Gesundheit braucht Politik 2–2024
Krieg und Militarisierung des Gesundheitswesens

Editorial
Liebe Leser*innen,
das Thema Krieg und Militarisierung drängt sich quasi aktuell auf. Gleichzeitig müssen wir uns kritisch die Frage stellen, warum wir erst jetzt ein Heft zum Thema Krieg herausbringen. Grund dafür hätten wir immer gehabt, wobei aktuell die Konflikte um eine neue Weltordnung eskalieren. Das Titelbild dieser Ausgabe wurde 2019 in Aden im Jemen aufgenommen, wo die Menschen seit 2014⁄15 unter einem Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung leiden. Laut Angaben der Vereinten Nationen hat dieser Krieg zu einer der größten humanitären Katastrophe unserer Zeit geführt – und doch hierzulande zu keinem ansatzweise vergleichbaren medialen Echo wie der Krieg in der Ukraine oder in Gaza.
Wir haben uns bewusst dazu entschieden, den Fokus dieses Heftes nicht auf einzelne, konkrete Konflikte zu legen, auch um die aktuell in der deutschen Linken allzu schnell passierende Einordnung in gegensätzliche Lager zu vermeiden. Uns geht es um eine grundsätzlichere Auseinandersetzung mit der schrecklichen Realität, den grausamen Folgen und den unmenschlichen Logiken von Krieg und Militarismus. Und wir hoffen, dass Ihr aus den Beiträgen dieses Hefts Impulse ziehen könnt, die auch für Eure eigene Auseinandersetzung mit aktuellen Konflikten nützlich sind.
Was in diesem Heft fehlt, ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Erklärungen für Kriege in historischer Perspektive und je nach politischer Perspektive. Auch andere Themen tauchen nicht auf, etwa die Versorgung von psychischen Erkrankungen bei Geflüchteten aus Kriegsgebieten. Dazu hatte Lukas Welz allerdings in der GbP 3⁄22 einen spannenden Artikel geschrieben, den Ihr online (oder im Heft) nachlesen könnt.
Vor allem der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat auch in Deutschland zu einschneidenden Veränderungen geführt – euphemistisch Zeitenwende genannt. Nicht nur, dass die BRD nun aufrüstet und sehr viel mehr Geld als früher für Rüstung und Verteidigung ausgibt – Geld, das im Sozialstaat fehlen wird. Die Gesellschaft soll insgesamt »kriegstüchtig« gemacht werden und das Gesundheitswesen als wesentlicher Teil davon ebenfalls. Ganz aktuell erhitzt die Gemüter die Debatte um eine Widereinführung der Wehrpflicht, wobei in vielen Beiträgen die Prämisse, dass Deutschland »kriegstüchtig« werden müsse, ohnehin als gegeben vorneweg gestellt wird.
Am 5. Juni 2024 hat das Bundeskabinett eine neue »Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung« unter der Überschrift »Veränderte Sicherheitslage in Europa: Bundesregierung stärkt militärische und zivile Verteidigung Deutschlands« beschlossen, in der konkrete Anforderungen an die Vorbereitung eines Kriegsfalls benannt werden. Am selben Tag hat Bundesverteidigungsminister Pistorius erklärt: »Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein … Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt«. Der Aufschrei der Öffentlichkeit hielt sich Grenzen.
Uns aber treibt das um, wie Ihr im Text von Bernhard Winter lesen könnt. Und wir als vdää* wollen uns gegen diese Tendenzen positionieren. Wir wollen uns nicht daran beteiligen, das Gesundheitswesen kriegstüchtig zu machen und den Menschen in dieser Gesellschaft die Illusion vorzugaukeln, dass wir ihnen helfen können in einem zum Weltkrieg eskalierenden Konflikt. Wir kämpfen dafür, das Gesundheitswesen friedenstüchtig zu machen. Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten.
Zuletzt noch ein Appell: Politische Bildungsarbeit ist Arbeit und kostet Geld. Bitte nehmt Euch Zeit, den beiliegenden Spendenaufruf des Solidarischen Gesundheitswesen durchzulesen und denkt darüber nach, ob es Euch nicht möglich ist zu spenden, um eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen.
Inhalt
- Isabelle Horster: Organisierte Gewalt weltweit
- Bernhard Winter: Deutschland wird kriegstüchtig. Machen wir mit? Zur Wiederkehr des Militärischen auch im Gesundheitswesen
- Jürgen Wagner: Rüstung durch Sozialabbau. Der Haushalt 2024 ist übel – aber das richtig dicke Ende droht erst noch
- Felix Litschauer: Zielscheibe Gesundheit. Krankenhäuser und medizinisches Personal stehen unter hohem völkerrechtlichem Schutz. Doch immer häufiger werden sie angegriffen.
- Bernhard Winter: Gewollte Amnesie. Der Giftgaskrieg im marokkanischen Rif-Gebirge 1921–1926/27 und seine Langzeitfolgen
- Sophia Fehrenbach: Das verstecke Grauen. Hintergründe zu sexualisierter Kriegsgewalt
- Karen Spannenkrebs: Feministische Außenpolitik. Doch nur Gedöns?
- Interview: Parteinahme auf Seiten der Opfer. Thomas Gebauer zur komplizierten Rolle von medizinischen Hilfsorganisationen im Krieg
- Redaktion GbP / Rudi Schwab: Ungezählte Emissionen. Ökologische Folgen von Rüstung und Krieg
- Internationales: Jonas Röhricht: Blick nach Italien. Giorgia Melonis Rechtsruck und die Folgen für Geflüchtete
- Interview: »Radical Aid against Borders«. Das Projekt MedicalBus
- Rubrik Studium und Weiterbildung: A. Hollerbach / E. Alfonso / F. Diet / J.B. Preuß / L.M. Hofmann: Liberation Medicine. (Wie) kann uns eine medizinanthropologische Perspektive befreien?
Beiträge aus dem Heft
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Deutschland wird kriegstüchtig. Machen wir mit? Zur Wiederkehr des Militärischen auch im Gesundheitswesen
von Bernhard Winter Seitdem Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am 29.10.2023 in einem Fernsehinterview die Kriegstüchtigkeit der deutschen Gesellschaft und einen entsprechenden Mentalitätswandel forderte, wird dieser Appel von Vertreter*innen aller Ampelparteien sowie der […]
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Die Gesundheit braucht Politik 2/2024 ist da!
Als vdää*-Mitglied oder GbP-Abonennt*in dürft Ihr euch in den nächsten Tagen über Post freuen – die neue Ausgabe ist da! In dieser Ausgabe haben wir uns dem unbequemen, aber wichtigen […]