Deutsch­land wird kriegs­tüch­tig. Machen wir mit? Zur Wie­der­kehr des Mili­tä­ri­schen auch im Gesund­heits­we­sen

Ausgabe 2 / 2024 zu Krieg und Militarisierung des Gesundheitswesens

von Bern­hard Win­ter

Seit­dem Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pis­to­ri­us am 29.10.2023 in einem Fern­seh­in­ter­view die Kriegs­tüch­tig­keit der deut­schen Gesell­schaft und einen ent­spre­chen­den Men­ta­li­täts­wan­del for­der­te, wird die­ser Appel von Vertreter*innen aller Ampel­par­tei­en sowie der CDU/CSU in unter­schied­li­chen Varia­tio­nen fort­wäh­rend wie­der­holt. Mit die­ser For­mu­lie­rung wur­de sei­tens des Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ters bewusst ver­bal eska­liert: Bis­her wur­de eine Mili­ta­ri­sie­rung stets mit der not­wen­di­gen Stär­kung der Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft begrün­det. Die jet­zi­ge men­ta­le Auf­rüs­tung wirkt mul­ti­funk­tio­nal: Zum einen soll sich ein rele­van­ter Wider­stand gegen die immensen Aus­ga­ben, die die mili­tär­tech­ni­sche Auf­rüs­tung auf Kos­ten von Sozi­al­aus­ga­ben her­vor­ru­fen wird, erst gar nicht for­mie­ren. Zum ande­ren soll mili­tä­ri­sches Den­ken in allen Berei­chen der Gesell­schaft fest ver­an­kert wer­den. Davon ist natür­lich auch das Gesund­heits­we­sen ange­sichts sei­ner immensen Bedeu­tung im Kriegs­fall nicht aus­ge­schlos­sen. Dabei erzeu­gen Pis­to­ri­us‘ Wor­te einen kata­ly­sa­to­ri­schen Effekt, der ubi­qui­tär in der Gesell­schaft wirkt. Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach sekun­dier­te dann auch sei­nem Kabi­netts­kol­le­gen und for­der­te „eine Zei­ten­wen­de auch für das Gesund­heits­we­sen“, da Deutsch­land zukünf­tig resi­li­ent gegen Pan­de­mien sein sol­le und sich auch „für gro­ße Kata­stro­phen und even­tu­el­le mili­tä­ri­sche Kon­flik­te bes­ser auf­stel­len müs­se“[i]. Selbst­re­dend sind auch die Ärz­te­schaft und Ärz­te­kam­mern von den Umbrü­chen nicht aus­ge­nom­men. Aber zunächst der Rei­he nach.

Mili­ta­ri­sie­rung des Gesund­heits­we­sens ohne uns

Mit der Wie­der­be­waff­nung der Bun­des­re­pu­blik und der Grün­dung der Bun­des­wehr 1955 such­ten ehe­ma­li­ge Offi­zie­re des Sani­täts­diens­tes der NS-Wehr­macht in der sich jetzt wie­der eta­blie­ren­den Wehr­me­di­zin neue Betä­ti­gungs­fel­der. Die Ver­bre­chen der NS-Medi­zin im zwei­ten Welt­krieg waren allen­falls in Ansät­zen auf­ge­ar­bei­tet und wur­den von der Ärz­te­schaft und den poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen eini­gen weni­gen Ein­zel­per­so­nen zuge­wie­sen. Ent­spre­chend konn­te man sich – schein­bar unbe­las­tet – den neu­en Her­aus­for­de­run­gen der Mili­tär­me­di­zin im Kal­ten Krieg stel­len. 1968 kon­sti­tu­ier­te sich, her­vor­ge­hend aus einer Ver­ei­ni­gung ehe­ma­li­ger Sani­täts­of­fi­zie­re, die „Gesell­schaft für Wehr­me­di­zin und Wehr­phar­ma­zie“. Wehr­me­di­zi­ni­sche The­men wur­den damals in der Ärz­te­schaft durch­aus in einem gewis­sen Umfang öffent­lich dis­ku­tiert. So unter­hielt der Hart­mann­bund einen wehr­me­di­zi­ni­schen Arbeits­kreis, der ins­be­son­de­re auch Zivil­schutz­maß­nah­men im Kriegs­fall pro­kla­mier­te. Die­se Ange­le­gen­heit wur­de auch von der Bun­des­ärz­te­kam­mer (BÄK) auf­ge­grif­fen, die das The­ma Zivil­schutz etwas ver­brämt in einem 1979 gegrün­de­ten Arbeits­kreis ihres wis­sen­schaft­li­chen Bei­ra­tes „Ärzt­li­che Hil­fe bei Kata­stro­phen“ bear­bei­te­te[ii]. Mit einem zuneh­mend aggres­si­ve­ren Kurs der NATO gegen­über der Sowjet­uni­on und deren Ver­bün­de­ten, der gip­fel­te im NATO-Dop­pel­be­schluss vom 12.12.1979, der eine Auf­stel­lung neu­ar­ti­ger atom­waf­fen­tra­gen­der Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten in West­eu­ro­pa vor­sah, wur­de das The­ma Zivil­schutz in einer brei­te­ren Öffent­lich­keit dis­ku­tiert. Dies umso mehr, da sei­tens der US-Admi­nis­tra­ti­on die Mög­lich­keit der Begren­zung eines Atom­krie­ges auf Euro­pa als eine rea­lis­ti­sche Opti­on dis­ku­tiert wur­de.

