Gesundheit braucht Politik 4–2024
Solidarität verteidigen!
Gegen Rechte Politik und Militarisierung

Editorial
Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns noch eine neue beunruhigende Nachricht aus dem rechten Universum, mit dem wir uns das ganze Jahr über intensiv beschäftigt haben: Der Deutschlandfunk berichtete am 27.12., dass sich – lt. einer Correctiv-Recherche – der Bundestagsabgeordnete von der AfD Beckamp und die brandenburgische ebenfalls der AfD angehörende Landtagsabgeordnete Kotré gemeinsam mit Vertreter*innen der in Deutschland verbotenen rechtsextremen Bewegung »Blood & Honour« und einer Schweizer Neonazi-Gruppe in der Schweiz an einer Veranstaltung teilgenommen haben. Die AfD-Politiker*innen hätten sich bei der Veranstaltung für den Entzug der Staatsbürgerschaft von eingebürgerten Deutschen bei Rechtsverstößen ausgesprochen und es sei weiterhin vorgeschlagen worden, Abschiebungen zu privatisieren.
Hier hat man in einer kleinen Meldung nahezu den ganzen rechten Kosmos von Mandatsträger*innen in demokratischen Parlamenten bis zu rechtsradikalen und gewaltbereiten Hardcore-Gruppen, von liberalen Privatisierungsphantasien bis hin zu rassistischen Vorstellungen vom Entzug der Staatsbürgerschaft. Die Radikalisierung der deutschen Rechten und ihre internationale Vernetzung scheinen ungebrochen voranzuschreiten. Wie diese zu begreifen und wie das Verhältnis zur »bürgerlichen Mitte« ist, diese und andere Fragen waren Thema unserer Online-Veranstaltungsreihe »Solidarität verteidigen!«, die das Gesundheitspolitische Forum inhaltlich vorbereitete. Die Fragen wurden von den Referent*innen mit unterschiedlichen Thesen beantwortet. Die Berichte davon und ein Originalbeitrag des Referenten Stephan Kaufmann finden sich in diesem Heft dokumentiert.
Es bleibt abzuwarten, wie sich Parteien, die sich selbst in der politischen Mitte verorten, zu dieser erneuten Enthüllung positionieren. Zu befürchten ist allerdings, dass sie trotz aller gegen die AfD gerichteten Rhetorik keine an Menschen- und Gleichheitsrechten orientierte Politik umsetzen, sondern letztlich erneut die AfD-Ideologie und wohlmöglich auch zukünftige Regierungsbeteiligung legitimieren, indem sie Teile von deren Politikansätzen umsetzen.
Beim diesjährigen Gesundheitspolitischen Forum in Dresden diskutierten wir dann zum einen, was rechte Politik insbesondere auch im Gesundheitswesen praktisch in Deutschland und in Italien bedeutet. Aus Italien, wo die Rechte sich schon viel stabiler politisch etabliert hat, hatten wir dazu Gäste eingeladen und konnten bspw. lernen, wie das Abtreibungsrecht zum zentralen Kampffeld der neuen Rechten wird. Dies unterstreichen auch Erfahrungen mit der AfD aus dem Osten Deutschlands. Zur Politik der Rechten gab es ein Panel am Vormittag und verschiedene Workshops nachmittags, die unter anderem den Rassismus im Gesundheitswesen als ein wesentliches Moment der sich ausbreitenden rechten Stimmung in der Gesellschaft bearbeiteten und dafür Handlungsstrategien zumindest auf individueller betrieblicher Ebene entwickelten. Über dieses Panel wie über die Workshops berichten wir hier ebenfalls.
Klaus Dörre hatte uns schon am Freitagabend Erklärungsansätze, warum Arbeiter*innen rechts wählen, vorgestellt und eine Perspektive entwickelt, wie man das politisch bekämpfen könnte: Er plädiert für eine Demokratisierung im Sinne der Aneignung der Produktionsmittel durch die Arbeitenden und eine gesellschaftlich geplante öko-sozialistische Transformation, die die Entfremdung der Arbeitenden von ihren Produkten, d.h. auch von der Gesellschaft und von sich selbst in Richtung gesellschaftlicher Selbstbestimmung aufheben soll. Diese Entfremdung der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft hält Dörre für ein zentrales Moment des Aufstiegs der Rechten. Lest selbst, er hat den Vortrag für uns in einem Beitrag in diesem Heft ausformuliert.
Der zweite Themenstrang dieses Jahres und auch des Gesundheitspolitischen Forums war die Militarisierung der Gesellschaft. Dazu gibt es hier den Bericht über die Veranstaltung mit Jan van Aken, den Vortrag von Ulrike Eifler vom zweiten Panel am Samstagvormittag und einen Bericht über den Workshop am Nachmittag. Besonders in letzterem wurde deutlich, dass die Funktion des vdää* aktuell zum einen ist, zunächst einmal trotz unterschiedlicher Einschätzungen des Ukraine- oder Gazakrieges einen Raum zu öffnen für die Diskussion und Reflexion auch der eigenen Unsicherheit angesichts des Problems der Militarisierung und eskalierender Kriege. Und zum anderen ist die Funktion des vdää*, die Generationen zusammenzubringen und ihre Erfahrungen gemeinsam zu besprechen.
