Qua­li­tät“ ist des­halb popu­lis­tisch: Die wis­sen­schaft­li­che Bewer­tung bis­he­ri­ger „Pay for Performance“-Strukturen konn­te kei­nen Qua­li­täts­vor­teil, jedoch Pati­en­ten­se­lek­ti­on und eine Ten­denz zur Fäl­schung von Sta­tis­ti­ken zei­gen. Die­se Pro­gram­me stel­len auch einen Hebel zur Ein­füh­rung von Selek­tiv­ver­trä­gen zwi­schen Kas­sen und Kran­ken­häu­sern dar. Zum ande­ren kann es eher not­wen­dig sein, ver­sor­gungs­re­le­van­te Kli­ni­ken mit schlech­ter Qua­li­tät zur Ver­bes­se­rung ihrer Qua­li­tät finan­zi­ell zu unter­stüt­zen als sie abzu­stra­fen. Andern­falls kann eine Abwärts­spi­ra­le von wenig Geld und schlech­ter Leis­tung zum Scha­den der Pati­en­ten ent­ste­hen.

22. Der vdää for­dert alle Betrof­fe­nen dazu auf, ihre Hal­tung zum deut­schen Fall­pau­scha­len­sys­tem kri­tisch zu über­prü­fen. Wir sind davon über­zeugt, dass Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten und ihre jewei­li­gen Inter­es­sen­ver­bän­de, gesetz­li­che wie pri­va­te Kran­ken­kas­sen, aber auch die Beschäf­tig­ten, ihre Gewerk­schaf­ten und beruf­li­chen Inter­es­sen­ver­bän­de sowie nicht-gewinn­ori­en­tier­te Kran­ken­haus­trä­ger an der Öko­no­mi­sie­rung der sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung kein Inter­es­se haben kön­nen.

23. Wir rufen alle Betrof­fe­nen auf, mit­ein­an­der in eine Dis­kus­si­on zu einer sinn­stif­ten­den Reform der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung ein­zu­tre­ten, der das gemein­sa­me Inter­es­se an einem bedarfs­ge­rech­ten, soli­da­ri­schen und huma­nen Kran­ken­haus über vor­han­de­ne, par­ti­el­le Inter­es­sen­ge­gen­sät­ze stellt.

Wulf Diet­rich / Peter Hoff­mann, 26. März 2014

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1 Der Begriff der Öko­no­mi­sie­rung bezeich­net die Aus­brei­tung des Mark­tes samt sei­nen Prin­zi­pi­en und Prio­ri­tä­ten auf Berei­che, in denen öko­no­mi­sche Über­le­gun­gen in der Ver­gan­gen­heit eine eher unter­ge­ord­ne­te Rol­le spiel­ten bzw. die soli­da­risch oder pri­vat orga­ni­siert waren.

2 Eine Auf­lis­tung der für die gesund­heit­li­che Bedarfs­pla­nung rele­van­ten und am Dis­kurs zu betei­li­gen­den gesell­schaft­li­chen Akteu­re umfasst aus unse­rer Sicht zumin­dest Kran­ken­kas­sen, unab­hän­gi­ge Pati­en­tIn­nen­ver­tre­tun­gen, poli­ti­sche Ent­schei­dungs­ebe­nen, Wis­sen­schaft, Ärz­te­kam­mern und Gewerk­schaf­ten.

3 Bis­lang ist die tat­säch­li­che Bet­ten­be­le­gung der ent­schei­den­de Sur­ro­gat­pa­ra­me­ter zur Fest­stel­lung des Ver­sor­gungs­be­darfs. Kon­kur­ren­ten kön­nen sich leicht als bedarfs­not­wen­di­ge Ein­rich­tung in den Lan­des­kran­ken­haus­plan ein­kla­gen, unab­hän­gig von der Fra­ge, ob für die spe­zi­fi­schen Leis­tun­gen aus gesund­heits­pla­ne­ri­scher Sicht ein Ver­sor­gungs­be­darf besteht.