Die­se NATO-Poli­tik rief den Wider­spruch von Mil­lio­nen Men­schen in der BRD her­vor. Auch im Gesund­heits­we­sen gab es etli­che Frie­dens­in­itia­ti­ven. Die bun­des­deut­sche Sek­ti­on der inter­na­tio­na­len Ärz­te für die Ver­hü­tung des Atom­krie­ges (IPPNW) wur­de gegrün­det und hat­te rasch erheb­li­chen Zulauf mit tau­sen­den Mit­glie­dern. Ein Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt wur­de die Aus­ein­an­der­set­zung um den Refe­ren­ten­ent­wurf zu einem Gesund­heits­si­che­rungs­ge­setz, mit dem eine ver­pflich­ten­de Fort­bil­dung in Kriegs­me­di­zin, bei­spiels­wei­se das Ein­üben der Tria­ge, ein­ge­führt wer­den soll­te. Die Frie­dens­be­we­gung warf den Regie­ren­den vor, über die­ses Gesetz im Kriegs­fall Zugriff auf das gesam­te Gesund­heits­per­so­nal haben zu wol­len, um die­ses dann unter mili­tä­ri­schen Gesichts­punk­ten ein­zu­set­zen. Unter dem Mot­to „Wir wer­den Euch nicht hel­fen kön­nen!“ for­der­ten statt­des­sen Friedensaktivist*innen aus Gesund­heits­be­ru­fen, IPPNW und Vertreter*innen der oppo­si­tio­nel­len Lis­ten in den Ärz­te­kam­mern über die gesund­heit­li­chen Fol­gen eines Atom­krie­ges auf­zu­klä­ren, statt Illu­sio­nen über die Mög­lich­keit eines Schut­zes der Zivil­be­völ­ke­rung bei einem ato­ma­ren Angriff zu ver­brei­ten. Der erheb­li­che Wider­stand aus der Ärz­te­schaft führ­te zumin­dest zu einem vor­sich­ti­gen Umgang der Kamm­er­füh­rung in die­ser Fra­ge.

