Reso­lu­ti­on Kran­ken­haus statt Fabrik

Die Lage

1. Seit 2004 wer­den die Kran­ken­häu­ser in Deutsch­land über Prei­se für die Behand­lung jedes ein­zel­nen Pati­en­ten (Fallpauschalen/DRGs) bezahlt. Die Kran­ken­häu­ser wur­den auf „Effi­zi­enz“ getrimmt. Effi­zi­enz beschreibt eigent­lich das Ver­hält­nis zwi­schen dem erreich­ten Erfolg und dem dafür erfor­der­li­chen Auf­wand. In die­sem Sin­ne sind die DRGs das Gegen­teil von effi­zi­ent. Trotz­dem wird die Effi­zi­enz von den Ver­tei­di­gern der DRGs wie eine Mons­tranz vor sich her­ge­tra­gen. Für „Effi­zi­enz“ wur­den Kran­ken­häu­ser finan­zi­ell belohnt und man­che konn­ten nur so wirt­schaft­lich über­le­ben. „Effi­zi­enz“ in einem Preis­sys­tem bedeu­tet aber, dass mög­lichst vie­le Pati­en­ten, die sich loh­nen, mit mög­lichst wenig Per­so­nal und in mög­lichst kur­zer Zeit behan­delt wer­den. Ein sol­ches Ver­gü­tungs­sys­tem ist inhu­man gegen­über den Pati­en­ten. Sie wer­den unter Erlös­aspek­ten aus­ge­sucht („gute/schlechte Risi­ken“), auf­ge­nom­men und behan­delt (immer mehr unnö­ti­ge Ein­grif­fe) und dann noch mög­lichst früh (ohne Berück­sich­ti­gung ihrer sozia­len Lage) ent­las­sen. Hier offen­bart sich die Pro­ble­ma­tik der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung und deren Fol­gen.

2. Je mehr Gewin­ne gemacht wer­den müs­sen und je hef­ti­ger die Kran­ken­häu­ser unter­fi­nan­ziert sind, des­to unmit­tel­ba­rer wirk­ten die Anrei­ze für mehr „Effi­zi­enz“ in Kran­ken­häu­sern aller Trä­ger­schaf­ten. Ein sol­ches Finan­zie­rungs­sys­tem wur­de dadurch auch inhu­man gegen­über den Beschäf­tig­ten, weil die Arbeit pro Beschäf­tig­ten, also die Arbeits­het­ze sys­te­ma­tisch gestei­gert wur­de. Ins­be­son­de­re die Pfle­ge und die Ser­vice­be­rei­che waren und sind hier­von betrof­fen. Vie­le sind aus­ge­brannt und/oder ver­las­sen den Beruf. Die immer noch zu nied­ri­ge Bezah­lung tut ein Übri­ges. Vor­ga­ben, wie vie­le Pfle­ge­kräf­te zur Ver­sor­gung der Pati­en­ten vor­ge­hal­ten wer­den müs­sen, wur­den abge­schafft, weil sie nicht zum Preis­sys­tem der DRGs pass­ten. Bet­ten und Beatmungs­ge­rä­te las­sen sich viel­leicht schnell nach­pro­du­zie­ren, aber was ist mit den feh­len­den Pfle­ge­kräf­ten? Jetzt bezeich­net man sie als „sys­tem­re­le­vant“ und sucht hän­de­rin­gend nach ihnen.

3. Vor­hal­tung von Infra­struk­tur, z.B. für Not­fäl­le und Epi­de­mien, wird (bis auf mini­ma­le Aus­nah­men) durch die DRGs nicht finan­ziert und stört die „Effi­zi­enz“. Dem­entspre­chend fin­det in den Kran­ken­häu­sern kei­ne oder nur eine mög­lichst gerin­ge Vor­hal­tung statt. Jetzt wird deut­lich, dass dies zu gefähr­li­chen Eng­päs­sen geführt hat (Schutz­mas­ken/-klei­dung, Iso­la­ti­ons­bet­ten, Über­wa­chungs- und Beatmungs­ge­rä­te).

4. Erklär­tes Ziel der Ein­füh­rung der DRGs war es, die Kran­ken­häu­ser mög­lichst markt­kon­form umzu­ge­stal­ten und den Wett­be­werb der Kran­ken­häu­ser unter­ein­an­der anzu­fa­chen. Markt und Wett­be­werb statt Koope­ra­ti­on und Daseins­vor­sor­ge. Jetzt erkennt man, dass es eigent­lich dar­um geht, dass die Kran­ken­häu­ser gemein­sam han­deln, sich abspre­chen und unter­stüt­zen.

