Kri­ti­sche Medi­zin­stu­die­ren­de Köln Posi­ti­ons­pa­pier Öko­no­mi­sie­rung

Posi­ti­ons­pa­pier zur fort­schrei­ten­den Öko­no­mi­sie­rung des Gesund­heits­sys­tems

Das deut­sche Gesund­heits­sys­tem wird zuneh­mend markt­wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen unter­wor­fen. Medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung als Daseins­vor­sor­ge für alle wird abge­löst durch ein „Gesund­heits­we­sen“, des­sen mil­lio­nen­schwe­rer Markt­wert von Pri­vat­fir­men zur Gewinn­ge­ne­rie­rung genutzt wird. Der Blick in Kran­ken­häu­ser hier­zu­lan­de erin­nert an Fabri­ken: Patient*innen als „Fäl­le“, Ver­sor­gung im Akkord ohne Raum für men­schen­wür­di­ge und indi­vi­du­el­le Bezie­hungs­ar­beit, The­ra­pie als tech­ni­sier­te Pro­ze­dur.

In unse­rer Hoch­schul­grup­pe der „Kri­ti­schen Medi­zin­stu­die­ren­den“ haben wir uns im ver­gan­ge­nen Jahr mit der Öko­no­mi­sie­rung des Gesund­heits­sys­tems beschäf­tigt. In Recher­che­ar­beit, Dis­kus­sio­nen und zwei von uns ver­an­stal­te­ten Aben­den zum The­ma haben sich zen­tra­le Punk­te her­aus­kris­tal­li­siert. Die­se möch­ten wir im Fol­gen­den vor­stel­len und damit Posi­ti­on bezie­hen. Zusam­men mit ande­ren jun­gen Men­schen sind wir Teil der nach­wach­sen­den Gene­ra­ti­on der Gesund­heits­be­ru­fe. Die der­zei­ti­gen Ent­wick­lun­gen wer­den die Lebens­welt der Patient*innen und unser Arbei­ten in der Zukunft bestim­men.

Fabrik statt Kran­ken­haus? Der Sta­tus quo:

  1. Fall­zahl­stei­ge­rung und Per­so­nal­man­gel statt men­schen­wür­di­ger Medi­zin: Die Fall­zah­len in den Kli­ni­ken stei­gen ste­tig, ohne dass die Per­so­nal­zah­len ent­spre­chend ange­passt wer­den. Vor allem in der Pfle­ge führt die­ser schlech­te Per­so­nal­schlüs­sel zu men­schen­un­wür­di­ger Ver­sor­gung, sin­ken­der Qua­li­tät und aus­ge­brann­tem Per­so­nal. Die Fach­quo­te sinkt, wenn mög­lich wer­den Auf­ga­ben an weni­ger qua­li­fi­zier­tes und somit schlech­ter bezahl­tes Per­so­nal ver­scho­ben. Durch Out­sour­cing kön­nen Mitarbeiter*innen außer­halb – und unter­halb – von Tarif­löh­nen bezahlt wer­den. Arbei­ten im Gesund­heits­sys­tem macht erwie­se­ner­ma­ßen krank, immer weni­ger jun­ge Men­schen sehen eine lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve in den Pfle­ge­be­ru­fen.
  2. Fehl­an­rei­ze statt Behand­lung nach bes­tem Wis­sen und Gewis­sen: Inva­si­ve und tech­ni­sier­te Dia­gnos­tik und The­ra­pie brin­gen mehr Geld. Das führt zur Indi­ka­ti­ons­stel­lung nach wirt­schaft­li­chen statt nach medi­zi­ni­schen Maß­stä­ben. Inva­si­ve Metho­den wie Herz­ka­the­ter­un­ter­su­chung und Hüft­ge­lenks­er­satz wer­den hier­zu­lan­de deut­lich häu­fi­ger ange­wandt als im inter­na­tio­na­len Ver­gleich. Gesprä­che, Bezie­hungs­ar­beit und Pfle­ge wer­den ver­nach­läs­sigt. „Blu­ti­ge Ent­las­sun­gen“ und Fall­zahl­stei­ge­rung die­nen der Bilanz und nicht dem Patient*innenwohl.
  3. Gewinn­ori­en­tie­rung von Kran­ken­häu­sern statt öffent­li­cher Daseins­vor­sor­ge: Es ist Auf­ga­be der Län­der, die Inves­ti­ti­ons­kos­ten der Kli­ni­ken zu tra­gen – die­ser Ver­pflich­tung kommt der Staat jedoch nicht nach. Die Unter­ver­sor­gung för­dert die Pri­va­ti­sie­rung, der Staat zieht sich aus der Ver­ant­wor­tung: Öffent­lich unter­fi­nan­zier­te Kran­ken­häu­ser gel­ten als „maro­de“ und wer­den zu Spott­prei­sen von pri­va­ten Groß­kon­zer­nen auf­ge­kauft. Die­se kön­nen das Kapi­tal für feh­len­de Inves­ti­tio­nen bereit­stel­len und nut­zen fort­an die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung zur Gewinn­ge­ne­rie­rung (bis zu 12% Gewinn­ab­schöp­fung durch Trä­ger wie Heli­os). Indem sie Per­so­nal ein­spa­ren und sich auf lukra­ti­ve Berei­che kon­zen­trie­ren, pres­sen die Kon­zer­ne Gewinn aus einem Sys­tem, das wie Poli­zei und Feu­er­wehr eigent­lich öffent­li­che Daseins­vor­sor­ge leis­ten soll­te. Das Geld aus Kran­ken­ver­si­che­rung und Steu­ern – gedacht als soli­da­ri­sche Finan­zie­rung des Gesund­heits­sys­tems – wird so in pri­vat­wirt­schaft­li­che Hän­de ver­scho­ben!