Poli­tisch konn­te die­ser Ent­wurf des Zivil­schutz­ge­set­zes nicht durch­ge­setzt wer­den [iii]. Mit dem Ende des Kal­ten Krie­ges 1989 bestand auch dies­be­züg­lich kei­ne Dring­lich­keit mehr. Das Ergeb­nis die­ser mit zeit­wei­lig ziem­lich har­ten Ban­da­gen geführ­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Mili­ta­ri­sie­rung des Gesund­heits­we­sens war zunächst für eine begrenz­te Zeit durch­aus nach­hal­tig. Im Jahr 2002 beschloss der Deut­sche Ärz­te­tag in Ros­tock noch fol­gen­de Reso­lu­ti­on: „Ange­sichts der aktu­el­len poli­ti­schen Welt­la­ge wird wie­der der Ruf nach Aus­bau der Kata­stro­phen­me­di­zin laut. Gleich­zei­tig wird Krieg als Mit­tel zur Durch­set­zung poli­ti­scher Zie­le und Wert­vor­stel­lun­gen bei den poli­ti­schen Funk­ti­ons­trä­gern zuneh­mend hof­fä­hig. Der Deut­sche Ärz­te­tag betont, dass der Aus­bau von Kata­stro­phen­me­di­zin nicht die Ursa­chen von Ter­ror und Gewalt berührt, son­dern – wenn über­haupt – nur Sym­pto­me berührt. Krieg zur Durch­set­zung poli­ti­scher Zie­le muss wei­ter­hin strikt geäch­tet blei­ben. Welt­wei­te Sicher­heit kann nur erreicht wer­den durch den Auf- und Aus­bau sta­bi­ler Sozi­al­sys­te­me und gerech­te Ver­tei­lung der Res­sour­cen die­ser Welt. Aus­rei­chen­de Gesund­heits­für­sor­ge ist eine Vor­aus­set­zung die­ses Zie­les. Der Deut­sche Ärz­te­tag for­dert von der Bun­des­re­gie­rung einen mas­si­ven Aus­bau der Hil­fen zum Aus­bau effek­ti­ver Gesund­heits­sys­te­me in Län­dern der soge­nann­ten Drit­ten Welt als Bei­trag zur Bekämp­fung von Gewalt und Unge­rech­tig­keit in der Welt.“[iv]

 

„Zei­ten­wen­de“

20 Jah­re spä­ter for­dert der Ärz­te­tag in Bre­men bei zwei Gegen­stim­men, unter dem Ein­druck des Angrif­fes der rus­si­schen Armee auf die Ukrai­ne, u.a. bereits eine adäqua­te Berück­sich­ti­gung des Sani­täts­we­sens der Bun­des­wehr bei der Ver­tei­lung der 100 Mrd. € aus dem Son­der­ver­mö­gen sowie eine Inten­si­vie­rung der zivil-mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit[v].

Der Hart­mann­bund tritt nicht mehr so forsch auf wie in frü­he­ren Jahr­zehn­ten, for­der­te aber den­noch auf sei­ner Jah­res­haupt­ver­samm­lung im Novem­ber 2023, dass das Gesund­heits­si­cher­stel­lungs­ge­setzt unver­züg­lich auf den Weg zu brin­gen und die zivil-mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit zu inten­si­vie­ren sei.[vi]

