Praktische Fragen in der medizinischen Betreuung von Hungerstreikenden

Seit 2012 fanden in der BRD etwa ein Dutzend Hungerstreikaktionen von Flüchtlingen bzw. Asylsuchenden statt. Schwerpunkt war zunächst Bayern, im Lauf des Jahres 2013 fanden weitere Aktionen in Berlin, Bitterfeld, Hannover und anderen Städten statt. Der letzte Hungerstreik wurde im November 2014 am Sendlinger Tor in München durchgeführt. Die Erfahrungen der Hungerstreikaktionen waren sehr unterschiedlich. Gemeinsam war ihnen, dass sich sowohl die Aktivistinnen als auch das unterstützende Umfeld und nicht zuletzt die staatlichen Akteure kontinuierlich neu orientieren mussten. Wir sind solidarisch mit dem Anliegen der Hungerstreikenden gegen die inhumane Asylpolitik und ‑praxis in der BRD zu protestieren. Die individuelle und politische Wertung des Hungerstreiks als Protestform wollen wir dabei vermeiden. Die Entscheidung treffen die Aktivistinnen selbst. Auch wenn wir die Gründe für diese Entscheidung nicht immer nachvollziehen können, respektieren wir sie.
Die medizinisch tätigen Personen im Umfeld der vergangenen Hungerstreikaktionen standen stets vor der schwierigen Situation, dass nur wenige bis gar keine Informationen über das „richtige“ Verhalten bei der Betreuung von Hungerstreikenden zur Verfügung stehen – weder medizinisch, noch rechtlich noch ethischer Art. Die vorhandene Literatur und Nachschlagewerke sind meist auf Englisch und auf die Bedingungen von Hungerstreiks von Gefangenen unter Haftbedingungen (und auf die in den Gefängnissen arbeitenden Ärztinnen) zugeschnitten. Dieser Reader stellt den Versuch dar, eine Lücke zu schließen und all jenen Medizinerinnen, die sich ehrenamtlich in einer solchen Situation medizinisch engagieren, eine kurze Einführung und praktische Hilfe geben zu können.
Wir stellen dazu einige grundsätzliche ethische Abwägungen voran, gefolgt von medizinischen Grundlagen zur Physiologie des Hungers und zum Umgang mit dem Risiko eines Refeeding Syndroms nach Abbruch des Hungerstreiks. Schließlich haben wir noch einige praktische Hinweise und Fragen zusammengetragen, die im Rahmen eines Hungerstreiks nach unserer Erfahrung auftauchen können. Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit und freuen uns über Kommentare, Kritik und Ergänzungen.
Unser ganz besonderer Dank geht an alle, die uns in der Erstellung dieses Readers mit Hinweisen, Tipps, Verbesserungsvorschlägen und Korrekturen unterstützt haben, insbesondere Peter Hoffmann, Nadja Rakowitz, Ben Wachtler, Bernhard Winter und Andreas Wulf.