5. Erklär­tes Ziel war es auch durch das DRG-Sys­tem mög­lichst vie­le Kran­ken­häu­ser zu schlie­ßen und mas­siv Bet­ten abzu­bau­en. Argu­ment war, dass es im inter­na­tio­na­len Ver­gleich viel zu vie­le Bet­ten und Kran­ken­häu­ser gebe. Es wur­den zwar schon hun­der­te Kran­ken­häu­ser geschlos­sen und über 100.000 Bet­ten abge­baut, den neo­li­be­ra­len Thinktanks (Sach­ver­stän­di­gen­rat, Leo­pol­di­na, Ber­tels­mann, um nur eini­ge zu nen­nen) war dies aber noch nicht genug. Jetzt ist Gesund­heits­mi­nis­ter Spahn stolz auf die gro­ße Zahl von Bet­ten in Deutsch­land („gut gerüs­tet“) und der angeb­lich schlimms­te Nach­teil wird nun zu Deutsch­lands größ­tem Vor­teil.

6. Eine wei­te­re Fol­ge der Finan­zie­rung über Prei­se ist der unge­heu­re büro­kra­ti­sche Auf­wand, der betrie­ben wer­den muss, um Prei­se zu berech­nen, Leis­tun­gen unter Kos­ten­ge­sichts­punk­ten zu doku­men­tie­ren, sie mög­lichst pro­fi­ta­bel abzu­rech­nen, von Sei­ten der Kran­ken­kas­sen zu kon­trol­lie­ren. Dies hat zu einem wah­ren Abrech­nungs­krieg zwi­schen Kas­sen und Kran­ken­häu­sern geführt, in dem immer wei­ter per­so­nell auf­ge­rüs­tet wird. Jetzt wird deut­lich, dass man sich eine sol­che Res­sour­cen­ver­schwen­dung eigent­lich über­haupt nicht leis­ten kann, wenn es um die gute Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung geht.

7. Pri­va­te Kran­ken­haus­ge­sell­schaf­ten betrei­ben inzwi­schen mehr Kran­ken­häu­ser als die öffent­li­che Hand. Ihr Geschäfts­mo­dell ist Gewinn­erzie­lung und sie müs­sen ggf. ja auch noch ihre Aktio­nä­re bedie­nen, so dass Ver­si­cher­ten­bei­trä­ge direkt in deren Taschen wan­dern. Gewinn­an­rei­ze sind jedoch unge­eig­net um Kran­ken­häu­ser als Teil der Daseins­vor­sor­ge zu steu­ern. Wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie wur­de deut­lich, dass Kran­ken­häu­ser unab­hän­gig von der Trä­ger­schaft zur effek­ti­ven Bewäl­ti­gung der gesell­schaft­li­chen Anfor­de­run­gen zumin­dest unter Auf­sicht des Staa­tes gestellt wer­den müss­ten, so wie es in Spa­ni­en, Frank­reich und Finn­land unter den Not­stands­ge­set­zen der Fall war. Sonst gibt es kei­ne Steue­rungs­mög­lich­keit im öffent­li­chen Inter­es­se, damit die­se Kran­ken­häu­ser ihre Pflicht gegen­über der Gesell­schaft in erfül­len.

