Posi­ti­ons­pa­pier zu Com­mu­ni­ty Health Nur­ses – vdää*-DbfK-VdPP

Das in Deutsch­land vor­herr­schen­de Krank­heits- und Mor­bi­di­täts­spek­trum braucht pas­sen­de Ansät­ze in der Gesund­heits­ver­sor­gung. Denn die Men­schen mit chro­ni­schen und Mehr­fa­ch­er­kran­kun­gen („Volks­krank­hei­ten“) und die zu erwar­ten­de gro­ße Anzahl älte­rer Men­schen, die Betreu­ung und Ver­sor­gung in ver­schie­de­ner Hin­sicht benö­ti­gen, haben ande­re Bedar­fe, denen von unse­rem auf Akut­ver­sor­gung aus­ge­rich­te­ten Gesund­heits­sys­tem nur unzu­rei­chend begeg­net wird. Nicht nur für älte­re Men­schen, die viel­fach von chro­ni­schen Erkran­kun­gen und gerin­ger Selbst­hil­fe­fä­hig­keit betrof­fen sind, ist Medi­zin nur ein Teil der Bewäl­ti­gung ihrer chro­ni­schen Erkran­kun­gen; min­des­tens eben­so wich­tig sind Hil­fen bei der All­tags­be­wäl­ti­gung, Betreu­ung und Pfle­ge. Größt­mög­li­che Lebens­qua­li­tät und Selbst­be­stim­mung sind als gleich­wer­ti­ge Zie­le inter­pro­fes­sio­nel­ler Ver­sor­gung anzu­se­hen.

Unser gesund­heits­re­le­van­tes Wis­sen ist gewach­sen. Prä­ven­ti­on, Gesund­heits­för­de­rung und sozia­le Fak­to­ren sind aner­kannt in ihrem Ein­fluss auf den Gesund­heits­zu­stand und auf Krank­heits­ver­läu­fe. Der Erfolg gesund­heit­li­cher Ver­sor­gung ins­be­son­de­re bei chro­ni­schen Erkran­kun­gen fußt daher wesent­lich auf der Berück­sich­ti­gung der indi­vi­du­el­len Lebens­füh­rung und den Lebens­ver­hält­nis­sen der Patient:innen. Ein auf die­se Anfor­de­run­gen aus­ge­rich­te­tes Gesund­heits­sys­tem muss ent­spre­chend prio­ri­tär wohn­ort­nah wir­ken und dort medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­sche Ange­bo­te bedarfs­ge­recht mit Maß­nah­men der Ver­hal­tens- und Ver­hält­nis­prä­ven­ti­on ver­bin­den.

Gera­de in der wohn­ort­na­hen Grund- und Lang­zeit­ver­sor­gung wach­sen jedoch die Ver­sor­gungs­lü­cken. Vie­le haus­ärzt­li­che Pra­xen – und auch Apo­the­ken – haben

aus Man­gel an Nach­fol­ge bereits geschlos­sen; vie­le wei­te­re wer­den fol­gen (Robert Bosch Stif­tung 2021). Beson­ders in schon jetzt unter­ver­sorg­ten Stadt­tei­len und Regio­nen wer­den Lücken wei­ter zuneh­men. Aber auch die noch bestehen­den ärzt­li­chen und nicht-ärzt­li­chen Struk­tu­ren sind viel­fach nicht dar­auf aus­ge­rich­tet, Gesund­heit zu erhal­ten. Sie funk­tio­nie­ren eher in Repa­ra­tur- und Ein­zel­in­ter­ven­ti­ons­lo­gik auf der Basis von­ein­an­der unab­hän­gig arbei­ten­der Pro­fes­sio­nen mit jeweils nicht sach­ge­rech­ten Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen. Für die Zukunft braucht es eine Gesund­heits­ver­sor­gung, in der gesund­heits­er­hal­ten­de Maß­nah­men für die Bevöl­ke­rung bzw. Bevöl­ke­rungs­grup­pen mit spe­zi­fi­schen Gesund­heits­ri­si­ken inte­griert wer­den mit indi­vi­du­el­len medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­schen Ange­bo­ten.

Um die For­de­run­gen der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO Dekla­ra­ti­on 1978) und der Ver­ein­ten Natio­nen (2016) eines Lebens in Gesund­heit und Wohl­be­fin­den auf­zu­grei­fen und Gesund­heit für alle Men­schen auch in Deutsch­land in Zukunft zu sichern, for­dern DBfK, VdPP und vdää* vor allem fol­gen­de Ände­run­gen und Maß­nah­men für eine sub­stan­ti­el­le Wei­ter­ent­wick­lung des Sys­tems:

