Stel­lung­nah­me vdää, Medi­bü­ros und Medi­net­ze zum Asyl­be­schleu­ni­gungs­ge­setz

Dem Refe­ren­ten­ent­wurf vom 19.11.2015 geht es jedoch nicht um die vom Grund­ge­setz gemein­te und per­so­nen-indi­vi­du­ell garan­tier­te Wah­rung der Bedürf­nis­se, Inter­es­sen und Rech­te Asyl­su­chen­der. Der Gesetz­ge­ber plant, Schutz­su­chen­de pau­schal an den Gren­zen zur Fes­tung Euro­pa abzu­wei­sen bzw. hilfs­wei­se wie­der abzu­schie­ben. Wir Ärz­tin­nen und Ärz­te im vdää sind ent­setzt über die­se geplan­te wei­te­re mas­si­ve Ver­schär­fung der ohne­hin bereits men­schen­recht­lich bedenk­li­chen Asyl­ge­setz­ge­bung in der BRD. So soll das Ver­fah­ren für defi­nier­te Grup­pen von Schutz­su­chen­den mit “gerin­gen Erfolgs­aus­sich­ten” ana­log zum Flug­ha­fen­ver­fah­ren inner­halb einer Woche abge­schlos­sen wer­den.

Schwe­re Erkran­kun­gen von Geflüch­te­ten wer­den nicht als Schutz­grund ange­nom­men, son­dern vom Staat als “Rück­füh­rungs­hin­der­nis­se” betrach­tet. Zum Zweck der raschen Abschie­bung wird den Schutz­su­chen­den eine ver­schärf­te Beweis­pflicht über ihre Erkran­kung auf­er­legt, die Bewei­se müs­sen „unver­züg­lich“ nach Abschie­be­an­dro­hung vor­ge­legt wer­den und dür­fen wie­der­um nicht älter als zwei Wochen sein. Gut­ach­ten­den Ärz­tIn­nen wird eine Viel­zahl zu beach­ten­der Kri­te­ri­en vor­ge­ge­ben, zugleich wird ein nicht ver­ant­wor­ten­der Zeit­druck auf­ge­baut. Und schließ­lich: Als Abschie­be­hin­der­nis gel­ten nur noch Erkran­kun­gen mit “erheb­li­cher und kon­kre­ter Gefahr für Leib und Leben” (§ 60.7 und 60a.2b und nur dann, wenn sie sich durch die Abschie­bung selbst wesent­lich ver­schlech­tern. Alle ande­ren Erkran­kun­gen sind uner­heb­lich für eine Abschie­bung.

Ins­be­son­de­re rich­tet sich der Gesetz­ent­wurf gegen Men­schen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen, vor allem der Post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung (PTBS). In der Begrün­dung zum Gesetz­ent­wurf wird prä­zi­siert, dass eine PTBS, die medi­ka­men­tös behan­delt wer­den kann, kein Abschie­be­hin­der­nis mehr dar­stel­len soll. Wir Ärz­tin­nen und Ärz­te im vdää sagen dazu:

Eine sol­che Hal­tung ist men­schen­ver­ach­tend und ver­stößt gegen ethi­sche und fach­li­che Grund­sät­ze der Medi­zin. Der­ar­ti­ge Erkran­kun­gen sind nicht etwa weni­ger schwer­wie­gend und belas­tend als schwe­re soma­ti­sche Erkran­kun­gen, die als Abschie­be­hin­der­nis aner­kannt sind. Sie sind allen­falls kurz­fris­tig schwie­ri­ger zu objek­ti­vie­ren und kön­nen somit als Schutz­grund von inter­es­sier­ter staat­li­cher Sei­te leich­ter zur Sei­te gescho­ben wer­den als bei­spiels­wei­se die Dia­ly­se­pflicht bei Men­schen mit Nie­ren­ver­sa­gen.

Als sta­bi­li­sie­ren­de Maß­nah­me bei PTBS dient die Her­stel­lung von sog. äuße­rer Sicher­heit, d. h. Schutz vor den die trau­ma­ti­sie­ren­den Ereig­nis­se her­vor­brin­gen­den äuße­ren Umstän­den (in die­sem Fall: Her­kunfts­land). Dies
ist über­haupt erst die Vor­aus­set­zung und Grund­la­ge einer wei­ter­ge­hen­den trau­ma­spe­zi­fi­schen Behand­lung. Die allei­ni­ge psy­cho­phar­ma­ko­lo­gi­sche Behand­lung ohne Psy­cho­the­ra­pie und v. a. ohne vor­he­ri­ge Durch­füh­rung sta­bi­li­sie­ren­der Maß­nah­men ist ein ärzt­li­cher Kunst­feh­ler.

