Pres­se­er­klä­rung des vdää zum Pati­en­ten­rech­te­ge­setz

Seit bald 20 Jah­ren wird von vie­len im Gesund­heits­we­sen Ver­ant­wort­li­chen, von Pati­en­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen, Gesund­heits­po­li­ti­kern, Juris­ten, Pati­en­ten­be­ra­tungs­stel­len und Ver­brau­cher­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen ein Pati­en­ten­rech­te­ge­setz ange­mahnt. Bereits in sei­nem Jah­res­gut­ach­ten 2000/2001 emp­fahl der Sach­ver­stän­di­gen­rat für die Kon­zer­tier­te Akti­on im Gesund­heits­we­sen, “die bis­lang in unter­schied­li­chen Geset­zes­tex­ten ver­streu­ten Pati­en­ten­rech­te in einem Pati­en­ten­rech­te­ge­setz zusam­men­zu­fas­sen”. Die 2003 von der Bun­des­re­gie­rung ver­öf­fent­lich­te soge­nann­te Pati­en­ten­char­ta (“Pati­en­ten­rech­te in Deutsch­land”) ent­hält zwar die Dar­stel­lung des gel­ten­den, über vie­le Geset­ze ver­streu­ten Arzt­ver­trags- und Arzt­haf­tungs­rechts in bür­ger­na­her Spra­che, aller­dings ohne rechts­ver­bind­lich zu sein.

Oft wird behaup­tet, die Anbie­ter im Gesund­heits­we­sen, allen vor­an Ärz­tin­nen und Ärz­te, sei­en die bes­ten Anwäl­te ihrer Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Dies ist ein pater­na­lis­ti­scher Irr­tum. Die der­zei­ti­ge Ver­sor­gung ten­diert vor allem aus wirt­schaft­li­chen Grün­den dazu, Abhän­gig­kei­ten und Regres­si­ons­ten­den­zen zu stär­ken, statt Selbst­be­stim­mung zu för­dern. Die Ver­si­cher­ten bzw. Ver­brau­cher soll­ten Mög­lich­kei­ten erhal­ten, ihre Inter­es­sen selbst bzw. über Ombuds­per­so­nen zu ver­tre­ten. Zwar sind alle im Gesund­heits­we­sen Täti­gen an ethi­sche, recht­li­che und fach­li­che Vor­ga­ben gebun­den, den­noch kön­nen die Inter­es­sen von Anbie­tern und Pati­en­ten nicht über­all deckungs­gleich sein. Es geht dar­um, die Diver­genz der Inter­es­sen zu akzep­tie­ren und sie offen zu legen, sich über sie zu ver­stän­di­gen und in part­ner­schaft­li­cher Wei­se, auf ver­trag­li­cher Grund­la­ge ein kon­struk­ti­ves Behand­lungs- und Arbeits­bünd­nis unter Ein­be­zie­hung des sozia­len Umfelds zu schaf­fen. Die­sen Ansprü­chen wird der Gesetz­ent­wurf nicht gerecht.

In der Begrün­dung zum Refe­ren­ten­ent­wurf selbst wer­den erheb­li­che Defi­zi­te in der Gesund­heits­ver­sor­gung kon­kret benannt: Nicht­be­ach­tung per­sön­li­cher Behand­lungs­wün­sche, zeit­rau­ben­de Bewil­li­gungs­ver­fah­ren für Leis­tun­gen durch die Kran­ken­kas­sen, Ver­sa­gung des Ein­blicks in die ärzt­li­che Doku­men­ta­ti­on bis hin zu Feh­lern in der Behand­lung.

Im Refe­ren­ten­ent­wurf fehlt die gesetz­li­che Ver­an­ke­rung eines Ent­schä­di­gungs­fonds.

Ein sol­cher Fonds soll geschä­dig­ten Pati­en­ten hel­fen, wenn kein siche­rer Nach­weis der Scha­dens­ur­sa­che oder des Ver­schul­dens erbring­bar ist, wenn eine sel­te­ne oder bis­lang unbe­kann­te Kom­pli­ka­ti­on mit erheb­li­cher Schä­di­gung für den Pati­en­ten auf­tritt oder wenn die Durch­set­zung des Scha­dens­er­satz­an­spru­ches unzu­mut­bar lan­ge dau­ern wür­de. Zusätz­lich soll­te der Fonds bei sozia­len Här­te­fäl­len unter­stüt­zen. Der Fonds soll­te durch ein Misch­mo­dell (aus Steu­er­mit­teln, von den Haft­pflicht­ver­si­che­rern der Leis­tungs­er­brin­ger, von der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung sowie aus den bereits zu erbrin­gen­den Zuzah­lun­gen der GKV-Ver­si­cher­ten im ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Bereich und über eine ana­lo­ge Abga­be der PKV-Ver­si­cher­ten) finan­ziert wer­den. Obwohl im Aus­land (z.B. Öster­reich) mit einem sol­chen Fonds bes­te Erfah­run­gen gemacht wer­den, lehnt der Refe­ren­ten­ent­wurf jeg­li­chen Fonds wegen angeb­lich man­geln­der Finan­zier­bar­keit ab. Über die­sen Fonds soll­te eine ver­schul­dens­un­ab­hän­gi­ge Scha­dens­re­gu­lie­rung mög­lich sein.