In ein­zel­nen Kam­mer­me­di­en wird sehr aktiv die Zivil-Mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit (ZMZ) pro­pa­giert. Die ver­bin­den­de Klam­mer ist dabei die Kata­stro­phen­me­di­zin. The­ma­tisch erfolgt eine bewuss­te Ver­men­gung von Kriegs­me­di­zin mit zivi­ler Kata­stro­phen­ab­wehr ganz so, als sei eine Hoch­was­ser­ka­ta­stro­phe das­sel­be wie ein Krieg. Als erfol­ge eine Tria­ge bei Umwelt­ka­ta­stro­phen nach den­sel­ben Kri­te­ri­en wie unter mili­tä­ri­schen Gesichts­punk­ten. Die­se Ver­men­gung von zivi­len Kata­stro­phen und mili­tä­ri­schen Kon­flik­ten wird aktu­ell um Pan­de­mien und Fol­gen der Kli­ma­kri­se ergänzt. In sei­ner Novem­ber­aus­ga­be 2023 berich­te­te die Titel­ge­schich­te des Hes­si­sche Ärz­te­blatts über ein Sym­po­si­um zur mili­tä­risch-zivi­len Zusam­men­ar­beit, das von den Ärz­te­kam­mern Hes­sen und Rhein­land-Pfalz in Koope­ra­ti­on mit dem Regio­nal­kom­man­do Hes­sen und dem Kom­man­do Regio­na­le Sani­täts­dienst­li­che mit Unter­stüt­zung der Bun­des­wehr im Schloss Oranienstein/Diez orga­ni­siert wur­de. Inhalt­lich beschäf­tig­te man sich vor­nehm­lich mit kriegs­me­di­zi­ni­schen The­men wie „Ret­tung unter Feind­be­schuss“, so das Tagungs­pro­gramm[vii]. In den nächs­ten Mona­ten gedieh offen­sicht­lich die Zusam­men­ar­beit zur Gestal­tung des mili­tä­risch-medi­zi­ni­schen Kom­ple­xes. Mehr­fach berich­te­te das Ärz­te­blatt in Hes­sen in den Fol­ge­mo­na­ten von gegen­sei­ti­gen Besu­chen[viii]. Sowohl Bun­des­wehr als auch die Lan­des­ärz­te­kam­mer haben ZMZ-Beauf­trag­te zur geziel­ten Abspra­che benannt. Ange­sichts der poli­tisch gefor­der­ten Kriegs­tüch­tig­keit kann die bis­her geüb­te Zurück­hal­tung getrost auf­ge­ge­ben wer­den und Kriegs­me­di­zin als sol­che benannt wer­den: Für den Sep­tem­ber die­sen Jah­res ist ein wei­te­res Sym­po­si­um im Schloss Ora­ni­en­st­ein mit dem Titel „Im Ernst­fall: Was bedeu­tet Kriegs­me­di­zin?“ geplant[ix] Die hes­si­sche Lan­des­ärz­te­kam­mer hat zudem mit der Bun­des­wehr ein Abkom­men geschlos­sen, das Ange­stell­ten der Kam­mer eine erleich­ter­te Teil­nah­me an den Hei­mat­schutz­übun­gen ermög­li­chen soll[x].Es drängt sich der Ein­druck auf, als sähen zumin­dest eini­ge Lan­des­ärz­te­kam­mern hier die Mög­lich­keit, ihren gesund­heits­po­li­ti­schen Bedeu­tungs­ver­lust zu kom­pen­sie­ren.

Was plant die Bun­des­re­gie­rung? Erst­mals leg­te eine Bun­des­re­gie­rung im Juni 2023 eine Natio­na­le Sicher­heits­stra­te­gie vor, die einen soge­nann­ten „inte­grier­ten Sicher­heits­an­satz“ pro­kla­miert und die bis­he­ri­gen Weiß­bü­cher ablöst. Dort ist zum geplan­ten Gesund­heits­si­cher­stel­lungs­ge­setz zu lesen: „Durch Schaf­fung eines Gesund­heits­si­cher­stel­lungs­ge­set­zes wird die Bun­des­re­gie­rung ins­be­son­de­re die effi­zi­en­te und dezen­tra­le Bevor­ra­tung von Arz­nei­mit­tel- und Medi­zin­pro­duk­ten sowie regel­mä­ßi­ge Ernst­fall­übun­gen für das Per­so­nal für Gesund­heits­kri­sen sicher­stel­len“[xi]. Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz berief im März 2024 einen „Exper­tIn­nen­rat Gesund­heit und Resi­li­enz“. In die­sem Bera­tungs­gre­mi­um sind unter­schied­li­che Fach­ge­bie­te wie die Public Health, Epi­de­mio­lo­gie, Medi­zin, Viro­lo­gie, Pfle­ge­wis­sen­schaf­ten, Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, Model­lie­rung, Ethik etc. ver­tre­ten. Von staat­li­cher Sei­te ist u.a. die Bun­des­wehr, der Öffent­li­che Gesund­heits­dienst, das Bun­des­amt für Bevöl­ke­rungs­schutz und Kata­stro­phen­hil­fe als Beob­ach­ter prä­sent. Der Bun­des­kanz­ler beschreibt die Auf­ga­ben des Gre­mi­ums fol­gen­der­ma­ßen: „Der Exper­tIn­nen­rat ‚Gesund­heit und Resi­li­enz‘ wird sich auf wis­sen­schaft­li­cher Basis mit der Fra­ge beschäf­tig­ten, wie Gesund­heits­we­sen und Gesell­schaft künf­ti­gen Gesund­heits­kri­sen best­mög­lich begeg­nen kön­nen. Bei aktu­el­len Fra­ge­stel­lun­gen zur öffent­li­chen Gesund­heit kann der Exper­tIn­nen­rat die Bun­des­re­gie­rung ‘ad hoc‘ bera­ten.“[xii] Dabei ist der Begriff „Gesund­heits­kri­sen“ sehr weit gefasst. Er umfasst neben Umwelt- und Natur­ka­ta­stro­phen, che­mi­sche und nuklea­re Unfäl­le, Epi­de­mien und Pan­de­mien, Ter­ro­ris­mus auch mili­tä­ri­sche Kon­flik­te.

