Sozia­le Deter­mi­nan­ten von Gesund­heit – Woh­nen

Dabei waren Woh­nungs­po­li­tik und Gesund­heits­po­li­tik in ihren Ursprün­gen eng mit­ein­an­der ver­wo­ben. Mit dem Beginn der indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on migrier­ten tau­sen­de Arbeiter*innen in Euro­pas Groß­städ­te. Dort leb­ten sie in über­be­leg­ten, feuch­ten, kal­ten Woh­nun­gen, ohne flie­ßen­des Was­ser und Kana­li­sa­ti­ons­sys­te­me (vgl. Shaw 2004). Schon 1845 beschrieb Fried­rich Engels die mise­ra­blen Wohn­ver­hält­nis­se der Arbeiter*innen in Man­ches­ter mit ihren gesund­heit­li­chen und psy­cho­so­zia­len Fol­gen: die star­ke Ver­brei­tung von Cho­le­ra, Per­tus­sis, Tuber­ku­lo­se und Durch­fall­erkran­kun­gen, die die Lebens­er­war­tung in die­sen Bevöl­ke­rungs­schich­ten stark ver­kürz­te (vgl. Engels 1845). Dass die Situa­ti­on in Deutsch­land ähn­lich war, zeigt auch Robert Kochs Kri­tik an den „unge­sun­den Woh­nun­gen“ der armen Bevöl­ke­rungs­schich­ten Ham­burgs zur Zeit der Cho­le­ra­epi­de­mie 1892 (vgl. Koch 1892). So erstaunt es wenig, dass die ers­ten Maß­nah­men der öffent­li­chen Gesund­heits­für­sor­ge stadt- und woh­nungs­po­li­ti­scher Natur waren: es wur­den Kana­li­sa­tio­nen gebaut sowie öffent­li­che Sys­te­me der Müll­ab­fuhr und der Trink­was­ser­ver­sor­gung ein­ge­führt (vgl. Shaw 2004). In Deutsch­land wur­den zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts die­se Maß­nah­men durch Wohn­bau­pro­gram­me wie etwa die Sied­lun­gen der Ber­li­ner Moder­ne ergänzt, bei denen gesund­heit­li­che und sozia­le Aspek­te der Wohn­raum­ver­sor­gung ent­schei­dend waren (vgl. Holm 2020).

Seit dem Ende des 19. Jahr­hun­derts haben sich die Wohn­ver­hält­nis­se in Euro­pa, ins­be­son­de­re West­eu­ro­pa, deut­lich zum Posi­ti­ven ver­än­dert. So schei­nen sich aktu­ell beim The­ma Woh­nen gesund­heit­li­che Fra­gen vor allem auf Fra­gen der Aus­stat­tung, des all­ge­mei­nen Bau­zu­stan­des und der Bele­gungs­dich­te oder auf Aspek­te der in frü­he­ren Woh­nungs­bau­pha­sen benutz­ten Bau­ma­te­ria­li­en wie Blei oder Asbest zu bezie­hen (vgl. Holm 2020).

Doch selbst wenn der Stel­len­wert des Zustands von Wohn­raum his­to­risch gese­hen abge­nom­men haben mag, bleibt er immer noch ein bedeu­ten­der Ein­fluss­fak­tor auf die Gesund­heit. Schim­me­li­ge und feuch­te Woh­nun­gen haben auch heu­te noch eine nega­ti­ve Aus­wir­kung auf Gesund­heit. Brand­schutz­maß­nah­men und Gebäu­de­si­cher­heit sind immer noch ent­schei­dend für die Ver­mei­dung von Unfäl­len im Wohn­um­feld und die Ver­wen­dung gif­ti­ger Bau­stof­fe führt wei­ter­hin zu schäd­li­chen Lang­zeit­fol­gen. Und auch hier gilt wie vor 100 Jah­ren (noch): Gesell­schaft­lich depri­vi­le­gier­te Men­schen kön­nen sich ihre Wohn­ver­hält­nis­se weni­ger frei aus­su­chen und müs­sen im Zwei­fels­fall die bau­lich pre­kä­ren Woh­nun­gen wäh­len, mit allen gesund­heit­li­chen Kon­se­quen­zen (vgl. Swope/Hernández 2019).