- Mul­ti­pro­fes­sio­nel­le Team­ar­beit der Gesund­heits- und Sozi­al­be­ru­fe

Gesund­heit ist ein kom­ple­xes bio­psy­cho­so­zia­les Gesche­hen und erfor­dert die Inte­gra­ti­on von Leis­tun­gen aus ver­schie­de­nen Ver­sor­gungs­be­rei­chen sowie die Bei­trä­ge und das Zusam­men­spiel unter­schied­li­cher Beru­fe. Es gilt, bevöl­ke­rungs­be­zo­ge­ne Maß­nah­men der Prä­ven­ti­on und Gesund­heits­för­de­rung zu ver­bin­den mit der Betreu­ung ein­zel­ner Per­so­nen. Das bedeu­tet einer­seits, Ver­sor­gungs­struk­tu­ren und Netz­wer­ke für von bestimm­ten Risi­ken betrof­fe­nen Bevöl­ke­rungs­grup­pen zu ent­wi­ckeln und zu pfle­gen, ande­rer­seits Unter­stüt­zungs­pa­ke­te für betrof­fe­ne Ein­zel­per­so­nen auf­zu­set­zen, die jeweils auf deren Situa­ti­on zuge­schnit­ten sind, gemein­sam umge­setzt, regel­mä­ßig auf Erfolg geprüft und bei Ver­än­de­run­gen fle­xi­bel ange­passt wer­den – über den gesam­ten Krank­heits­ver­lauf – von Dia­gnos­tik über Pha­sen der Akut­be­hand­lung bis zu End-of-Life-Care – hin­weg. Zum Gelin­gen tra­gen Per­so­nen mit unter­schied­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­ons­pro­fi­len bei: Haus­halts­hil­fen, in Pfle­ge- und The­ra­pie­be­ru­fen Täti­ge, Ärzt:innen, Apo­the­ker: innen, Sozialarbeiter:innen u. a. m. Ihre Zusam­men­ar­beit soll­te Hand in Hand über die Sek­to­ren hin­weg ver­lau­fen. Ori­en­tie­rung geben dabei nicht (mehr) her­kömm­li­che, ärzt­lich gepräg­te Hier­ar­chien, son­dern die über­grei­fen­den Gesund­heits­zie­le. Die im inter­pro­fes­sio­nel­len Team zusam­men Arbei­ten­den han­deln statt bis­her abgren­zend und kon­kur­rie­rend in Zukunft inte­grie­rend, kopro­duk­tiv, fle­xi­bel und ver­netzt.

- Ein­füh­rung von Com­mu­ni­ty Health Nur­ses (CHN) zur Stär­kung der bevöl­ke­rungs­be­zo­ge­nen Gesund­heit („Public Health“)

Eine so skiz­zier­te Gesund­heits­ver­sor­gung erfor­dert neue Berufs­pro­fi­le. In ande­ren Län­dern gibt es gute Erfah­run­gen mit der „Com­mu­ni­ty Health Nur­se“ – ein Pro­fil, das auch für die Ver­sor­gung in Deutsch­land vie­le Poten­zia­le ent­hält. Die CHN stellt eine Wei­ter­ent­wick­lung pfle­ge­ri­scher Tätig­keit im Sin­ne des Advan­ced Prac­ti­ce Nur­sing (APN) dar. Im Mit­tel­punkt ihrer Tätig­keit ste­hen die Gesund­heits­för­de­rung, die Prä­ven­ti­on und der Gesund­heits­schutz ein­schließ­lich der Arbeit an gesund­heits­un­ter­stüt­zen­den Umfel­dern („Set­tings“), die Erfas­sung des spe­zi­fi­schen Bedarfs der in einer Kom­mu­ne oder Regi­on leben­den Bevöl­ke­rung oder Bevöl­ke­rungs­grup­pen sowie kon­se­quen­te Aus­rich­tung der Ver­sor­gung dar­auf. Sie beglei­tet Ein­zel­per­so­nen und Fami­li­en im Krank­heits­fall und in Pfle­ge­si­tua­tio­nen. CHN arbei­ten im mul­ti­pro­fes­sio­nel­len Team eigen­ver­ant­wort­lich und kön­nen in Pri­mär­ver­sor­gungs­zen­tren ers­te Ein­schät­zun­gen sowie im wei­te­ren Ver­lauf die Rou­tin­ever­sor­gung bei chro­ni­schen Erkran­kun­gen über­neh­men. Sie kön­nen Imp­fun­gen, Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen durch­füh­ren und leich­te­re Akut­er­kran­kun­gen behan­deln und im Bedarfs­fall den rich­ti­gen wei­te­ren Behand­lungs­pfad eröff­nen. Ihr Berufs­pro­fil beinhal­tet auf­su­chen­de Arbeit in der Kom­mu­ne bzw. im Quar­tier, sowohl in der Form von Haus­be­su­chen als auch im Hin­blick auf gesund­heits­för­der­li­che Set­tings. Sie kön­nen als fach­kun­di­ge Case-Manager:innen die ver­schie­de­nen medi­zi­ni­schen, phar­ma­zeu­ti­schen, the­ra­peu­ti­schen und pfle­ge­ri­schen Behand­lun­gen sowie wei­te­re sozia­le Hil­fen koor­di­nie­ren und Behan­deln­de an einen Tisch brin­gen.

Eine sol­che Stel­lung setzt vor­aus, dass die Erlaub­nis zur Heil­kun­de im Rah­men ihrer fach­li­chen Kom­pe­ten­zen ins­be­son­de­re auf CHN bzw. APN aus­ge­wei­tet wird.