Qua­li­fi­zier­te Attes­te von Psycholog_innen, die wesent­li­chen Anteil an der Dia­gno­se und Behand­lung bei PTBS haben, sol­len von den Behör­den nicht mehr akzep­tiert wer­den. Im Gesetz­ent­wurf wer­den Attes­te pau­schal als “Abschie­be­hin­der­nis­se aus (schein)gesundheitlichen Grün­den” dekla­riert, und es wird in unver­blüm­ter und unver­schäm­ter Wei­se eine mas­sen­haf­te Aus­stel­lung von Gefäl­lig­keitsat­tes­ten unter­stellt. Auf wel­chen Fak­ten die­se Behaup­tun­gen grün­den, wird jedoch nicht nach­voll­zieh­bar aus­ge­führt. Wir sind über­zeugt: Es gibt kei­ne der­ar­ti­gen Fak­ten!

Dar­über hin­aus soll künf­tig auch dann abge­scho­ben wer­den, wenn eine The­ra­pie­mög­lich­keit im Ziel­staat der Abschie­bung exis­tiert, unge­ach­tet der Fra­ge, ob sie für den Betrof­fe­nen erreich­bar ist. Laut Gesetz­ent­wurf liegt eine „aus­rei­chen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung“ auch dann vor, „wenn die­se in einem Teil des Ziel­staats gewähr­leis­tet ist“ (§ 60 Abs. 7 AufenthG).Von den Betrof­fe­nen wird ver­langt, sich an Orte mit The­ra­pie­an­ge­bo­ten zu bege­ben unge­ach­tet finan­zi­el­ler, struk­tu­rel­ler oder ande­rer Hür­den.

Im Fal­le der geplan­ten  Unter­brin­gung in sog. “beson­de­ren Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen” drängt sich die Fra­ge auf, wie gewähr­leis­tet wer­den soll, dass Men­schen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen iden­ti­fi­ziert und einer medi­zi­ni­schen Behand­lung zuge­führt wer­den sol­len. Eine pro­fes­sio­nel­le Mög­lich­keit zur beschleu­nig­ten Dia­gnos­tik und The­ra­pie von psy­chi­schen Erkran­kun­gen exis­tiert nicht. Die vor­ge­se­he­ne peri­phe­re Unter­brin­gung und kur­ze Ver­fah­rens­dau­er las­sen anneh­men, dass damit Grund- und Men­schen­rech­te und medi­zi­ni­scher und juris­ti­scher Bei­stand gezielt aus­ge­he­belt wer­den sol­len.

Wei­te­re, teil­wei­se unver­hält­nis­mä­ßig dra­ko­ni­sche Maß­nah­men wie die Rück­nah­me des Asyl­an­trags bei Ver­let­zung der ver­schärf­ten Resi­denz­pflicht, Ent­schei­dung nach Akten­la­ge bei Fol­ge­an­trag oder die Aus­set­zung der Mög­lich­keit des Fami­li­en­nach­zugs bei sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten für zwei Jah­re unter­stüt­zen die Annah­me, dass der Bun­des­re­gie­rung nicht, wie behaup­tet, an einer Beschleu­ni­gung der Asyl­ver­fah­ren gele­gen ist.

Dem Gesetz­ent­wurf geht es – gera­de auch im Kon­text der ande­ren Maß­nah­men zur Flücht­lings­ab­wehr (Mili­tär­mis­si­on im Mit­tel­meer, Finanz­hil­fen für die reak­tio­nä­re Erdo­gan-Regie­rung, Aus­wei­tung der sog. “siche­ren” Her­kunfts­län­der etc.) – in ers­ter Linie dar­um, Zahl und Fre­quenz der Abschie­bun­gen zu erhö­hen.

Wir for­dern:

• voll­stän­di­ge Ableh­nung die­ses Gesetz­ent­wurfs
• Revi­si­on der aktu­el­len Defi­ni­ti­on siche­rer Her­kunfts­län­der
• zur Beschleu­ni­gung von Asyl­ver­fah­ren und im Inter­es­se der Schutz­su­chen­den:

  • schwe­re soma­ti­sche und psy­chi­sche Erkran­kun­gen müs­sen als Schutz­grund wei­ter­hin aner­kannt blei­ben
  • Umset­zung der Richt­li­nie 2013/33/EU, die eine schnel­le Iden­ti­fi­zie­rung beson­ders schutz­be­dürf­ti­ger Asyl­su­chen­der fest­legt
  • Aner­ken­nung ärzt­li­cher und psy­cho­lo­gi­scher Attes­te außer bei begrün­de­tem Zwei­fel im Ein­zel­fall
  • Auf­bau von akkre­di­tier­ten Dol­met­scher_in­nen-Pools, sowohl für die Durch­füh­rung der Anhö­run­gen durch das BAMF, als auch zur Ver­mei­dung einer schlech­te­ren medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung

• frei­er Zugang zu medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung
• Aus­set­zung der Dub­lin III-Ver­ord­nung, um unnö­ti­ge Ver­fah­rens­ver­län­ge­run­gen durch Über­prü­fung zu ver­mei­den.

Dr. Tho­mas Kun­kel / Micha­el Jan­ßen
(Mit­glie­der des Geschäfts­füh­ren­den Vor­stands des vdää)



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