4 Mit dem Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rungs­ge­setz (KHG) wur­den 1972 die Bun­des­län­der ver­pflich­tet, für die Inves­ti­tio­nen der Kran­ken­häu­ser auf­zu­kom­men. Seit mehr als 2 Jahr­zehn­ten steh­len sich die Bun­des­län­der, wenn auch in unter­schied­li­chem Aus­maß, aus ihrer Ver­ant­wor­tung.
Im G‑DRG-Sys­tem sind Inves­ti­tio­nen nicht nur für eine hohe Ver­sor­gungs­qua­li­tät nötig, son­dern für das erfolg­rei­che Bestehen im Kon­kur­renz­kampf unter den Kran­ken­häu­sern gera­de­zu unver­zicht­bar. Die­se umge­lei­te­ten Gel­der feh­len dann aller­dings für eine qua­li­ta­tiv gute Pati­en­ten­ver­sor­gung und gute Arbeits­be­din­gun­gen des Per­so­nals. Wenn Kran­ken­häu­ser zukunfts­ori­en­tier­te Inves­ti­tio­nen höher prio­ri­sie­ren als eine qua­li­ta­tiv gute Pati­en­ten­ver­sor­gung in der Gegen­wart, ver­hal­ten sie sich im kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem zwar markt­ge­recht und logisch. Die Ver­schie­bung von Gel­dern, die für den lau­fen­den Betrieb bestimmt waren, ist den­noch eine Ver­un­treu­ung von Ver­si­cher­ten­gel­dern. Dies gilt in glei­cher Wei­se für den pri­va­ten Kran­ken­haus­sek­tor. Auch der Kapi­tal­dienst für zuvor getä­tig­te Inves­ti­tio­nen bzw. die Ent­nah­me von Gewin­nen zweck­ent­frem­det Ver­si­cher­ten­bei­trä­ge.
Die poli­ti­sche Initia­ti­ve zur nach­hal­ti­gen Auf­lö­sung des Inves­ti­ti­ons­staus in den Kli­ni­ken muss ins­be­son­de­re die zu erwar­ten­de Blo­cka­de­wir­kung der Schul­den­brem­se der Län­der über­win­den.

5 Vor dem Hin­ter­grund die­ser Ana­ly­se erscheint die Behaup­tung des GKV-Spit­zen­ver­ban­des, wonach zu hohe Prei­se der Fehl­an­reiz zur Men­gen­aus­wei­tung an Kran­ken­haus­leis­tun­gen sei­en, als bös­wil­li­ge Falsch­be­haup­tung oder als man­geln­de Kennt­nis des DRG-Sys­tems. Viel­leicht ist es kein Zufall, dass die DRG-Sys­te­ma­tik so kom­pli­ziert und undurch­sich­tig ist. So kann die Zivil­ge­sell­schaft kaum auf Augen­hö­he mit­dis­ku­tie­ren oder gar poli­tisch ein­grei­fen.

6 Per­so­nel­le Unter­be­set­zung in der Pfle­ge bis hin zur gefähr­li­chen Pfle­ge, der Abbau the­ra­peu­ti­scher Diens­te wie Kran­ken­gym­nas­tik und Logo­pä­die, Stel­len­strei­chun­gen beim Sozi­al­dienst, letzt­lich bei allen pati­en­ten­na­hen wie –fer­nen Dienst­leis­tun­gen sind selbst dann betriebs­wirt­schaft­lich sinn­voll, wenn sie den eigent­li­chen Behand­lungs­pro­zess beein­träch­ti­gen oder ins­ge­samt in Fra­ge stel­len. Dem vdää sind Fäl­le bekannt, in denen auf wohl­be­grün­de­te Gefähr­dungs­an­zei­gen von Pfle­ge­per­so­nen Vor­wür­fe fach­li­cher Inkom­pe­tenz bzw. Füh­rungs­schwä­che erfol­gen und der ärzt­li­che Dienst ein­dring­lich gebe­ten wird, Kon­sil­leis­tun­gen ande­rer medi­zi­ni­scher Fach­ge­bie­te nur noch in Fäl­len anzu­for­dern, in denen die­se die Fall­pau­scha­le erhö­hen. Mitt­ler­wei­le ist es üblich, die per­so­nel­le Aus­stat­tung gan­zer Fach­ab­tei­lun­gen statt am Ver­sor­gungs­be­darf der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten an den Erlö­sen der Fach­ab­tei­lung zu bemes­sen. Hin­zu kom­men alle For­men von Lohn­sen­kun­gen wie Aus­stieg aus Tarif­ver­trä­gen, Out­sour­cing, Sanie­rungs- und Not­la­gen­ta­rif­ver­trä­ge.



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