- För­de­rung von Pri­mär­ver­sor­gungs­zen­tren

Pri­mär­ver­sor­gungs­zen­tren begüns­ti­gen in ihrer Orga­ni­sa­ti­ons­form die inter­pro­fes­sio­nel­le Team­ar­beit, die Ver­knüp­fung von Prä­ven­ti­on, Gesund­heits­för­de­rung mit per­so­nen­zen­trier­ter medi­zi­nisch-phar­ma­zeu­tisch-pfle­ge­ri­scher und sozia­ler Arbeit. Dies gelingt am bes­ten, wenn Ange­hö­ri­ge aller Beru­fe als Ange­stell­te in der Struk­tur eines Pri­mär­ver­sor­gungs­zen­trums ver­an­kert sind, wel­ches gemein­nüt­zi­ge Zie­le ver­folgt. Sie sind ein idea­ler Ein­satz­ort für Com­mu­ni­ty Health Nur­ses. Pri­mär­ver­sor­gungs­zen­tren ermög­li­chen mehr Berufs­zu­frie­den­heit für Ärzt*innen und ande­re bis­her selb­stän­dig Täti­ge sowie eine bes­se­re Work-Life-Balan­ce als die her­kömm­li­che Pra­xis. Für die Bevöl­ke­rung im Ein­zugs­ge­biet bie­ten sie einen wohn­ort­na­hen und nied­rig­schwel­li­gen und bei Bedarf auf­su­chen­den Zugang zur Gesund­heits­ver­sor­gung. Dar­über hin­aus muss es Ziel sein, die unter­schied­li­chen Bevöl­ke­rungs­grup­pen am Auf­bau und Betrieb der Zen­tren mit­ent­schei­den zu las­sen (Par­ti­zi­pa­ti­on). Über die Basis­ver­sor­gung hin­aus kön­nen sie leicht an wei­te­re stand­ort­be­zo­ge­ne Bedar­fe ange­passt wer­den: Erwei­te­rung um Kurz­zeit­lie­ger­bet­ten zum Bei­spiel für Tages­in­ter­ven­tio­nen und die Rekon­va­les­zenz­pha­se oder als Stand­ort für einen Ret­tungs­wa­gen. Ihre enge Ein­bin­dung in die Kom­mu­ne bzw. das Quar­tier begüns­tigt das stüt­zen­de Netz­werk mit wei­te­ren Akteu­ren wie ambu­lan­te und sta­tio­nä­re Pfle­ge, Schu­len und Kom­mu­nal­ver­wal­tung, ins­be­son­de­re Gesund­heits­äm­ter und eröff­net dar­über hin­aus die Ein­bin­dung ehren­amt­li­chen Enga­ge­ments für die Stär­kung gesell­schaft­li­cher Teil­ha­be auch für Per­so­nen mit Ein­schrän­kung und Behin­de­rung.

Refe­ren­zen

  • Robert Bosch Stif­tung (2021): Gesund­heits­zen­tren für Deutsch­land.
  • Inter­na­tio­nal Coun­cil of Nur­ses (2021): ICN-Ethik­ko­dex für Pfle­ge­fach­per­so­nen.
  • Deut­scher Berufs­ver­band für Pfleg­be­ru­fe DBfK e.V. (2022): Com­mu­ni­ty Health Nur­sing – Auf­ga­ben und Pra­xis­pro­fi­le.
  • Deut­scher Berufs­ver­band für Pfleg­be­ru­fe DBfK e.V. (2021): Wei­ter­ent­wick­lung der Pri­mär­ver­sor­gung und Auf­ga­ben­ver­tei­lung unter den Gesund­heits­pro­fes­sio­nen.
  • Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärzt*innen (vdää*), Ver­ein demo­kra­ti­scher Phar­ma­zeu­tin­nen und Phar­ma­zeu­ten (VdPP) (2022): Ambu­lan­te Ver­sor­gung im deut­schen Gesund­heits­we­sen Bestands­auf­nah­me und Ver­än­de­rungs­be­darf.
  • Ver­ein­te Natio­nen (2016): Trans­for­ma­ti­on unse­rer Welt – Die Agen­da 2030 für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung.
  • Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO (1978): Dekla­ra­ti­on von Alma Ata.

Kon­takt 

Deut­scher Berufs­ver­band für Pfle­ge­be­ru­fe – DBfK Bun­des­ver­band e. V.

Alt-Moa­bit 91 – 10559 Ber­lin

dbfk@dbfk.de Tel. 030/219157–0

Ver­ein Demo­kra­ti­scher Ärzt*innen (vdää*)

Kant­str. 10 – 63477 Main­tal

info@vdaeae.de Tel. 06181432348

Ver­ein demo­kra­ti­scher Phar­ma­zeu­tin­nen und Phar­ma­zeu­ten (VdPP) e. V.

Gold­be­ku­fer 36 – 22303 Ham­burg

info@vdpp.de Tel. 04065054833

Ber­lin, Mai 2023



×