Dele­ga­ti­ons­rei­se nach Süd­kur­di­stan (Nord­irak)

Die Rei­se erfolg­te auf Ein­la­dung der Yezi­di­schen Kon­fö­de­ra­ti­on im Nord­irak, mit dem Ziel die Regi­on um den Sin­gal-Berg (Shen­gal-Gebiet) zu errei­chen , wo sich wesent­li­che Sied­lungs­ge­bie­te der eth­nisch-reli­giö­sen Min­der­heit der Yezid*innen befin­den, um dort u.a. Pro­jek­te zu besu­chen, die mit Trau­ma­ti­sier­ten arbei­ten. Der Isla­mi­sche Staat (IS) drang bei sei­ner Offen­si­ve 2014 in die­se Gebie­te vor und rich­te­te mit beson­de­rer Grau­sam­keit gegen­über den „Ungläu­bi­gen“ (nicht-mus­li­mi­schen) einen Geno­zid unter der dor­ti­gen Bevöl­ke­rung an. Über 5.000 Yezid*innen wur­den ermor­det, 7.000 Frau­en und Kin­der ver­sklavt und sys­te­ma­tisch ver­ge­wal­tigt. 400.000 Men­schen muss­ten aus ihrer Hei­mat flie­hen. Noch heu­te gel­ten 2.000 Frau­en als ver­schol­len. Weder die ira­ki­sche Armee noch die süd­kur­di­schen Pesh­mer­ga, die zu dem Zeit­punkt die mili­tä­ri­sche Kon­trol­le in der Regi­on aus­üb­ten, gewähr­ten Schutz. Ganz im Gegen­teil: die Pesh­mer­ga gaben ihre Posi­tio­nen im yezi­di­schen Gebiet kampf­los auf. Auch die Welt­öf­fent­lich­keit und ins­be­son­de­re die Staa­ten der NATO schau­ten taten­los zu. Ein­zig die kur­di­schen Volks­ver­tei­di­gungs-Mili­zen (YPG/YPJ) aus Roja­va stan­den den Men­schen zur Sei­te und hiel­ten den IS zurück. In der jet­zi­gen Situa­ti­on der sozia­len Unru­hen im Süden des Irak und des von der Tür­kei begon­ne­nen Krie­ges gegen Roja­va wur­de der Dele­ga­ti­on der Zugang zu den Yezid*innen im Shen­gal-Gebiet nahe der Syri­schen Gren­ze durch die ira­ki­sche Armee ver­wehrt. Unter­stüt­zung der huma­ni­tä­ren Mis­si­on durch die Deut­sche Bot­schaft und das Kon­su­lat – Fehl­an­zei­ge.

Die Dele­ga­ti­on besuch­te unter größ­ten diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen das kur­di­sche Flücht­lings­la­ger Mach­mur (kur­disch Mex­mûr) zwi­schen Mos­sul und Erbil (kur­disch Hew­lar) wei­ter im Lan­des­in­ne­ren. Auch die­ses befes­tig­te Lager mit ca. 13.000 Ein­woh­nern blickt zurück auf die Ver­trei­bung aus dem ana­to­li­schen Nord­kur­di­stan durch die tür­ki­sche Armee im Jah­re 1993. Nach jah­re­lan­gen wie­der­hol­ten Angrif­fen, erober­te auch hier der IS im Jah­re 2014 die­ses Lager, das jedoch durch die PKK und YPG mit US-Luft­un­ter­stüt­zung wie­der befreit wer­den konn­te. Es wird seit­dem als „PKK Hoch­burg“ dis­kre­di­tiert und immer wie­der von der tür­ki­schen Armee bom­bar­diert, eben­so wie zahl­rei­che ande­re Dör­fer im Nord­irak. Auch wir muss­ten Zeu­ge der jah­re­lan­gen Völ­ker­rechts­ver­let­zung wer­den, als wäh­rend unse­res Besu­ches tür­ki­sche Kampf­bom­ber 200 km weit im ira­ki­schen Luft­raum das Lager über­flo­gen. Es gelang dort in den letz­ten Jah­ren trotz all der Wid­rig­kei­ten der Auf­bau eines funk­tio­nie­ren­den Gesund­heits­sys­tems, des­sen Bestand nun durch das seit drei Mona­ten anhal­ten­de Embar­go sei­tens der Bar­za­ni-Regie­rung in Süd­kur­di­stan gefähr­det ist.

