Pres­se­mit­tei­lung des vdää anläss­lich der Ereig­nis­se in Ham­burg 12.07.2017

Wenn nach einem sol­chen Wochen­en­de der Ham­bur­ger Bür­ger­meis­ter sei­ner Poli­zei attes­tiert, alles rich­tig gemacht zu haben, dann ver­ab­schie­det sich die Poli­tik von einem zen­tra­len rechts­staat­li­chen Prin­zip: die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der Mit­tel.

Unse­re Hoch­ach­tung gilt vor allem den vie­len ehren­amt­li­chen Demo-Sani­tä­te­rIn­nen, die über vie­le Stun­den Ver­letz­te gebor­gen und ver­sorgt haben und ohne die es ver­mut­lich noch zu weit­aus schlim­me­ren Fol­gen für die Betrof­fe­nen gekom­men wäre, da sich die pro­fes­sio­nel­len Ret­tungs­diens­te lan­ge nicht in die „Kampf­zo­nen“ der Gip­fel­ta­ge- und näch­te wag­ten.

Ohne Zwei­fel haben sich die nächt­li­chen Ran­da­lie­re­rIn­nen von jedem ver­ant­wor­tungs­vol­len und poli­tisch sinn­vol­len Pro­test abge­kop­pelt. Die Aus­schrei­tun­gen waren bru­tal und gefähr­lich und sabo­tier­ten letzt­lich die Argu­men­te und Aktio­nen der Kri­ti­ke­rIn­nen des Gip­fels. Dar­über dür­fen aber nicht die vie­len kri­ti­schen Dis­kus­sio­nen und Work­shops, die erfolg­rei­chen und aus­drucks­star­ken Aktio­nen der Gip­fel­geg­ne­rIn­nen ver­ges­sen wer­den, die meh­re­re Tage lang dem Club der Mäch­ti­gen eine ande­re Idee glo­ba­ler Ver­hält­nis­se und demo­kra­ti­scher Zustän­de ent­ge­gen­ge­hal­ten haben. Lei­der fand der fried­li­che Pro­test­zug von 90.000 Gip­fel­geg­ne­rIn­nen in der Öffent­lich­keit anschlie­ßend zu wenig Auf­merk­sam­keit.

Hier­in liegt die ent­schei­den­de Bot­schaft des Wochen­en­des an die Regie­rungs­chefs und die gast­ge­ben­de Che­fin: Wer nur Poli­tik für die Eli­ten macht, wird sich dem Wider­stand und dem Pro­test der Men­schen nicht ent­zie­hen kön­nen. So deu­ten wir auch die beein­dru­cken­de Unter­stüt­zung, die die Pro­tes­tie­ren­den wäh­rend der Tage von der Ham­bur­ger Bevöl­ke­rung erhal­ten haben – auch nach der Nacht von Frei­tag auf Sams­tag. Exem­pla­risch sei­en hier die Kir­chen­ge­mein­den, Initia­ti­ven und Ein­zel­per­so­nen genannt, die den Anrei­sen­den ihre Türen öff­ne­ten und Unter­kunft gewähr­ten, die die Ham­bur­ger Poli­tik und Poli­zei ihnen hart­nä­ckig ver­wei­ger­te.

Und es darf nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten, mit wel­cher Här­te die­ser Gip­fel durch­ge­setzt wur­de: Die Bil­der von Men­schen in Panik, die von völ­lig über­ra­schend angrei­fen­den, prü­geln­den Poli­zis­tIn­nen wäh­rend der Demons­tra­ti­on am Don­ners­tag gegen die Kai­mau­er am Ham­bur­ger Fisch­markt gedrängt wer­den und ver­zwei­felt ver­su­chen, über viel zu enge Trep­pen zu ent­kom­men, ein Fest­ge­nom­me­ner, der mit einem unver­sorg­ten Bein­bruch im Poli­zei­ge­wahr­sam lan­det, eine Schü­ler- und Jugend­de­mo ohne jede Betei­li­gung des „schwar­zen Blocks“, die von Was­ser­wer­fern und schwer aus­ge­rüs­te­ten Poli­zis­tIn­nen in vol­ler Kampf­mon­tur bedrängt wird, Pres­se­ver­tre­ter und Anwäl­te, die von Poli­zis­ten ver­prü­gelt und denen grund­los die Akkre­di­tie­rung ver­wei­gert wur­de.

Selbst die ZEIT vom 7. Juli stell­te fest, dass der Poli­zei­ein­satz am Don­ners­tag „außer­halb jeder Rechts­staat­lich­keit“ statt­fand (Tho­mas Wüp­pe­sahl von der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Kri­ti­scher Poli­zis­tin­nen und Poli­zis­ten). Hier zeigt sich für uns erschre­cken­der­wei­se eine Ten­denz staat­li­chen Han­delns, die auch schon bei ande­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen etwa im Bay­ri­schen Wackers­dorf oder bei den Pro­tes­ten gegen Stutt­gart 21 zu beob­ach­ten war: Die aus­füh­ren­den Akteu­re miss­brau­chen das staat­li­che Gewalt­mo­no­pol im Ver­trau­en auf die bedin­gungs­lo­se poli­ti­sche Rücken­de­ckung, die zu einer Pra­xis der Straf­lo­sig­keit führt; die­se darf es in einem demo­kra­ti­schen Rechts­staat nicht geben.

Trotz der media­len Fokus­sie­rung auf die gewalt­tä­ti­gen Aus­schrei­tun­gen des Wochen­en­des bleibt vor allem nicht zu über­se­hen, wel­che dürf­ti­gen Ergeb­nis­se der G20-Gip­fel hat­te. Zu groß sind die öko­no­mi­schen und geo­stra­te­gi­schen Wider­sprü­che zwi­schen den G20-Staa­ten, als dass von ihren Staats­chefs bei klas­si­scher Musik und Kamin­ge­sprä­chen Lösun­gen oder auch nur sub­stan­ti­el­le Beschlüs­se für die glo­ba­len Pro­ble­me, wie die welt­wei­te medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung, den huma­ni­tä­ren Umgang mit Migra­ti­on oder die wirt­schaft­li­chen Pro­ble­me Afri­kas, zu erwar­ten gewe­sen wären.

Prof. Dr. Wulf Diet­rich (Vor­sit­zen­der)



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