Die Bedeu­tung von Wohn­ver­hält­nis­sen als sozia­le Deter­mi­nan­te für Gesund­heit erkennt auch die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO): Das Euro­pa-Büro der WHO leg­te 2011 eine aus­führ­li­che Ana­ly­se der Gesund­heits­ri­si­ken auf­grund von schlech­ten Wohn­be­din­gun­gen vor und beschreibt „housing con­di­ti­ons have been demons­tra­ted to be one of the major envi­ron­men­tal and social deter­mi­nants of popu­la­ti­on health“ (vgl.WHO 2011). In der Fol­ge erkennt die WHO in den 2018 ver­öf­fent­lich­ten „Housing and Health Gui­de­lines“ an, dass „ver­bes­ser­te Wohn­ver­hält­nis­se Leben ret­ten, Krank­hei­ten vor­beu­gen, Lebens­qua­li­tät erhö­hen, Armut ver­rin­gern und Kli­ma­wan­del abmil­dern kön­nen“ (vgl. WHO 2018).

Durch die Covid-19-Pan­de­mie wird jedoch noch ein­mal sicht­bar, dass nicht nur Bau­ma­te­ria­li­en und Gebäu­de­zu­stand Ein­fluss auf die Wohn­ver­hält­nis­se als sozia­le Deter­mi­nan­te neh­men. “Vor allem, wenn Woh­nen nicht nur auf woh­nungs­be­zo­ge­ne Merk­ma­le redu­ziert wird, son­dern auch in den Aspek­ten der Wohn­zu­frie­den­heit, Wohn­si­cher­heit, Umwelt­be­las­tun­gen und Nach­bar­schaft betrach­tet wird, erge­ben sich viel­fäl­ti­ge Schnitt­punk­te zu Fra­gen der Gesund­heit” (vgl. Holm 2020).

So wer­den in der aktu­el­len Public-Health-For­schung zum The­ma Woh­nen die Dimen­sio­nen “con­di­ti­ons, cos­ts, con­sis­ten­cy and con­text” (Zustand, Kos­ten, Bestän­dig­keit und Umfeld, Über­set­zung der Autorin­nen) unter­sucht, um die direk­ten und indi­rek­ten Aus­wir­kun­gen von Wohn­ver­hält­nis­sen auf die Gesund­heit zu ana­ly­sie­ren (vgl. Swope/Hernández 2019).

Die Kos­ten (cos­ts) für Wohn­raum sind ein – wenn viel­leicht auch indi­rek­ter – Fak­tor, der in den letz­ten Jah­ren umso mehr an Bedeu­tung gewon­nen hat. Ob durch Bezah­len von Mie­te oder das Abbe­zah­len von Kre­di­ten: Eine finan­zi­el­le (Über)belastung durch Wohn­kos­ten ist mit erhöh­tem Blut­druck, psy­chi­schen Belas­tun­gen und schlech­te­rer Selbst­wahr­neh­mung des Gesund­heits­zu­stan­des asso­zi­iert (vgl. Swope/Hernández 2019). Die Aus­wir­kung von Zwangs­räu­mun­gen und Belas­tung von Hypo­the­ken­kre­di­ten konn­te bei­spiels­wei­se in Spa­ni­en in den Jah­ren nach der Finanz­kri­se beob­ach­tet wer­den. So wur­den bei Men­schen, die von Zwangs­voll­stre­ckun­gen bedroht oder betrof­fen waren, deut­lich mehr psy­chi­sche Pro­ble­me fest­ge­stellt (vgl. Mari-Del­l’Ol­mo/­No­vo­a/­Camp­ru­bí 2017). Doch hohe Kos­ten für Wohn­raum füh­ren nicht nur zu mehr Stress und weni­ger finan­zi­el­len Res­sour­cen für ande­re Gesund­heits­lei­tun­gen, sie füh­ren auch dazu, dass mehr Men­schen in beeng­tem Wohn­raum leben. Über­be­le­gung wie­der­um ist als eige­ner gesund­heit­li­cher Risi­ko­fak­tor anzu­se­hen (vgl. Swope/Hernández 2019; WHO 2011). Die Bedeu­tung von aus­rei­chend Wohn­raum ist zu Zei­ten des Lock­downs wohl umso deut­li­cher gewor­den: Kin­der brau­chen ruhi­ge Räu­me für Home­schoo­ling, feh­len­de Rück­zugs­räu­me erhö­hen den Stress und machen es schwie­ri­ger, häus­li­cher Gewalt zu ent­ge­hen. Gleich­zei­tig kann Über­be­le­gung zur ver­stärk­ten Ver­brei­tung von Infek­ti­ons­er­kran­kun­gen wie Tuber­ku­lo­se und Covid-19 füh­ren (vgl.iwd 2020, vgl. WHO 2011).