Die Dele­ga­ti­on besuch­te das Gesund­heits­zen­trum, in dem weit­ge­hend ehren­amt­lich fünf Ärzt*innen, vier Heb­am­men, zwei Phy­sio­the­ra­peu­ten, zwei Apo­the­ke­rin­nen und sechs Pfle­ge­kräf­te das Lager sowie zahl­rei­che umge­ben­de ira­ki­sche Dör­fer ver­sor­gen. Es gibt sechs Behand­lungs­räu­me, weni­ge Not­fall­bet­ten, einen Früh­ge­bo­re­nen-Inku­ba­tor, ein ele­men­ta­res Labor, ein ver­al­te­tes Ultra­schall-Gerät sowie eine ein­fa­che Rönt­gen­an­la­ge. Kom­pli­zier­te­re OPs oder Kai­ser­schnit­te sind jedoch nicht mög­lich. Seit neu­es­tem gibt es einen nagel­neu­en Ambu­lanz­wa­gen – von ita­lie­ni­schen Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen gespen­det – mit dem im Not­fall oder zur Dia­ly­se nach Mos­sul oder Erbil gefah­ren wer­den kann. Wir konn­ten eine beträcht­li­che Men­ge drin­gend benö­tig­ter Anti­bio­ti­ka sowie Geld­spen­den zur Beschaf­fung von Bet­ten, Roll­stüh­len und ande­ren Hilfs­mit­teln, über­ge­ben.

Min­des­tens eben­so ein­drucks­voll für uns war der Besuch des Tages­zen­trums Naven­da Hevi (Hoff­nung) zur För­de­rung von Kin­dern mit Han­di­cap. Ins­be­son­de­re Kin­der mit Autis­mus und Down-Syn­drom wer­den von sechs Psycholog*innen und Heil-Therapeut*innen in ihrer Ent­wick­lung, im musi­schen und lebens­prak­ti­schen Bereich sowie ins­be­son­de­re in fein­mo­to­ri­scher Bewe­gung und Sport geför­dert. Es kenn­zeich­net einen tief aus­ge­präg­ten Huma­nis­mus, sich unter äußerst beschei­de­nen und bedräng­ten Lebens­ver­hält­nis­sen den Bedürf­nis­sen und der För­de­rung von schwer­be­hin­der­ten Men­schen zu wid­men.

Wir tra­fen den inzwi­schen bekann­ten kur­di­schen Geist des gleich­be­rech­tig­ten Umgangs der Geschlech­ter sowohl im täg­li­chen Umgang wie auch in den Demo­kra­ti­schen Selbst­ver­wal­tungs­struk­tu­ren. So wur­den wir etwa von unse­ren Gast­ge­bern gefragt, war­um in unse­rer Dele­ga­ti­on „mehr Män­ner reden als Frau­en“…

Mit dem neu ent­fach­ten Krieg gegen die kur­di­sche Bevöl­ke­rung durch die Tür­kei wird eine „Insel“ von Demo­kra­tie, Gleich­be­rech­ti­gung (auf unter­schied­li­che Ebe­nen wie Reli­gi­on und Gen­der) und Selbst­be­stimmt­heit bedroht und ver­nich­tet, die sich vie­le im Wes­ten und über­all auf der Welt jah­re­lang erträumt hat­ten. Die Des­po­ten des Nahen und Mitt­le­ren Ostens – allen vor­an Erdo­gan mit sei­nen dschi­ha­dis­ti­schen Kom­bat­tan­ten – betrei­ben nicht nur Völ­ker­mord, son­dern auch einen Ver­rat an allen Prin­zi­pi­en huma­ner Idea­le.

Zahl­rei­che Hilfs- und Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten sind öffent­lich bekannt und soll­ten auf allen Ebe­nen poli­tisch und huma­ni­tär auch aus der Ham­bur­ger Ärz­te­schaft her­aus genutzt wer­den.

Das Flücht­lings­camp in Mach­mur benö­tigt drin­gend ein neu­es Ultra­schall­ge­rät mit einem 3,5 und einen 10 MHZ Schall­kopf für etwa 20.000 €.
Spen­den dafür an Kur­di­stan-Hil­fe e.V, Stich­wort „Sono­gra­phie Mach­mur“

IBAN: DE40 2005 0550 1049 2227 04, Ham­bur­ger Spar­kas­se BIC: HASPDEHHXXX

Wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur

  • Schmi­din­ger T.: “Die Welt hat uns ver­ges­sen” – Der Geno­zid des “Isla­mi­schen Staa­tes” an den Jesi­dIn­nen und die Fol­gen, Wien/ Ber­lin 2019
  • Diver­se Autor*innen: Selbst­be­stim­mung statt Flucht. Demo­kra­ti­sche Auto­no­mie im Camp Mex­mur, Ber­lin Tat­ort Kur­di­stan 2019
  • Bei­trä­ge der ARTE Media­thek zu Stich­wor­ten Syri­en, Roja­va, Frau­en etc.

Prof. Dr. Jochen Dahm-Daphi, Dr. Mar­cial Velas­co Gar­ri­do



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