Pres­se­mit­tei­lung zum Selbst­be­stim­mungs­recht der Frau­en 02.06.2018

“Angst, Scham – und ein Sieg”, so über­schreibt die Süd­deut­sche Zei­tung ihren Kom­men­tar vom 28. Mai 2018 zum Ergeb­nis des iri­schen Refe­ren­dums gegen das Abtrei­bungs­ver­bot. Wider Erwar­ten hat sich eine über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der iri­schen Bevöl­ke­rung gegen das bis­lang gel­ten­de repres­si­ve Abtrei­bungs­ver­bot ent­schie­den – ledig­lich in einem ein­zi­gen Coun­ty waren die Befürworter*innen des bis­lang gel­ten­den rigi­den Ver­bots in der Mehr­heit. Mit einer sol­chen Ein­deu­tig­keit hat­te wirk­lich nie­mand gerech­net.

Im Ver­gleich dazu wirkt der Beschluss des 121. Deut­schen Ärz­te­tags zum §219a, der das aus der Nazi­zeit stam­men­de soge­nann­te “Wer­be­ver­bot” für Abtrei­bun­gen fort­schrei­ben und frei zugäng­li­che Infor­ma­tio­nen für unge­wollt Schwan­ge­re auf den Inter­net-Sei­ten von Gynäkolog*innen wei­ter unter Stra­fe stel­len will, höchst rück­stän­dig: Das Selbst­be­stim­mungs­recht der Frau wird vom vor­wie­gend männ­lich besetz­ten Deut­schen Ärz­te­tag wei­ter­hin nicht akzep­tiert, da der Bedarf an unab­hän­gi­ger Infor­ma­ti­on der betrof­fe­nen Frau­en in kei­ner Wei­se ange­nom­men wird. Nach wie vor ist der Schwan­ger­schafts­ab­bruch in Deutsch­land straf­be­wehrt. Tat­sa­che ist außer­dem, dass in Deutsch­land ent­ge­gen des gesetz­li­chen Auf­tra­ges kei­ne flä­chen­de­cken­de Ver­sor­gung mit Abbruch­mög­lich­kei­ten exis­tiert. So gibt es z.B. im Kreis Kle­ve nur einen Arzt, der Abbrü­che durch­führt. Die­ser ist zudem bereits im Ren­ten­al­ter; ähn­lich ist die Situa­ti­on in der Groß­stadt Müns­ter, wo der ein­zi­ge Kol­le­ge, der Abbrü­che durch­führt, im Som­mer 2018 in den Ruhe­stand gehen wird; er hat kei­ne Nachfolger*in.

Aller­dings zeigt ein genau­er Blick auf die Home­page der Irish Medi­cal Orga­ni­sa­ti­on (IMO), dass die iri­schen Ärzt*innen den deut­schen Ärzt*innen in nichts nach­ste­hen: Die IMO erwar­tet, dass neben der Ver­ein­fa­chung des Zugangs von Frau­en zu einer Abtrei­bung auch die “tief­ver­wur­zel­ten gewis­sens­be­ding­ten Ein­wän­de” der Ärzt*innen zu die­sem The­ma berück­sich­tigt wer­den sol­len. (The orga­ni­sa­ti­on expects that given the deep­ly held views which exist on this issue, any legis­la­ti­ve pro­po­sals will crea­te a regime which faci­li­ta­tes access to abor­ti­on ser­vices by women while also cate­ring for medi­cal pro­fes­sio­nals who have deep­ly held con­sci­en­tious objec­tions on this mat­ter.)

Wie in Deutsch­land und anders­wo wird das Gewis­sen der Ärzt*innen gegen die selbst­be­stimm­te Ent­schei­dung der Frau für einen Abbruch in Stel­lung gebracht. Es steht zu befürch­ten, dass trotz des über­wäl­ti­gen­den Votums der iri­schen Bevöl­ke­rung die Irin­nen kaum Ärzt*innen fin­den wer­den, die kei­ne “tief­grei­fen­den Gewis­sens­kon­flik­te” ins Spiel brin­gen. So könn­ten die Frau­en das ver­brief­te Recht nicht in die Pra­xis umset­zen und müss­ten statt­des­sen auch wei­ter­hin zum Abbruch nach Eng­land rei­sen. Ähn­lich könn­te die Zukunft auch in der Bun­des­re­pu­blik aus­se­hen: dass Frau­en nur die Opti­on bleibt, für einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch zuneh­mend wei­te Wege in Kauf zu neh­men oder gar – wie frü­her – bis in die Nie­der­lan­de zu rei­sen, weil immer weni­ger Mög­lich­kei­ten zum Abbruch vor­han­den sind.

Angst und Scham also wei­ter­hin – ein Sieg hin­ge­gen? Ja, denn ein ent­schei­den­der Schritt auf dem Weg für das Recht auf Schwan­ger­schafts­ab­bruch und kör­per­li­che Selbst­be­stim­mung ist getan. Wann jedoch das Ziel erreicht wird, ist noch unge­wiss.

Der vdää und die Ärzt*inneninitiative set­zen sich auch wei­ter­hin für die Abschaf­fung des §219a und die Libe­ra­li­sie­rung des Abtrei­bungs­ge­set­zes in Deutsch­land ein.

Dr. Susan­ne Zick­ler (Mit­glied im Vor­stand des vdää)
Chris­tia­ne von Rauch (für die Ärzt*inneninitiative)



×