Der Zustand (con­di­ti­ons) der Wohn­räu­me benennt Eigen­schaf­ten von Bau­sub­stanz, Bau­wei­se und Beschaf­fen­heit, die Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit haben kön­nen. Wie bereits genannt, ist ins­ge­samt die Qua­li­tät der Woh­nun­gen im letz­ten Jahr­hun­dert beson­ders in West­eu­ro­pa deut­lich gestie­gen. Trotz alle­dem leben wei­ter­hin vie­le Men­schen unter gesund­heits­schä­di­gen­den Wohn­be­din­gun­gen, wie bei­spiels­wei­se eine aus­führ­li­che Unter­su­chung des Regio­nal­bü­ros der WHO für Euro­pa zeigt: Etwa 175 Kin­der ster­ben jähr­lich allein durch Asth­ma, wel­ches durch Schim­mel­ex­po­si­ti­on in der Woh­nung aus­ge­löst wird. 4,8 Herzinfarkte/100.000 Men­schen sind auf Lärm­be­las­tung zurück­zu­füh­ren. Durch nied­ri­ge Innen­tem­pe­ra­tu­ren im Win­ter auf­grund von unzu­rei­chen­den Heiz­mög­lich­kei­ten oder schlech­ter Iso­lie­rung ster­ben etwa 12,8/100.000 Men­schen an respi­ra­to­ri­schen oder kar­dio­vas­ku­lä­ren Fol­gen. Feh­len­de Rauch­mel­der oder unge­si­cher­te Fens­ter und Bal­ko­ne füh­ren zu wei­te­ren Todes­fäl­len. Zudem füh­ren finan­zi­el­le Sor­gen um Miet­kos­ten und Angst um feh­len­de Sicher­heits­stan­dards zu psy­chi­scher Belas­tung (vgl. WHO 2011).

Bestän­dig­keit (con­sis­ten­cy) im Wohn­um­feld beschreibt einer­seits die Tat­sa­che, wie sich das Wohn­um­feld ändert aber auch, ob Per­so­nen gezwun­gen wer­den, selbst umzu­zie­hen. Auch hier konn­te beob­ach­tet wer­den, dass Men­schen, die unfrei­wil­lig ihren ver­trau­ten Wohn­ort wech­seln muss­ten (Gen­tri­fi­zie­rung), häu­fi­ger an psy­chi­schen Pro­ble­men lei­den, höhe­re Hos­pi­ta­li­sa­ti­ons­ra­ten haben und öfter die Not­auf­nah­me auf­su­chen (vgl. Swope/Hernández 2019). Die Bestän­dig­keit des Wohn­um­felds hat vor allem für älte­re oder pfle­ge­be­dürf­ti­ge Men­schen eine beson­de­re Bedeu­tung. So sind sie häu­fig auf sozia­le Netz­wer­ke in der Nach­bar­schaft ange­wie­sen, die sie im Kon­takt mit Behör­den, bei Haus­halts­an­ge­le­gen­hei­ten oder mit klei­nen mate­ri­el­len Hil­fen unter­stüt­zen. Ein Umzug in eine ande­re Nach­bar­schaft oder das Weg­bre­chen die­ses sozia­len Net­zes hat somit direk­te nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die gesund­heit­li­che und pfle­ge­ri­sche Ver­sor­gung die­ser Men­schen (vgl. vgl. Dale/Heusinger/Wolter 2018).

