Stel­lung­nah­me des vdää Ham­burg zu Coro­na

Die der­zei­ti­gen Maß­nah­men sind dras­tisch und allein auf die Reduk­ti­on der Aus­brei­tungs­ge­schwin­dig­keit gerich­tet. Das ist ein wich­ti­ges Ziel!

Die Ein­grif­fe in Demo­kra­tie, Selbst­be­stim­mung und ins Funk­tio­nie­ren der Zivil­ge­sell­schaft sind erheb­lich und in ihren Fol­gen nach­hal­tig bedroh­lich. Es sind gesell­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Struk­tu­ren gefähr­det, die sich nicht allein mit staat­li­chen Zuschüs­sen oder Steu­er­erleich­te­run­gen wie­der her­stel­len las­sen.

Vie­le Men­schen erfah­ren durch die Art der öffent­li­chen Bericht­erstat­tung eine aus­ge­spro­che­ne Panik, inne­re Kon­flik­te, Angst­stö­run­gen und Wahn­vor­stel­lun­gen. Psy­cho­sen bre­chen aus und wir befürch­ten, dass die Sui­zid­ra­te stei­gen könn­te und Krank­hei­ten zu spät erkannt wer­den könn­ten. Es gibt Berich­te, dass Schwan­ge­ren ein Kai­ser­schnitt gera­ten wird und dass Väter nicht bei der Geburt anwe­send sein soll­ten. So etwas leh­nen wir aus­drück­lich ab. Es gibt für solch ein Vor­ge­hen kei­ne ver­nünf­ti­ge Begrün­dung. Hier hat die Panik schon Ein­zug in die Medi­zin gehal­ten.

Der Rück­zug ins „Pri­va­te“ ist für vie­le nicht ein Hort der Sicher­heit, son­dern auch Beför­de­rung häus­li­cher Gewalt gegen Frau­en und Kin­der. Das indi­vi­du­el­le Risi­ko wird über­schätzt und gleich­zei­tig ver­ste­hen vie­le noch nicht aus­rei­chend, dass die­se Infek­ti­on eine Tröpf­chen­in­fek­ti­on ist. Die Men­schen des­in­fi­zie­ren sich die Hän­de, aber die Köp­fe wer­den zusam­men gesteckt und damit die Über­tra­gung geför­dert. Hier hat die Ori­en­tie­rung auf die an sich immer rich­ti­ge Hän­de­des­in­fek­ti­on die Men­schen in die Irre geführt.

Die Öko­no­mie, die bis­her kapi­ta­lis­tisch auf indi­vi­du­el­le Pro­fi­te aus­ge­rich­tet ist, ver­schärft die Pro­ble­me wei­ter. Vie­le pri­va­te gesund­heit­li­che Ein­rich­tun­gen, wie etwa Kran­ken­häu­ser aber auch Pra­xen u.a., arbei­ten wei­ter gewinn­ori­en­tiert, anstatt die Res­sour­cen auf die Bewäl­ti­gung der Pan­de­mie aus­zu­rich­ten.

Wenn pri­va­te Kli­nik­kon­zer­ne mit Kurz­ar­beit oder gar mit Ent­las­sun­gen dro­hen, da elek­ti­ve Ein­grif­fe ver­scho­ben und somit nur not­wen­di­ge Behand­lun­gen durch­ge­führt wer­den, unter­streicht es die Dring­lich­keit, die­se Ein­rich­tun­gen gesell­schaft­lich zu kon­trol­lie­ren und zu steu­ern. Wir unter­stüt­zen die For­de­rung der Pfle­gen­den, berufs­über­grei­fen­de Kri­sen­stä­be zu bil­den. Die­ses kann ggf. durch die Bun­des­län­der und die zustän­di­gen Minis­te­ri­en ein­ge­lei­tet wer­den.

Das deut­sche und ande­re euro­päi­sche Gesund­heits­sys­te­me set­zen dar­auf, feh­len­de Res­sour­cen an Medi­ka­men­ten, Ersatz­tei­len und Schutz­klei­dung aus dem Aus­land zu bezie­hen, geben ande­rer­seits die Devi­se aus (von der Ley­en), der­zeit nicht gesund­heits­re­le­van­tes Mate­ri­al nach außer­halb Euro­pas zu expor­tie­ren. Auf der ande­ren Sei­te rei­sen kuba­ni­sche Ärzt*innen nach Ita­li­en, um zu hel­fen. Das ist ein rich­ti­ges Zei­chen für eine inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät. Ein ähn­li­ches Zei­chen wün­schen wir uns inner­halb von Euro­pa, anstatt die Gren­zen zu schlie­ßen.