Es ist schon eine merk­wür­di­ge inhalt­lich kaum begründ­ba­re Ver­men­gung, die hier betrie­ben wird. In einer ers­ten Stel­lung­nah­me vom 22.05.2024, die ins­ge­samt einen gro­ßen Hand­lungs­be­darf sieht, fin­det sich eine inter­es­san­te Pas­sa­ge zur zivil-mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit: „Zwi­schen dem zivi­len Gesund­heits­sek­tor und den Sicher­heits­be­hör­den, ins­be­son­de­re dem Mili­tär, besteht in Deutsch­land eine bewuss­te ver­fas­sungs­recht­li­che, gesell­schaft­lich akzep­tier­te Tren­nung. Dies führt zu getrenn­ten Zustän­dig­kei­ten und unzu­rei­chen­der Koope­ra­ti­on zu Red­un­dan­zen und Frag­men­tie­rung von Fähig­kei­ten und Res­sour­cen. Die Orga­ni­sie­rung der Health Secu­ri­ty erfor­dert aller­dings ein orga­ni­sier­tes, abge­stimm­tes Zusam­men­spiel aller Sek­to­ren.“[xiii] Das Gre­mi­um teilt uns (noch) nicht mit, wie aus sei­ner Sicht das Dilem­ma zu lösen ist. An die­ser The­ma­tik wird aber sicher­lich mit Hoch­druck gear­bei­tet.

In der Zwi­schen­zeit ist auch die Bun­des­re­gie­rung nicht untä­tig gewe­sen. Am 05.06.2024 ver­ab­schie­de­te das Bun­des­ka­bi­nett die unter Feder­füh­rung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des Innern und für Hei­mat erstell­te „Rah­men­richt­li­nie Gesamt­ver­tei­di­gung.“ Dort ist auf S. 34 zu lesen: „Die Län­der haben ergän­zen­de Maß­nah­men zur gesund­heit­li­chen Ver­sor­gung im Ver­tei­di­gungs­fall zu pla­nen. Sie ermit­teln ins­be­son­de­re die Nutzungs‑, Erwei­te­rungs- und Ersatz­mög­lich­kei­ten (z. B. tem­po­rä­re Behand­lungs­ein­rich­tun­gen) der vor­han­de­nen Ein­rich­tun­gen und Diens­te sowie den vor­aus­sicht­li­chen per­so­nel­len und mate­ri­el­len Bedarf. Dabei wer­den auch mög­li­che CBRN-Gefah­ren[xiv] berück­sich­tigt. Mit den für die Gesund­heits­ver­sor­gung der Bun­des­wehr zustän­di­gen Stel­len ist eng zusam­men­zu­ar­bei­ten. Die Mit­wir­kung aller Akteu­re des gesund­heit­li­chen Bevöl­ke­rungs­schut­zes, z. B. auch der Gesund­heits­äm­ter, bei der Pla­nung ist sicher­zu­stel­len. Dazu wir­ken die gesetz­li­chen Berufs­ver­tre­tun­gen der Ärz­te, Zahn­ärz­te, Tier­ärz­te, Apo­the­ker und der Pfle­ge­be­ru­fe, die Kas­sen­ärzt­li­chen und Kas­sen­zahn-ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen sowie die Trä­ger der Ein­rich­tun­gen der gesund­heit­li­chen und pfle­ge­ri­schen Ver­sor­gung und ihre Ver­bän­de bei der Pla­nung und Bedarfs­er­mitt­lung mit und unter­stüt­zen die Behör­den.“[xv]