Schließ­lich kön­nen “auch sozia­le Merk­ma­le in der Nach­bar­schaft mit gesund­heit­li­chen Ergeb­nis­sen in Ver­bin­dung gebracht wer­den. Kol­lek­ti­ve Wirk­sam­keit, ein star­kes Gefühl von sozia­ler Ver­bun­den­heit und Soli­da­ri­tät unter den Mit­glie­dern einer Grup­pe kann nega­ti­ve gesund­heit­li­che Fol­gen ver­hin­dern, indem sich posi­ti­ve sozia­le Ver­hal­tens­nor­men durch­set­zen, ein unter­stüt­zen­des und ver­trau­ens­vol­les Umfeld geschaf­fen wird” (vgl. Swope/Hernández 2019. Über­set­zung der Autorin­nen). Das Wohn­um­feld (con­text) könn­te als Nach­bar­schaft ver­stan­den wer­den, in die Men­schen sozi­al ein­ge­bun­den sind, aber auch als kom­mer­zi­el­le und nicht-kom­mer­zi­el­le Ange­bo­te in der Nähe zum Wohn­ort. So ermög­li­chen nied­ri­ge Gewer­be­mie­ten bei­spiels­wei­se das Fort­be­stehen von Jugend­clubs oder Nach­bar­schafts­treffs und das Betrei­ben von Läden mit sozi­al­ver­träg­li­chen Prei­sen. So äußern bei­spiels­wei­se, ange­sichts der in den letz­ten Jah­ren im Bezirk Ber­lin-Mit­te fast voll­stän­dig geschlos­se­nen Begeg­nungs­stät­ten in kom­mu­na­ler Trä­ger­schaft, älte­re Men­schen ihren Bedarf an Orten, “in denen Nach­bar­schaft gepflegt und Akti­vi­tä­ten ent­wi­ckelt wer­den können”(vgl. Dale/Heusinger/Wolter 2018). Im Gegen­satz dazu zeig­te eine im Bezirk Mar­zahn durch­ge­führ­te Stu­die, dass dort Senior*innen einen leich­te­ren Zugang zu Unter­stüt­zungs-und Teil­ha­be­an­ge­bo­ten fan­den als ihre Moa­bi­ter Altersgenoss*innen. Dies sei unter ande­rem dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass in Mar­zahn die seit DDR-Zei­ten bestehen­den Senio­ren­be­geg­nungs­stät­ten erhal­ten blie­ben und dort außer­dem ein enga­gier­ter kom­mu­nal unter­stütz­ter Pfle­ge­stütz­punkt besteht (vgl. Dale/Heusinger/Wolter 2018).

In Hin­blick auf die­se vier Dimen­sio­nen muss kon­se­quen­ter­wei­se im Sin­ne der Gesund­heits­för­de­rung das Ziel sein, guten und gesun­den Wohn­raum für alle Men­schen zu ermög­li­chen. Dies bedeu­tet einer­seits, sich etwa um die tech­ni­sche Her­stel­lung von Lüf­tungs­sys­te­men oder die Schim­mel­be­sei­ti­gung in Wohn­räu­men zu küm­mern. Ande­rer­seits aber geht gesun­des Woh­nen (und Leben) wie oben dar­ge­legt weit über die schim­mel­frei­en phy­si­schen vier Wän­de hin­aus: Es umfasst Wohn­si­cher­heit und Gestal­tungs­mög­lich­keit des Wohn­raums und der Nach­bar­schaft. Die Mög­lich­keit, selbst­be­stimmt über das eige­ne Woh­nen zu ver­fü­gen und eine mög­lichst den eige­nen Bedürf­nis­sen ent­spre­chen­de Nach­bar­schaft zu wäh­len, soll­te also kein Pri­vi­leg für Men­schen sein, die über genug Mit­tel ver­fü­gen, um Wohn­ei­gen­tum zu erwer­ben, son­dern mög­lichst allen Men­schen ermög­licht wer­den.

Wie steht es um Wohn­raum in Ber­lin?