Fall­pau­scha­len (DRGs) sind Zucker­brot und Peit­sche in der „Fabrik Kran­ken­haus“ und Motor von Ent­mensch­li­chung und Pri­va­ti­sie­rung: Der indi­vi­du­el­le Pati­ent wird in eine Schub­la­de gesteckt. Die­se Fall­pau­scha­len­schub­la­de ist außer­dem zu klein: Die DRGs wur­den auf Basis bereits gede­ckel­ter Bud­gets kon­stru­iert und geben nicht den wirk­li­chen Wert der Behand­lung wie­der. Dabei ist das von der Poli­tik pro­pa­gier­te Ziel der Kos­ten­sen­kung durch DRGs seit über 10 Jah­ren nicht erreicht wor­den.

Kran­ken­haus statt Fabrik! Ansät­ze für eine men­schen­wür­di­ge Gesund­heits­ver­sor­gung:

  1. Gesetz­lich fest­ge­leg­te Per­so­nal­schlüs­sel: Wert­schät­zung von Bezie­hungs­ar­beit und men­schen­wür­di­ger Pfle­ge
  2. Demo­kra­tisch fest­ge­leg­te und kon­trol­lier­te Bedarfs­pla­nung: Wir sind in der Ver­ant­wor­tung, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung durch unab­hän­gi­ge demo­kra­ti­sche Gre­mi­en zu pla­nen und nicht neo­li­be­ra­len Markt­pro­zes­sen zu über­las­sen.
  3. Voll­stän­di­ge Über­nah­me der Inves­ti­ti­ons­kos­ten durch die Län­der: Der Staat muss sei­ne Ver­ant­wor­tung für eine gute medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung wahr­neh­men. Wie Poli­zei und Feu­er­wehr gehört sie zur öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge.
  4. Kos­ten­de­ckung statt pri­vat­wirt­schaft­li­cher Gewinn­ge­ne­rie­rung in einem öffent­lich finan­zier­ten Sys­tem: Die Prin­zi­pi­en der frei­en Markt­wirt­schaft wie Kon­kur­renz und Gewinn­ge­ne­rie­rung sind kei­ne Grund­la­ge für ein funk­tio­nie­ren­des Gesund­heits­sys­tem.

Wir appel­lie­ren:

An poli­ti­sche Entscheidungsträger*innen: Machen Sie sich stark für eine men­schen­wür­di­ge medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in einem nach­hal­ti­gen Gesund­heits­sys­tem der öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge – außer­halb von markt­wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen! Grund­la­ge hier­für sind fai­re Arbeits­be­din­gun­gen.

An Mitarbeiter*innen in Kli­ni­ken: Erhe­ben Sie Ihre Stim­me gegen Öko­no­mi­sie­rung und Ent­mensch­li­chung.
Sowohl in der all­täg­li­chen Arbeit mit Patient*innen, als auch in Per­so­nal­ver­tre­tun­gen und Gewerk­schaf­ten. Kran­ken­ver­sor­gung ent­lang medi­zi­ni­scher und nicht wirt­schaft­li­cher Richt­li­ni­en!

An Leh­ren­de: För­dern Sie durch Ihre Leh­re kri­ti­sches Den­ken! Die Inter­es­sen von Kon­zer­nen haben an der Uni­ver­si­tät nichts zu suchen!

An Stu­die­ren­de und Aus­zu­bil­den­de in Gesund­heits­be­ru­fen: Lasst uns Ver­ant­wor­tung über­neh­men und sowohl
die Leh­re, als auch unse­re zukünf­ti­gen Arbeits­plät­ze aktiv und soli­da­risch mit­ge­stal­ten!

Köln im Janu­ar 2017

Quel­len und Lite­ra­tur zum Wei­ter­le­sen:

http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/pk-05–04-2016-woopen.pdf

http://www.mehr-krankenhauspersonal.de/

https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/

http://www.krit-med.uni-koeln.de/index.html



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