Im Kampf gegen die Militarisierung sind wir also gerade erst (wieder) am Anfang und werden im nächsten Jahr einen kontinuierlichen Arbeitszusammenhang AK Gegen Militarisierung ins Leben rufen, zu dem alle vdää*-Mitglieder aber auch Menschen aus befreundeten Organisationen wie z.B. der IPPNW eingeladen werden. Es gibt auch schon eine Idee für eine Veranstaltung im Frühjahr, über die wir rechtzeitig informieren werden. Die GbP wird dieses Thema kontinuierlich begleiten.
Gesundheitspolitisch herausragend war die im November 2024 erfolgte Verabschiedung der Lauterbachschen Krankenhausreform. Vom Bündnis Krankenhaus statt Fabrik (KsF) wurde dies als Niederlage der Krankenhausbewegung gewertet: Besser keine Reform als diese. Zum Jahresende berichten immer mehr Krankenhäuser und Krankenhausverbände über eine äußerst angespannte Finanzlage im stationären Bereich. Es ist davon auszugehen, dass der von KsF u.a. befürchtete und politisch gewollte Anstieg der Krankenhausinsolvenzen, mit der Konsequenz einer verschlechterten Patientenversorgung, 2025 massiv erfolgen wird. Auch dies ein Thema, das wir verstärkt in den nächsten Ausgaben der GbP behandeln werden.
Die Redaktion der GbP wünscht allen Leser*innen einen gelungenen Jahresbeginn 2025. Wir verbinden dies mit der Hoffnung auf eine friedvollere Weltordnung und dass uns Schritte in Richtung auf ein solidarisches Gesundheitswesen gelingen.
Eure GbP-Redaktion
Inhalt
- Karen Spannenkrebs: Solidarität verteidigen! Zusammenfassung der Veranstaltungsreihe
- Helena Mielke: Militarisierung und Möglichkeiten der Friedenspolitik. Reflexionen aus der Veranstaltung mit Jan van Aken
- Stephan Kaufmann: Aufstieg der Rechten. Fragmentierung statt Globalisierung
- Bernhard Winter: Die Saat der rohen Bürgerlichkeit. Wilhelm Heitmeyer zur Einordnung der Rechtsentwicklung
- Karen Spannenkrebs: Veranstaltung mit Natascha Strobl. Über die »Radikalisierung des Konservativismus«
- Julius Poppel: Gesundheitspolitik im Nationalsozialismus
- Klaus Dörre:»Arbeiterin und stolz darauf!« Welche Hoffnungen setzten Arbeiter*innen in rechte Politik? Haben wir linke Antworten?
- Isabelle Horster Rafaela Voss: und Was ist rechte Gesundheitspolitik? Erfahrungen mit AfD und Fratelli d’Italia
- Nadja Rakowitz:Solidarität – aber nur innerhalb des Volks. Zu gesundheitspolitischen Vorstellungen der AfD
- Bernhard Winter: Militarisierung des Gesundheitswesens
- Ulrike Eifler: Militarisierung der Gesellschaft
- Jonas Röhricht: Trumps »Konzepte eines Plans«
- Friedrich Schorb: Healthismus. Gesundheit als gesellschaftliche Obsession
- Michael Janßen:Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Ein Lauterbach-Ampel-Drama in zahlreichen Akten und mit unwürdigem Ende
- Colette Gras: Geschichte des (Anti-)Militarismus im Gesundheitswesen
- Stammtischkämper*innen
- Isabelle Horster: Umgang und Handlungsmöglichkeiten mit Menschenfeindichkeit und rechten Positionen
- Felix Ahls: Rassismus und Gesundheit. Zur Produktion von Ungleichheiten in der deutschen Gesundheitsversorgung
- Thuli Wolf und Wesley Friedrich: Gemeinsam wütend. Austausch und Strategieentwicklung für antirassistische Ärzt*innen
- Rafaela Voss: Erfahrungen mit rechter Gesundheitspolitik in anderen Ländern. Von Alan Rossi Silva aus Brasilien und Guiseppe Bartolomei und Tea Bosso aus Italien
Beiträge aus dem Heft
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Experiences with right-wing politics in the Italian health system
by Tea Bosso and Guiseppe Bartolomei Der Text stellt eine Dokumentation des Panelbeitrags der beiden italienischen Ärzt*innen Tea Bosso und und Guiseppe Bartolomei dar, den sie im Rahmen des Gesundheitspolitischen […]