In Ber­lin ist das Ange­bot von Miet­woh­nun­gen seit Jah­ren rück­läu­fig, gleich­zei­tig zeigt sich eine deut­li­che Stei­ge­rung der Miet­kos­ten (beson­ders der Ange­bots­mie­ten bei neu­en Miet­ver­trags­ab­schlüs­sen), sodass es ins­be­son­de­re für Men­schen mit gerin­gem Ein­kom­men immer schwie­ri­ger wird, eine bezahl­ba­re Woh­nung zu fin­den. Gebie­te mit nied­ri­gen Mie­ten befin­den sich inzwi­schen fast aus­schließ­lich in städ­ti­schen Rand­la­gen und inner­städ­ti­sche Alt­bau­ge­bie­te in bspw. Kreuz­berg und Neu­kölln sind in die Spit­zen­grup­pe der Ange­bots­mie­ten gerückt (vgl. Holm 2016). Hin­zu kommt, dass zwi­schen 1990 und 2005 annä­hernd 50% der Woh­nun­gen in kom­mu­na­ler Trä­ger­schaft pri­va­ti­siert wur­den und die öffent­li­che Kon­trol­le über gro­ße Tei­le des nied­rig­prei­si­gen Markt­seg­ments ersatz­los auf­ge­ge­ben wur­de (vgl. Holm 2008). Da vie­le Men­schen ihre Woh­nung nach einer Kün­di­gung nicht ver­las­sen wol­len oder kön­nen, wer­den zuneh­mend Men­schen durch Räu­mungs­kla­gen und even­tu­ell anschlie­ßen­der Zwangs­räu­mung aus ihrem Zuhau­se ver­drängt. (vgl. Berner/Holm/Jensen 2015).

War­um Ver­ge­sell­schaf­tung?

Im Hin­blick auf die viel­fäl­ti­gen Aus­wir­kun­gen des Woh­nens auf die Gesund­heit einer­seits und die Situa­ti­on auf dem Ber­li­ner Woh­nungs­markt ande­rer­seits kann die Ver­ge­sell­schaf­tung von Woh­nun­gen, wie sie aktu­ell von der Kam­pa­gne “Deut­sche Woh­nen und Co ent­eig­nen” gefor­dert wird, als eine Maß­nah­me zur För­de­rung von gesun­dem Wohn­raum in jeg­li­cher Hin­sicht ange­se­hen wer­den.

Ziel der Kam­pa­gne ist es, durch einen Volks­ent­scheid die Woh­nungs­be­stän­de aller pri­vat­wirt­schaft­li­chen Investoren*innen, die mehr als 3.000 Woh­nun­gen in Ber­lin besit­zen, zu ver­ge­sell­schaf­ten und die Woh­nun­gen in eine sozia­le Trä­ger­ge­sell­schaft mit hohen Mit­spra­che­rech­ten für die Mieter*innen zu über­füh­ren. Ver­ge­sell­schaf­tung bedeu­tet hier „die Über­füh­rung von pri­va­tem in öffent­li­ches Eigen­tum, eine gemein­wohl­ori­en­tier­te Bewirt­schaf­tung die­ses Eigen­tums – und die demo­kra­ti­sche Ver­wal­tung des Gan­zen“ (vgl. Deut­sche Woh­nen & Co ent­eig­nen 2020). Die Aus­ge­stal­tung die­ser neu­en Anstalt öffent­li­chen Rechts könn­te der Bedeu­tung des Wohn­raums für die Gesund­heit sei­ner Bewohner*innen in Hin­blick auf alle vier gesund­heit­li­chen Dimen­sio­nen des Woh­nens gerecht wer­den.

Eine Ver­ge­sell­schaf­tung könn­te bezahl­ba­re Mie­ten ermög­li­chen da über Koope­ra­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen zwi­schen Senat und Trä­ger­ge­sell­schaft eine demo­kra­ti­sche Kon­trol­le der Miet­prei­se und der Ver­mie­tungs­pra­xis mög­lich wäre. Vie­le der gro­ßen pri­va­ten Woh­nungs­kon­zer­ne sind an der Bör­se notiert und daher ihren Aktionär*innen ver­pflich­tet, an die jähr­lich Divi­den­de aus­ge­schüt­tet wer­den muss. Die­se betru­gen im Jahr 2019 bei der Deut­sche Woh­nen durch­schnitt­lich 177 Euro pro Monat und Woh­nung (vgl. Ber­li­ner Mie­ter­ver­ein 2021). Es könn­te bewirkt wer­den, dass Instand­hal­tun­gen nicht wil­lent­lich ver­schleppt wer­den, um dann teu­re Moder­ni­sie­run­gen durch­zu­füh­ren, die anschlie­ßend auf die monat­li­che Mie­te umge­legt wer­den kön­nen. Weni­ger Ver­drän­gung auf­grund von stei­gen­den Miet­prei­sen und geziel­ten Ent­mie­tun­gen könn­te für mehr Bestän­dig­keit in der Nach­bar­schaft sor­gen, die Ver­sor­gung und Unter­stüt­zung in lang­jäh­rig gewach­se­nen nach­bar­schaft­li­chen Sozi­al­struk­tu­ren ermög­licht. Und schließ­lich könn­ten in Woh­nungs­be­stän­den in öffent­li­cher Trä­ger­schaft sozi­al­ver­träg­li­che Gewer­be­mie­ten durch­ge­setz­te wer­den. So kön­nen Orte für sozia­le Akti­vi­tä­ten ohne Kon­sum­zwang ermög­licht wer­den, die in der All­tags­be­wäl­ti­gung hel­fen und Soli­da­ri­tät im Wohn­um­feld för­dern.