Wei­ter­hin hat Gesund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach für den Som­mer die­ses Jah­res ein Gesetz ange­kün­digt, das das Gesund­heits­we­sen für gro­ße Kata­stro­phen oder auch mili­tä­ri­schen Kon­flik­te bes­ser auf­stel­len soll. Die Ankün­di­gung die­ser Zei­ten­wen­de hat er gleich mit einem Angriff auf poten­ti­el­le Kritiker*innen einer Mili­ta­ri­sie­rung des Gesund­heits­we­sens ver­bun­den.[xvi] Her­vor­ge­ho­ben wird von Minis­ter Lau­ter­bach ins­be­son­de­re, dass das Gesund­heits­we­sen in Deutsch­land bei einem Mas­sen­an­fall von Ver­wun­de­ten in Euro­pa als Dreh­schei­be fun­gie­re. Details die­ses Geset­zes­vor­ha­bens sind noch nicht bekannt. Aller­dings ist aus der Argu­men­ta­ti­on des Minis­ters wie­der­um die unheil­vol­le Ver­men­gung von sehr unter­schied­li­chen Kata­stro­phen, mit Pan­de­mien und mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen sicht­bar. Dabei soll die zivil-mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit gestärkt wer­den. Dies ist zumin­dest in zwei­er­lei Hin­sicht höchst­pro­ble­ma­tisch, denn der Umgang mit zivi­len Kata­stro­phen folgt einer ande­ren Logik als mili­tä­ri­sches Den­ken. Die Ver­men­gung von Zivi­lem und Mili­tä­ri­schem wird in einer mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung dazu füh­ren, dass es auch einem poten­ti­el­len mili­tä­ri­schen Geg­ner nicht mög­lich sein wird, die­se Unter­schei­dung zu tref­fen.

Die Mili­ta­ri­sie­rung des Gesund­heits­we­sens erfolgt auf dem Hin­ter­grund einer gigan­ti­schen, in die­sem Umfang noch nie dage­we­se­nen Auf­rüs­tung der Bun­des­wehr. Begrün­det wird dies mit dem Angriff der rus­si­schen Armee auf die Ukrai­ne und ihrem Ein­marsch in die­ses Land. So sehr die­ses Vor­ge­hen zu ver­ur­tei­len ist, bleibt den­noch die Fra­ge, ob die­ser Krieg nicht ver­hin­der­bar gewe­sen wäre. So wur­den bei­spiels­wei­se rus­si­sche Sicher­heits­in­ter­es­se sei­tens der NATO sys­te­ma­tisch miss­ach­tet. Auch ist die Auf­rüs­tung in der BRD ist kei­nes­wegs nur als Fol­ge die­ses grau­sa­men Krie­ges zu beschrei­ben. Bereits in den Jah­ren vor dem rus­si­schen Angriff wur­de der aus­ge­wie­se­ne Ver­tei­di­gungs­etat deut­lich erhöht. Zudem drän­gen unter­schied­li­che deut­sche Regie­run­gen seit den 1990er Jah­ren auf eine neue Rol­le, die der BRD in der Welt­po­li­tik gebüh­re. Jahr­zehn­te­lang hat man sich hin­ter dem Nar­ra­tiv ver­steckt, dass dies eine For­de­rung sei, die von exter­nen Akteur*innen an die BRD her­an­ge­tra­gen wor­den sei. In den letz­ten Jah­ren wird aller­dings immer deut­li­cher, dass die­se Neu­be­stim­mung der deut­schen Außen­po­li­tik sehr aktiv von der Bun­des­re­gie­rung vor­an­ge­trie­ben wird. Dies, obwohl die letz­ten Desas­ter deut­scher Inter­ven­ti­ons­po­li­tik in Afgha­ni­stan und Mali in kei­ner Wei­se gesell­schaft­lich auf­ge­ar­bei­tet sind. Gleich­zeit zeich­net sich immer mehr ab, dass der ers­te gro­ße Erfolg der Frie­dens­be­we­gung der 1950er Jah­re in Deutsch­land – die Ver­hin­de­rung der Atom­be­waff­nung der Bun­des­wehr – bald Maku­la­tur sein wird.

