Edi­to­ri­al

Lie­be Leser*innen,

das The­ma Krieg und Mili­ta­ri­sie­rung drängt sich qua­si aktu­ell auf. Gleich­zei­tig müs­sen wir uns kri­tisch die Fra­ge stel­len, war­um wir erst jetzt ein Heft zum The­ma Krieg her­aus­brin­gen. Grund dafür hät­ten wir immer gehabt, wobei aktu­ell die Kon­flik­te um eine neue Welt­ord­nung eska­lie­ren. Das Titel­bild die­ser Aus­ga­be wur­de 2019 in Aden im Jemen auf­ge­nom­men, wo die Men­schen seit 201415 unter einem Bür­ger­krieg mit inter­na­tio­na­ler Betei­li­gung lei­den. Laut Anga­ben der Ver­ein­ten Natio­nen hat die­ser Krieg zu einer der größ­ten huma­ni­tä­ren Kata­stro­phe unse­rer Zeit geführt – und doch hier­zu­lan­de zu kei­nem ansatz­wei­se ver­gleich­ba­ren media­len Echo wie der Krieg in der Ukrai­ne oder in Gaza. 

Wir haben uns bewusst dazu ent­schie­den, den Fokus die­ses Hef­tes nicht auf ein­zel­ne, kon­kre­te Kon­flik­te zu legen, auch um die aktu­ell in der deut­schen Lin­ken all­zu schnell pas­sie­ren­de Ein­ord­nung in gegen­sätz­li­che Lager zu ver­mei­den. Uns geht es um eine grund­sätz­li­che­re Aus­ein­an­der­set­zung mit der schreck­li­chen Rea­li­tät, den grau­sa­men Fol­gen und den unmensch­li­chen Logi­ken von Krieg und Mili­ta­ris­mus. Und wir hof­fen, dass Ihr aus den Bei­trä­gen die­ses Hefts Impul­se zie­hen könnt, die auch für Eure eige­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit aktu­el­len Kon­flik­ten nütz­lich sind. 

Was in die­sem Heft fehlt, ist eine grund­sätz­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit unter­schied­li­chen Erklä­run­gen für Krie­ge in his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve und je nach poli­ti­scher Per­spek­ti­ve. Auch ande­re The­men tau­chen nicht auf, etwa die Ver­sor­gung von psy­chi­schen Erkran­kun­gen bei Geflüch­te­ten aus Kriegs­ge­bie­ten. Dazu hat­te Lukas Welz aller­dings in der GbP 322 einen span­nen­den Arti­kel geschrie­ben, den Ihr online (oder im Heft) nach­le­sen könnt.

Vor allem der Krieg Russ­lands gegen die Ukrai­ne hat auch in Deutsch­land zu ein­schnei­den­den Ver­än­de­run­gen geführt – euphe­mis­tisch Zei­ten­wen­de genannt. Nicht nur, dass die BRD nun auf­rüs­tet und sehr viel mehr Geld als frü­her für Rüs­tung und Ver­tei­di­gung aus­gibt – Geld, das im Sozi­al­staat feh­len wird. Die Gesell­schaft soll ins­ge­samt »kriegs­tüch­tig« gemacht wer­den und das Gesund­heits­we­sen als wesent­li­cher Teil davon eben­falls. Ganz aktu­ell erhitzt die Gemü­ter die Debat­te um eine Wider­ein­füh­rung der Wehr­pflicht, wobei in vie­len Bei­trä­gen die Prä­mis­se, dass Deutsch­land »kriegs­tüch­tig« wer­den müs­se, ohne­hin als gege­ben vor­ne­weg gestellt wird. 

Am 5. Juni 2024 hat das Bun­des­ka­bi­nett eine neue »Rah­men­richt­li­nie Gesamt­ver­tei­di­gung« unter der Über­schrift »Ver­än­der­te Sicher­heits­la­ge in Euro­pa: Bun­des­re­gie­rung stärkt mili­tä­ri­sche und zivi­le Ver­tei­di­gung Deutsch­lands« beschlos­sen, in der kon­kre­te Anfor­de­run­gen an die Vor­be­rei­tung eines Kriegs­falls benannt wer­den. Am sel­ben Tag hat Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Pis­to­ri­us erklärt: »Wir müs­sen bis 2029 kriegs­tüch­tig sein … Wir müs­sen Abschre­ckung leis­ten, um zu ver­hin­dern, dass es zum Äußers­ten kommt«. Der Auf­schrei der Öffent­lich­keit hielt sich Gren­zen.