Natür­lich ist nicht davon aus­zu­ge­hen, dass allein eine Über­füh­rung in eine sozia­le Trä­ger­schaft die­se Pro­zes­se in Gang setzt. Aber sie macht im Gegen­satz zu Bestän­den in pri­vat­wirt­schaft­li­cher Trä­ger­schaft eine Aus­ge­stal­tung von Wohn­raum in Hin­blick auf Gesund­heits­för­de­rung durch poli­ti­sches und gesell­schaft­li­ches Mit­spra­che­recht über­haupt erst mög­lich.

Aus die­sen Grün­den unter­stüt­zen wir als Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te die Kam­pa­gne “Deut­sche Woh­nen und Co ent­eig­nen”.

Lite­ra­tur

  • Ber­li­ner Mie­ter­ver­ein. Deut­sche Woh­nen-Ana­to­mie eines Immo­bi­li­en­gi­gan­ten. Mie­ter­ma­ga­zin 1+2/2021
  • Ber­ner L, Holm A, Jen­sen I. Zwangs­räu­mun­gen und die Kri­se des Hil­fe­sys­tems. Eine Fall­stu­die in Ber­lin. 2015. Available from: https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/stadtsoz/forschung/projekte/dateien-forschungsprojekte/studie-zr-web.pdf
  • Dale M, Heu­sin­ger J, Wol­ter B. Alter und Gen­tri­fi­zie­rung: Urba­ner Wan­del, kom­mu­na­le Senio­ren­po­li­tik und die sozia­len Fol­gen. In: Jahr­buch für Kri­ti­sche Medi­zin und Gesund­heits­wis­sen­schaf­ten 52. 2018
  • Deut­sche Woh­nen & Co. Ent­eig­nen. Ver­ge­sell­schaf­tung und Gemein­wirt­schaft. Lösun­gen für die Ber­li­ner Woh­nungs­kri­se. 2020. Available from:  http://www.dwenteignen.de/wp-content/uploads/2020/01/Vergesellschaftung_Download_2.-Auflage.pdf
  • Engels F. Die Lage der arbei­ten­den Klas­se in Eng­land. Nach eige­nen Anschau­un­gen und authen­ti­schen Quel­len. Leip­zig, 1845, MEW 2, Ber­lin 1976, S. 225ff.
  • Holm A. Gesund­heit im Poli­tik­feld Woh­nen. In: Gesund­heit als gesamt­ge­sell­schaft­li­che Auf­ga­be: das Kon­zept Health in All Poli­ci­es und sei­ne Umset­zung in Deutsch­land / Katha­ri­na Böhm, Ste­fan Bräun­ling, Rai­mund Geene, Hei­ke Köck­ler (Hrsg.). 2020
  • Holm A. Sozia­ler Wohn­raum­ver­sor­gungs­be­darf in Ber­lin. Stu­die im Auf­trag: Die Lin­ke. Frak­ti­on im Abge­ord­ne­ten­haus Ber­lin. 2016
  • Holm A. Pri­va­ti­sie­rung des kom­mu­na­len Woh­nungs­be­stan­des. In: JB Stadt­Re­gi­on, Ausg. 1–2008. 2008. Available from: file:///C:/Users/chendo/AppData/Local/Temp/4688–4725-1-PB.pdf
  • Infor­ma­ti­ons­dienst des Insti­tuts der deut­schen Wirt­schaft. Eine Fra­ge der Woh­nungs­grö­ße. 2020. Available from: https://www.iwd.de/artikel/eine-frage-der-wohnungsgroesse-495651/
  • Koch R. (1892) zitiert in: Richard J. Evans, Tod in Ham­burg. Stadt, Gesell­schaft und Poli­tik in den Cholera¬Jahren 1830–1910, Rein­bek 1996
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