Im Refe­ren­ten­ent­wurf feh­len Moda­li­tä­ten zur Beweis­las­ter­leich­te­rung für geschä­dig­te Pati­en­ten. Es reicht nicht, eine Beweis­last­um­kehr nur bei gro­ben Behand­lungs­feh­lern zu for­dern. Ein gro­ber Feh­ler ist ein offen­sicht­li­cher Feh­ler und bedarf kei­ner gro­ßen Bewei­se. Im Ent­wurf fin­det sich kei­ne Defi­ni­ti­on von “gro­ben” Behand­lungs­feh­lern. Ins­be­son­de­re bei Feh­lern, die dem Gefah­ren­be­reich der Behand­ler zuzu­ord­nen sind, müs­sen Moda­li­tä­ten zur Beweis­las­ter­leich­te­rung oder Beweis­last­um­kehr defi­niert wer­den. Ärz­te ver­lie­ren ihren Schutz durch die Haft­pflicht­ver­si­che­rung, wenn sie sich zu einem Scha­dens­fall, auch wenn er offen­sicht­lich ist, äußern. Die­ses Aus­sa­ge­ver­bot soll­te auf­ge­ho­ben wer­den.

Im Refe­ren­ten­ent­wurf feh­len ver­bind­li­che Rege­lun­gen zu einer bes­se­ren Pati­en­ten­in­for­ma­ti­on. Der vdää for­dert, das Recht des Pati­en­ten auf einen “Pati­en­ten­brief” (als Pen­dant zum Arzt­brief) im Pati­en­ten­rech­te­ge­setz zu ver­an­kern. Pati­en­ten soll­ten auf Ver­lan­gen hin einen sol­chen Brief von den Behand­lern erhal­ten. Die Erstel­lung eines Pati­en­ten­brie­fes muss als eigen­stän­di­ge Leis­tung in den GKV-Kata­log auf­ge­nom­men wer­den. Der Pati­en­ten­brief soll in für Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, also Lai­en, ver­ständ­li­cher Spra­che abge­fasst wer­den und wich­ti­ge dia­gnos­ti­sche und the­ra­peu­ti­sche Über­le­gun­gen sowie Ziel­vor­ga­ben dar­le­gen. Dies soll den Pati­en­ten befä­hi­gen, aktiv und als Part­ner zur gemein­sa­men dia­gnos­ti­schen und the­ra­peu­ti­schen Ent­schei­dungs­fin­dun­gen bei­zu­tra­gen.

Im Refe­ren­ten­ent­wurf feh­len ver­bind­li­che Rege­lun­gen, die unzu­läs­si­ge, nutz­lo­se und schäd­li­che IGe­Leis­tun­gen und Zusatz­leis­tun­gen unter­sa­gen. Es feh­len ver­bind­li­che Rege­lun­gen, wie Igel- und Zusatz­leis­tun­gen ver­ein­bart wer­den müs­sen. Tat­säch­lich wer­den sol­che Leis­tun­gen häu­fig den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ein­sei­tig von den Leis­tungs­an­bie­tern ohne Auf­klä­rung auf­ge­drängt. Häu­fig wer­den Leis­tun­gen aus dem GKV-Kata­log als IGe­Leis­tun­gen ver­kauft. Bei Nicht­ein­hal­tung der Bestim­mung müs­sen die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten Anrecht auf Scha­dens­er­satz erhal­ten. IGe­Leis­tun­gen wer­den all­zu oft ohne vor­aus­ge­gan­ge­ne Infor­ma­ti­on und Auf­klä­rung sowie ohne schrift­li­che Ver­ein­ba­rung durch­ge­führt. Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten müs­sen vor der Kom­mer­zia­li­sie­rung der Medi­zin geschützt wer­den.

Im Refe­ren­ten­ent­wurf fehlt das Recht auf eine ver­pflich­ten­de Behand­lungs­ver­ein­ba­rung für Men­schen, deren Ein­wil­li­gungs­fä­hig­keit vor­über­ge­hend durch eine psych­ia­tri­sche Erkran­kung ein­ge­schränkt ist. Psych­ia­tri­sche Ein­rich­tun­gen müs­sen ver­pflich­tet wer­den, Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit wie­der­keh­ren­den Krank­heits­ver­läu­fen den Abschluss einer Behand­lungs­ver­ein­ba­rung anzu­bie­ten (Dies ent­spre­chend der UN-Behin­der­ten­kon­ven­ti­on).

Im Refe­ren­ten­ent­wurf fehlt die Ver­pflich­tung zur Ein­rich­tung von anony­men Feh­ler­mel­de­sys­te­men bzw. CIRS (cri­ti­cal inci­dent report­ing sys­tems – Anony­mes Mel­de­sys­tem für Bei­na­he­feh­ler) in Kran­ken­häu­sern und ambu­lan­ter Pra­xis. Nur durch Ler­nen von Feh­lern und Bei­na­he­feh­lern kön­nen zukünf­ti­ge Feh­ler ver­mie­den und die Sicher­heit der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten gestei­gert wer­den. Ver­mie­de­ne Feh­ler sind der bes­te Schutz von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten.

Dem Refe­ren­ten­ent­wurf sind “Zie­le” vor­an­ge­stellt. Danach “gilt es, Trans­pa­renz und Rechts­si­cher­heit hin­sicht­lich der bereits heu­te bestehen­den umfang­rei­chen Rech­te der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten her­zu­stel­len, die tat­säch­li­che Durch­set­zung die­ser Rech­te zu ver­bes­sern, zugleich Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten im Sin­ne einer ver­bes­ser­ten Gesund­heits­ver­sor­gung zu schüt­zen und ins­be­son­de­re im Fall eines Behand­lungs­feh­lers stär­ker zu unter­stüt­zen.”

Wenn es sich hier­bei nicht nur um eine heh­re Sonn­tags­re­de han­deln soll, dann sind die oben genann­ten For­de­run­gen des vdää in das Pati­en­ten­rech­te­ge­setz mit auf­zu­neh­men.

Prof. Dr. Wulf Diet­rich

(Vor­sit­zen­der des vdää)

Dr. Peter Schol­ze

(Mit­glied im erwei­ter­ten Vor­stands des vdää)



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