Initia­ti­ve anläss­lich des Euro­pa­wahl­pro­gramms der AfD

Die Men­schen­wür­de ist migra­ti­ons­po­li­tisch nicht zu rela­ti­vie­ren. (Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, 2012)

Eine not­wen­di­ge Initia­ti­ve anläss­lich des Euro­pa­wahl­pro­gramms der AfD

Erneu­te Stel­lung­nah­me von im Gesund­heits­we­sen täti­gen Men­schen und Orga­ni­sa­tio­nen zum von der AfD wie­der­holt behaup­te­ten Zusam­men­hang von Zuwan­de­rung und Gesund­heits­ge­fähr­dun­gen durch über­trag­ba­re Krank­hei­ten.

Als ob die zuneh­men­de Miss­ach­tung der Men­schen­rech­te geflüch­te­ter Men­schen in Deutsch­land und Euro­pa nicht schon skan­da­lös genug wäre, nutzt die AfD das The­ma „Bekämp­fung von über­trag­ba­ren Krank­hei­ten“ immer wie­der im Bun­des­tag und in ihrer Öffent­lich­keits­ar­beit, um eine ver­meint­li­che Bedro­hung der Men­schen in Deutsch­land durch Geflüch­te­te und Migrant*innen zu beschwö­ren. Dage­gen hat sich bereits im April 2018 ein brei­tes Bünd­nis von Men­schen und Insti­tu­tio­nen aus dem Gesund­heits­we­sen in einer öffent­li­chen Stel­lung­nah­me gewandt.

Die glei­che Droh­ku­lis­se fin­det sich jetzt auch im AfD-Wahl­pro­gramm für die Euro­pa­wahl und sie wird mit den jetzt gefor­der­ten Maß­nah­men noch ein­mal ver­schärft. Die AfD for­dert, per­so­na­li­sier­te Infor­ma­tio­nen zu (Infektions-)Erkrankungen und Unter­su­chungs­er­geb­nis­se für alle „aner­kann­ten Migran­ten“ auf einem „bio­me­tri­schen Gesund­heits­pass“ zu doku­men­tie­ren (2) – eine Maß­nah­me, die auf eine offe­ne Stig­ma­ti­sie­rung und Dis­kri­mi­nie­rung einer Per­so­nen­grup­pe hin­aus­läuft. Nicht nur auf­grund der Erfah­run­gen mit der ver­bre­che­ri­schen Nut­zung sol­cher Daten im Natio­nal­so­zia­lis­mus gilt es, hier sen­si­bel zu sein, eine nament­li­che Erfas­sung von Krank­hei­ten ist auch unter moder­nen gesund­heits­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen nur in bestimm­ten Fäl­len sinn­voll, bei­spiels­wei­se, wie es zur Zeit geschieht, bei hoch anste­cken­den Krank­hei­ten, um Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men ein­zu­lei­ten. Die Namen wer­den dabei aber nicht an Lan­des- oder Bun­des­be­hör­den wei­ter­ge­ge­ben und auch nicht in „Gesund­heits­päs­sen“ doku­men­tiert.

Für Haut­krank­hei­ten, HIV oder Lues, die immer wie­der von der AfD zum The­ma gemacht wer­den, besteht eine sol­che nament­li­che Mel­de­pflicht nicht, weil sie hier für den Infek­ti­ons­schutz nicht ziel­füh­rend ist. Dies gilt auch für die For­de­rung eines umfas­sen­den Scree­nings aller Infek­ti­ons­krank­hei­ten bei Migrant*innen. Sol­che For­de­run­gen der AfD die­nen nicht dem Schutz der Bevöl­ke­rung, son­dern allein ihrer Spal­tung in soge­nann­te „Ein­hei­mi­sche“ und „Migran­ten“, um letz­te­re mit­tels einer recht­li­chen Son­der­be­hand­lung aus­zu­son­dern. Ins­ge­samt rei­hen sich sol­che For­de­run­gen ein in die all­täg­li­chen ras­sis­ti­schen Aus­gren­zun­gen und Angrif­fe, die für vie­le Men­schen in Deutsch­land bereits erheb­li­che nega­ti­ve gesund­heit­li­che Fol­gen haben.

Zusätz­lich scheut sich die AfD nicht, dem für die Doku­men­ta­ti­on und Kon­trol­le von mel­de­pflich­ti­gen Infek­ti­ons­krank­hei­ten zustän­di­gen Robert-Koch-Insti­tut (RKI) poli­tisch gewoll­te Irre­füh­rung zu unter­stel­len: Die AfD behaup­tet, dass sowohl die Mel­dung des RKI von 2018, es gebe „kei­ne erhöh­te Infek­ti­ons­ge­fähr­dung der All­ge­mein­be­völ­ke­rung durch Asyl­su­chen­de“ (3), als auch die Aus­set­zung einer geson­der­ten Ver­öf­fent­li­chung zu Häu­fig­kei­ten wich­ti­ger Infek­ti­ons­krank­hei­ten bei Geflüch­te­ten aus poli­ti­schen Grün­den erfolgt sei­en, um eine ent­spre­chen­de Gefähr­dung der All­ge­mein­be­völ­ke­rung zu ver­schlei­ern.