Bis­her regt sich wenig Wider­stand gegen die Mili­ta­ri­sie­rung des Gesund­heits­we­sens. Unter­schied­li­che Ein­schät­zun­gen des Krie­ges in der Ukrai­ne erschwe­ren ein gemein­sa­mes Vor­ge­hen. In den 1980er Jah­ren war die Gefahr eines Atom­krie­ges das zen­tra­le mobi­li­sie­ren­de Moment gewe­sen. Die­se Gefahr scheint aktu­ell in die­sem Aus­maß nicht zu bestehen, stellt sich doch der Krieg in der Ukrai­ne dar als zer­mür­ben­der Stel­lungs­krieg, der mit kon­ven­tio­nel­len Waf­fen geführt wird. Dabei soll­te aller­dings nicht über­se­hen wer­den, dass mit jeder neu­en Eska­la­ti­ons­stu­fe die­ses Krie­ges die Gefahr einer ato­ma­ren Aus­ein­an­der­set­zung wächst. Die Erkennt­nis: „Wir wer­den Euch im Fal­le eines Atom­krie­ges nicht hel­fen kön­nen“, bleibt von daher unver­än­dert aktu­ell. Die Mili­ta­ri­sie­rung des Gesund­heits­we­sen bleibt unab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung der Kriegs­füh­rung, ins­be­son­de­re in einem so dicht besie­del­ten Gebiet wie Euro­pa. Es ist Zeit, sich wie­der und auch inter­na­tio­nal zu ver­net­zen, um dem ent­ge­gen­zu­tre­ten.

Bern­hard Win­ter ist Mit­glied der GbP-Redak­ti­on und Vor­sit­zen­der des Soli­da­ri­schen Gesund­heits­we­sen e. V.

 

[i] Lau­ter­bach will Gesund­heits­we­sen für „mili­tä­ri­sche Kon­flik­te“ rüs­ten (aerzteblatt.de)

[ii] Win­fried Beck: Nicht stan­des­ge­mäß. Bei­trä­ge zur demo­kra­ti­schen Medi­zin. Frank­furt am Main, 2003, S. 149 ff.

[iii][iii] Vgl. Beck a.a.O. S. 141ff.

[iv] Beschluss­pro­to­koll 105. Deut­scher Ärz­te­tag, Druck­sa­che VI-60

[v] Beschluss­pro­to­koll 126. Deut­scher Ärz­te­tag; Druck­sa­che Ic-40, S. 46

[vi] https://www.hartmannbund.de/wp-content/uploads/2023/11/2023–11_HV_NR_11_Gesundheitssicherstellungsgesetz-unverzueglich-auf-den-Weg-bringen.pdf

[vii] Hes­si­sches Ärz­te­blatt 11/2023 S. 607 ff.

[viii] Hes­si­sches Ärz­te­blatt 4/2024 S.98, Hes­si­sches Ärz­te­blatt 6/2024 S.325

[ix] Hes­si­sches Ärz­te­blatt 5/2024 S. 254; als Mit­ver­an­stal­ter fun­giert dabei auch die LÄK Saar­land

[x] https://www.laekh.de/aktuelles/detail/partnerschaft-fuer-den-heimatschutz

[xi] https://www.nationalesicherheitsstrategie.de/Sicherheitsstrategie-DE.pdf S.36

[xii] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressemitteilungen/bundeskanzleramt-beruft-expertinnenrat-gesundheit-und-resilienz–2265936

[xiii]https://www.aerzteblatt.de/archiv/treffer?mode=s&wo=2032&typ=32&aid=238961&s=Gesundheit&s=Resilienz&s=und

[xiv] CBRN-Gefah­ren sind Gefähr­dun­gen die von che­mi­schen, bio­lo­gi­schen, nuklea­ren oder radio­lo­gi­sche Quel­len her­rüh­ren. Sie kön­nen Fol­gen von zivi­len Kata­stro­phen, Natur­er­eig­nis­sen oder gewalt­sa­men Kon­flik­ten sein.

[xv] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sicherheit/RRGV.html

[xvi] Lau­ter­bach: Müs­sen uns bes­ser auf Kri­sen vor­be­rei­ten | BMG (bundesgesundheitsministerium.de)



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