Die Pan­de­mie droht die sozia­le Spal­tung noch zu ver­schär­fen. Vie­le Men­schen sind von Armut betrof­fen. Armut wie­der­um ver­kürzt ein­deu­tig das Leben unab­hän­gig von der Pan­de­mie. Mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit wird es bei ärme­ren Men­schen häu­fi­ger zu schwe­ren Coro­na­vi­rus­in­fek­tio­nen kom­men aus vie­ler­lei sozio­öko­no­mi­schen Grün­den. Es ist jetzt die Zeit, die Wirt­schaft und die gesell­schaft­li­che Daseins­für­sor­ge grund­sätz­lich neu aus­zu­rich­ten.

Men­schen in Grup­pen­un­ter­künf­ten wie etwa Gefan­ge­ne, Geflüch­te­te oder Woh­nungs­lo­se sind ins­be­son­de­re gefähr­det und vul­nerabel, da sie sich nicht von­ein­an­der fern­hal­ten kön­nen und auf der ande­ren Sei­te über­durch­schnitt­lich häu­fig geschwächt oder vor­er­krankt sind. Das gilt für Geflüch­te­te im Süden und Osten der euro­päi­schen Gren­zen im beson­de­ren Maße. Die­se Men­schen  brau­chen unse­re Hil­fe!

Unse­re gesell­schaft­li­chen und gesund­heits­po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger dür­fen sich nicht von der viro­lo­gi­schen Per­spek­ti­ve allein lei­ten las­sen, son­dern müs­sen drin­gend die Fol­gen der jewei­li­gen Schutz­maß­nah­men ins Kal­kül zie­hen und die­se des­halb mög­lichst rasch wie­der auf­he­ben, um das gesell­schaft­li­che Leben neu zu orga­ni­sie­ren. Es gibt für die­se weit­rei­chen­den Maß­nah­men bis­her kei­ne wis­sen­schaft­li­che Evi­denz. Bei der Dis­kus­si­on um Aus­gangs­sper­ren müs­sen drin­gend die sozia­len Unter­schie­de berück­sich­tigt wer­den. So ist eine Aus­gangs­sper­re für Men­schen, die in gro­ßen Woh­nun­gen oder in Häu­sern mit Gär­ten woh­nen, eine erheb­li­che gerin­ge­re Belas­tung, als für z.B. eine Fami­lie in einer klei­nen Woh­nung. Der Scha­den die­ser Maß­nah­men darf am Ende nicht grö­ßer sein als der Nut­zen.

Die pri­va­ten Kli­nik­kon­zer­ne, die nun fürch­ten, Ver­lus­te zu machen, haben zuvor hohe Divi­den­den erzielt. Es darf nicht sein, dass für die Ver­lus­te die Gesell­schaft auf­kommt, wäh­rend die Gewin­ne der letz­ten Jah­re pri­va­ti­siert wur­den. Die Kran­ken­häu­ser gehö­ren in gesell­schaft­li­chen Besitz. Jetzt ist die Zeit, die­se Unter­neh­men zu ent­eig­nen. In Zei­ten der Ver­un­si­che­rung, Angst, der Bedro­hung von Gesund­heit, Leben und wirt­schaft­li­cher Exis­tenz stün­de es uns Ärzt*innen gut an, unse­re gesell­schaft­li­che Pflicht zu erfül­len und nicht zuerst eine höhe­re Ver­gü­tung zu for­dern.

Die Unter­zeich­ner, Mit­glie­der der Regio­nal­grup­pe Ham­burg des Ver­eins demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te, appel­lie­ren, sowohl inner­halb unse­rer Gesell­schaft wie inter­na­tio­nal soli­da­risch Res­sour­cen zu tei­len, die Bekämp­fung des Virus welt­weit zu unter­stüt­zen. Es ver­bie­tet sich der­zeit, ins­be­son­de­re medi­zi­ni­sches Per­so­nal aus Län­dern abzu­wer­ben, die durch die Pan­de­mie stär­ker bedroht sind.

Eine Pan­de­mie lässt sich nur mit einer Welt­per­spek­ti­ve aber nicht natio­nal besie­gen. Unse­re Öko­no­mie so wie die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung muss auf das Wohl der Mensch­heit aus­ge­rich­tet sein.

Unter­zeich­ner
Prof. Dr. Jochen Dahm-Daphi, Fach­arzt für All­ge­mein­me­di­zin, nie­der­ge­las­sen; Dr. Rachel Hel­mers, Ärz­tin; Kai Uwe Hel­mers, Fach­arzt für All­ge­mein­me­di­zin nie­der­ge­las­se­ner Haus­arzt, Shan­ti Hes­se-Khos­la, Ärz­tin in Wei­ter­bil­dung All­ge­mein­me­di­zin; Dr. Eck­hard Zei­gert, Fach­arzt für All­ge­mein­me­di­zin nie­der­ge­las­se­ner Haus­arzt
Pres­se­kon­takt: Kai-Uwe Hel­mers pra­xis­hel­mers (at) gmx.net, 04039808661
Jochen Dahm-Daphi pra­xis (at) hausaerzteamspritzenplatz.de, 040396660



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