Unse­re For­de­run­gen

  1. Gesund­heits­ver­sor­gung ist Daseins­vor­sor­ge. Markt und Wett­be­werb, Prei­se (DRGs) und Gewin­ne sind Aus­druck der Umwand­lung der Gesund­heits­ver­sor­gung in ein Geschäfts­mo­dell mit öko­no­mi­schem Schwer­punkt und gefähr­den die Daseins­vor­sor­ge. Das DRG-Sys­tem muss ersetzt wer­den durch ein ein­fa­ches und büro­kra­tie­ar­mes Ver­fah­ren, durch das die ohne Ver­schwen­dung tat­säch­lich ent­stan­de­nen Kos­ten (inkl. Vor­hal­te­kos­ten) finan­ziert wer­den (Selbst­kos­ten­de­ckung). Die Bun­des­län­der müs­sen ihrer Ver­ant­wor­tung für die Finan­zie­rung not­wen­di­ger Inves­ti­ti­ons­kos­ten wie­der voll­stän­dig gerecht wer­den, damit kei­ne Gel­der, die zur Patient*innenversorgung vor­ge­se­hen sind hier­für ver­wen­det wer­den müs­sen. Die wirt­schaft­li­che Ver­wen­dung der Gel­der muss über­prüf­bar sein.
  2. Ein wei­te­rer Bet­ten­ab­bau nur auf Grund wirt­schaft­li­cher Zwän­ge darf nicht statt­fin­den. Die not­wen­di­ge Zahl und Grö­ße von Kran­ken­häu­sern und deren Koope­ra­ti­on (Auf­ga­ben­ver­tei­lung), die Zahl der Fach­ab­tei­lun­gen und Inten­siv-/Bet­ten müs­sen durch eine Bedarfs­pla­nung der Län­der unter demo­kra­ti­scher Betei­li­gung der Bürger*innen und Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen und deren Gewerk­schaf­ten ermit­telt und umge­setzt wer­den. Sie muss an Ver­sor­gungs­re­gio­nen und Erreich­bar­keit (Flä­chen­de­ckung), sowie demo­gra­fi­schen und Mor­bi­di­täts­fak­to­ren aus­ge­rich­tet sein. Dabei haben wegen der Steue­rungs­fä­hig­keit im öffent­li­chen Inter­es­se öffent­li­che Ein­rich­tun­gen Vor­rang.
  3. Für alle Berufs­grup­pen im Kran­ken­haus müs­sen ver­bind­li­che (gesetz­lich fest­ge­leg­te) bedarfs­ge­rech­te Per­so­nal­be­darfs­zah­len wis­sen­schaft­lich ermit­telt, umge­setzt und finan­ziert wer­den.
  4. Die Arbeits­be­din­gun­gen und die Ver­gü­tung der Beschäf­tig­ten in den Kran­ken­häu­sern müs­sen deut­lich ver­bes­sert wer­den. Bei der Durch­set­zung ihrer kol­lek­ti­ven Inter­es­sen unter­stüt­zen wir die Beschäf­tig­ten.
  5. Wenn die Daseins­vor­sor­ge für die Kran­ken­häu­ser im Mit­tel­punkt steht und Gewinn­an­rei­ze ent­fal­len, fal­len Kli­ni­ken als Ziel ren­di­te­ge­trie­be­ner pri­va­ter Geschäfts­mo­del­le aus. Statt einer wei­te­ren Ver­la­ge­rung von öffent­li­chen und frei­ge­mein­nüt­zi­gen Kran­ken­häu­sern in pri­va­ter Trä­ger­schaft, muss Gesund­heits­ver­sor­gung als öffent­li­che Auf­ga­be der Daseins­vor­sor­ge eher wie­der zurück in die Hän­de oder Kon­trol­le der Gebiets­kör­per­schaf­ten gelegt wer­den.

Unterzeichner*innen des Auf­ru­fes „Die Coro­na-Kri­se muss Kon­se­quen­zen haben“:

•    Bünd­nis Kran­ken­haus statt Fabrik
•    Arbeits­ge­mein­schaft Sozi­al­de­mo­kra­ten im Gesund­heits­we­sen Bay­ern
•    Attac
•    Ber­li­ner Bünd­nis für mehr Per­so­nal im Kran­ken­haus
•    Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft der Pati­en­tIn­nen­stel­len und ‑Initia­ti­ven
•    Bun­des­kom­mis­si­on Katho­li­sche Betriebs­seel­sor­ge
•    Deut­sche Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei
•    Die LINKE
•    Dr. Hans-Jür­gen Urban (Vor­stand der IG Metall)
•    Düs­sel­dor­fer Bünd­nis für mehr Per­so­nal
•    Gemein­gut in Bür­ge­rIn­nen­hand
•    Gesund­heits­la­den Mün­chen
•    Inter­es­sen­ver­band Kom­mu­na­ler Kran­ken­häu­ser
•    Inter­ven­tio­nis­ti­sche Lin­ke
•    Jusos in der SPD
•    Köl­ner Bünd­nis für mehr Per­so­nal im Gesund­heits­we­sen
•    Kran­ken­haus statt Fabrik Jena
•    Netz­werk soli­da­ri­sches Gesund­heits­we­sen Frei­burg
•    Ober­hau­ser Bünd­nis für eine men­schen­wür­di­ge Gesund­heits­ver­sor­gung
•    Pfle­ge­bünd­nis Cel­le Stadt und Land
•    Soli­da­ri­sches Gesund­heits­we­sen e.V.
•    Sol­tau­er Initia­ti­ve
•    Stutt­gar­ter Bünd­nis für mehr Per­so­nal in unse­ren Kran­ken­häu­sern und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen
•    Tübin­ger Bünd­nis für mehr Per­so­nal in unse­ren Kran­ken­häu­sern
•    Über­be­trieb­li­ches Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee Rhein-Neckar
•    Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te
•    Ver­ein­te Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft ver.di
•    Volks­in­itia­ti­ve Gesun­de Kran­ken­häu­ser NRW



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