Uns aber treibt das um, wie Ihr im Text von Bern­hard Win­ter lesen könnt. Und wir als vdää* wol­len uns gegen die­se Ten­den­zen posi­tio­nie­ren. Wir wol­len uns nicht dar­an betei­li­gen, das Gesund­heits­we­sen kriegs­tüch­tig zu machen und den Men­schen in die­ser Gesell­schaft die Illu­si­on vor­zu­gau­keln, dass wir ihnen hel­fen kön­nen in einem zum Welt­krieg eska­lie­ren­den Kon­flikt. Wir kämp­fen dafür, das Gesund­heits­we­sen frie­dens­tüch­tig zu machen. Wer den Frie­den will, muss den Frie­den vor­be­rei­ten.

Zuletzt noch ein Appell: Poli­ti­sche Bil­dungs­ar­beit ist Arbeit und kos­tet Geld. Bit­te nehmt Euch Zeit, den bei­lie­gen­den Spen­den­auf­ruf des Soli­da­ri­schen Gesund­heits­we­sen durch­zu­le­sen und denkt dar­über nach, ob es Euch nicht mög­lich ist zu spen­den, um eine kon­ti­nu­ier­li­che Arbeit zu ermög­li­chen.

Inhalt

  1. Isa­bel­le Hors­ter: Orga­ni­sier­te Gewalt welt­weit
  2. Bern­hard Win­ter: Deutsch­land wird kriegs­tüch­tig. Machen wir mit? Zur Wie­der­kehr des Mili­tä­ri­schen auch im Gesund­heits­we­sen
  3. Jür­gen Wag­ner: Rüs­tung durch Sozi­al­ab­bau. Der Haus­halt 2024 ist übel – aber das rich­tig dicke Ende droht erst noch
  4. Felix Lit­schau­er: Ziel­schei­be Gesund­heit. Kran­ken­häu­ser und medi­zi­ni­sches Per­so­nal ste­hen unter hohem völ­ker­recht­li­chem Schutz. Doch immer häu­fi­ger wer­den sie ange­grif­fen.
  5. Bern­hard Win­ter: Gewoll­te Amne­sie. Der Gift­gas­krieg im marok­ka­ni­schen Rif-Gebir­ge 1921–1926/27 und sei­ne Lang­zeit­fol­gen
  6. Sophia Feh­ren­bach: Das ver­ste­cke Grau­en. Hin­ter­grün­de zu sexua­li­sier­ter Kriegs­ge­walt
  7. Karen Span­nen­krebs: Femi­nis­ti­sche Außen­po­li­tik. Doch nur Gedöns?
  8. Inter­view: Par­tei­nah­me auf Sei­ten der Opfer. Tho­mas Gebau­er zur kom­pli­zier­ten Rol­le von medi­zi­ni­schen Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen im Krieg
  9. Redak­ti­on GbP / Rudi Schwab: Unge­zähl­te Emis­sio­nen. Öko­lo­gi­sche Fol­gen von Rüs­tung und Krieg
  10. Inter­na­tio­na­les: Jonas Röh­richt: Blick nach Ita­li­en. Gior­gia Melo­nis Rechts­ruck und die Fol­gen für Geflüch­te­te
  11. Inter­view: »Radi­cal Aid against Bor­ders«. Das Pro­jekt Medi­cal­Bus
  12. Rubrik Stu­di­um und Wei­ter­bil­dung: A. Hol­ler­bach / E. Alfon­so / F. Diet / J.B. Preuß / L.M. Hof­mann: Libe­ra­ti­on Medi­ci­ne. (Wie) kann uns eine medi­zin­an­thro­po­lo­gi­sche Per­spek­ti­ve befrei­en?

Bei­trä­ge aus dem Heft

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