Die­se Mischung aus Ver­schwö­rungs­theo­rie und wie­der­hol­ter Des­in­for­ma­ti­on ist eine bekann­te Stra­te­gie der AfD. Das Ziel ist, dif­fu­se Ängs­te zu schü­ren oder zu bedie­nen und so eine Ver­schie­bung des öffent­li­chen Dis­kur­ses nach rechts zu errei­chen, um die men­schen­feind­li­che Aus­gren­zung von Bevöl­ke­rungs­grup­pen zum eige­nen Vor­teil nut­zen zu kön­nen.

Gefähr­det statt „gefähr­lich“

Tat­säch­lich sind Men­schen aus Kri­sen- und Kriegs­ge­bie­ten mit zusam­men­ge­bro­che­nem Gesund­heits­we­sen und teils mona­te- oder jah­re­lan­ger Flucht­ge­schich­te viel­fäl­ti­gen Gesund­heits­ge­fah­ren aus­ge­setzt, die eine beson­ders auf­merk­sa­me und sen­si­ble Gesund­heits­ver­sor­gung erfor­der­lich machen, sei es in Erst­auf­nah­me-Ein­rich­tun­gen oder spä­ter in den Insti­tu­tio­nen der ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Medi­zin. Hier haben sich vie­le Men­schen aus dem deut­schen Gesund­heits­we­sen als Pro­fes­sio­nel­le und Ehren­amt­li­che enga­giert und dazu bei­getra­gen, die medi­zi­ni­sche und psy­cho­so­zia­le Unter­stüt­zung nach Deutsch­land geflo­he­ner Men­schen zu ver­bes­sern oder über­haupt erst zu ermög­li­chen (4) – ange­sichts der restrik­ti­ven, dis­kri­mi­nie­ren­den und men­schen­recht­lich frag­wür­di­gen Rege­lun­gen im Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz, das Orga­ni­sa­tio­nen der medi­zi­ni­schen Flücht­lings­hil­fe seit Jah­ren kri­ti­sie­ren. (5)

Eine Gesund­heits­ver­sor­gung, zu der ein­ge­hen­de Erst­un­ter­su­chun­gen und ein kos­ten­lo­ser, siche­rer Zugang zu Behand­lun­gen und vor­beu­gen­den Maß­nah­men wie Imp­fun­gen zäh­len, sichert die Gesund­heit der Betrof­fe­nen eben­so wie sie die Gesund­heit der All­ge­mein­be­völ­ke­rung schützt. Es gibt nur eine gemein­sa­me „öffent­li­che Gesund­heit“ – kei­ne, die sich nach ver­meint­lich „eth­ni­schen“ Kate­go­rien auf­tei­len lässt. Dies wird durch die Zah­len des Robert Koch-Insti­tu­tes deut­lich, die nach einem leich­ten Anstieg der bun­des­wei­ten Tuber­ku­lo­se­er­kran­kun­gen im Jahr 2015 und 2016 bereits 2017 wie­der den Trend lang­sam sin­ken­der Erkran­kungs­zah­len seit 2002 doku­men­tie­ren. (6)

Für die migran­ti­sche Bevöl­ke­rung Deutsch­lands sind Dis­kri­mi­nie­rung, Ras­sis­mus und struk­tu­rel­le Hür­den im Gesund­heits­sys­tem zusätz­li­che Gesund­heits­ge­fähr­dun­gen. Zu deren Abbau bedarf es unter ande­rem des Endes der migra­ti­ons­po­li­tisch moti­vier­ten Gesetzesverschärfungen7 und einer inter­kul­tu­rel­len Öff­nung von Gesund­heits­in­sti­tu­tio­nen.
Gegen geziel­te Angst­ma­che vor den „Frem­den“ gibt es nur einen Schutz: der AfD bei jeder Gele­gen­heit zei­gen, dass sie kei­nes­wegs eine „Alter­na­ti­ve“ für „besorg­te Bürger*innen“ ist, son­dern eine Par­tei, die sich von demo­kra­ti­schen Wegen der Poli­tik bewusst immer wei­ter ent­fernt. Die Euro­pa­wahl ist eine Gele­gen­heit, dies unmiss­ver­ständ­lich deut­lich zu machen. Auch zum 70. Jah­res­tag des Grund­ge­set­zes der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land bleibt es not­wen­dig, dass wir uns für die zen­tra­le Bedeu­tung des Schut­zes der Men­schen­wür­de und Men­schen­rech­te ein­set­zen.

20. Mai 2019, Dr. Nad­ja Rako­witz, Pres­se­spre­che­rin Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te

Lis­te der unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen

Anmer­kun­gen

1) https://www.vdaeae.de/index.php/themen/germanhealthsystem/936-stellungnahme-zu-afd-antraegen

2) https://www.afd.de/gesundheitspolitik/

3) https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/A/Asylsuchende/Inhalt/meldepflichtige_Infektionskrankheiten_bei_Asylsuchenden.html

4) www.medibueros.org, www.gesundheit-gefluechtete.info

5) https://www.proasyl.de/hintergrund/das-asylbewerberleistungsgesetz-asyl

6) https://www.t‑online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_84629404/faktencheck-zu-afd-frage-diekraetzedie-tuberkulose-und-die-fluechtlinge.html

7) http://www.baff-zentren.org/news/gesundheit-in-gefahr-die-konsequenzen-des-geordnete-rueckkehr-gesetzesfuer-psychisch-erkrankte-gefluechtete/



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