Pres­se­er­klä­rung zur mög­li­chen Ein­stel­lung des „Bre­mer Brech­mit­tel­pro­zes­ses“

Die seit dem 9. April 2013 mit dem Fall befass­te Straf­kam­mer des Land­ge­richts Bre­men hat nun vor­ge­schla­gen, das Ver­fah­ren an einem der nächs­ten Pro­zess­ta­ge Mit­te Juni nach §153a Straf­pro­zess­ord­nung ein­zu­stel­len. Die­ser Para­graph ermög­licht eine Ein­stel­lung, wenn das „öffent­li­che Inter­es­se an der Straf­ver­fol­gung“ recht gering ist und „die Schwe­re der Schuld“ dem nicht ent­ge­gen­steht. Zustim­men müss­ten nur die Ver­tei­di­gung und die Staats­an­walt­schaft. Die gesam­te straf­recht­li­che Ver­fol­gung der Ver­ant­wort­li­chen wür­de dann nach dem drit­ten Ver­fah­ren und acht Jah­re nach der Tötung von Laye Ala­ma Con­dé im Bre­mer Poli­zei­ge­wahr­sam für immer fol­gen­los blei­ben.

Der „Bre­mer Brech­mit­tel­pro­zess“ ist nicht irgend­ein Ver­fah­ren; eine Ein­stel­lung kann nicht im öffent­li­chen Inter­es­se lie­gen! In den bei­den vor­an­ge­gan­ge­nen Pro­zess­run­den 2008 und 2010 ist der ange­klag­te Arzt jeweils frei­ge­spro­chen wor­den. Der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) hat bei­de Frei­sprü­che ein­kas­siert und vor Beginn des nun lau­fen­den drit­ten Pro­zes­ses dem Land­ge­richt auf­ge­ge­ben, das Han­deln des Brech­mit­tel ver­ge­ben­den Arz­tes als „Kör­per­ver­let­zung mit Todes­fol­ge“ ein­zu­ord­nen. Auch die drit­te befass­te Kam­mer des Land­ge­richts ist nun auf dem bes­ten Wege, ein wei­te­res Mal die Vor­ga­ben des BGH zu miss­ach­ten. Das Han­deln des Arz­tes wird ledig­lich als „fahr­läs­si­ge Tötung“ bezeich­net.

Die Ein­stel­lung eines Ver­fah­rens ist kein Urteil. Ein Gericht muss in der Lage sein, ein Urteil dar­über zu fäl­len, ob und inwie­weit es für die Tötung eines Men­schen in Poli­zei­ge­wahr­sam Ver­ant­wort­li­che gibt oder nicht. Der vdää for­dert das Land­ge­richt und die Staats­an­walt­schaft drin­gend dazu auf, von einer Ein­stel­lung im „Brech­mit­tel­pro­zess“ abzu­se­hen!

Schon 2006 hat­te der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te die Metho­de des Brech­mit­tel­ein­sat­zes als unmensch­lich und ernied­ri­gend ein­ge­stuft und ent­schie­den, dass das Ver­fah­ren das Fol­ter­ver­bot der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ver­let­ze. 2008 wur­de der Arzt den­noch vom Bre­mer Land­ge­richt frei­ge­spro­chen, denn der Ein­griff sei damals legal gewe­sen, so das Gericht in sei­ner Urteils­be­grün­dung: Ein erfah­re­ner Arzt hät­te den Tod ver­mei­den kön­nen, indem er die Maß­nah­me nach Ver­lust des Bewusst­seins und dem Her­vor­quel­len von Schaum aus dem Mund sofort abge­bro­chen hät­te. Der Arzt sei jedoch über­for­dert gewe­sen und habe das Risi­ko nicht erkannt…

Hier geht es aber nicht um einen medi­zi­ni­schen Behand­lungs­feh­ler!

Tat­säch­lich han­delt es sich hier um die Ver­let­zung der im Hip­po­kra­ti­schen Eid nie­der­ge­leg­ten ärzt­li­chen Grund­re­geln, nie­mals einem Pati­en­ten Scha­den zuzu­fü­gen. Gemäß Arti­kel 1(1) der UN-Kon­ven­ti­on erfüllt die­ses Vor­ge­hen sogar den Tat­be­stand der Fol­ter. Danach ist Fol­ter „Jede Hand­lung, durch die einer Per­son vor­sätz­lich gro­ße kör­per­li­che oder see­li­sche Schmer­zen oder Lei­den zuge­fügt wer­den wenn die­se Schmer­zen oder Lei­den von einem Ange­hö­ri­gen des öffent­li­chen Diens­tes oder einer ande­ren in amt­li­cher Eigen­schaft han­deln­den Per­son, auf deren Ver­an­las­sung oder mit deren aus­drück­li­chem oder still­schwei­gen­dem Ein­ver­ständ­nis ver­ur­sacht wer­den.“

Die von dem Poli­zei­arzt vor­ge­nom­me­ne Maß­nah­me war grau­sam, unmensch­lich und ernied­ri­gend. Es lag weder ein Ein­ver­ständ­nis des Behan­del­ten vor, noch bestand eine medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on. Er ver­stieß damit auch gegen die Berufs­ord­nung für Ärz­te in Deutsch­land.

§ 1 Berufs­aus­übung, Abs. 2: “Auf­ga­be des Arz­tes ist es, das Leben zu erhal­ten, die Gesund­heit zu schüt­zen und wie­der­her­zu­stel­len sowie Lei­den zu lin­dern und sich für die Erhal­tung der Umwelt als Grund­la­ge der Gesund­heit ein­zu­set­zen. Der Arzt übt sei­nen Beruf nach den Gebo­ten der Mensch­lich­keit aus. Er darf kei­ne Grund­sät­ze aner­ken­nen und kei­ne Vor­schrif­ten oder Anwei­sun­gen beach­ten, die mit sei­ner Auf­ga­be nicht ver­ein­bar sind oder deren Befol­gung er nicht ver­ant­wor­ten kann.“

Er ver­stieß aber auch gegen die Erklä­rung des Welt­ärz­te­bun­des von 1986: “Beruf­li­che Frei­heit heißt, staat­li­che und sozia­le Prio­ri­tä­ten außer Acht zu las­sen.“ Das schließt eine all­zu star­ke Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem jeweils herr­schen­den Staat aus. Die ärzt­li­che Ver­ant­wor­tung gegen­über den Pati­en­ten hat Prio­ri­tät gegen­über der Loya­li­tät mit dem Staat. Nicht das medi­zi­ni­sche Fehl­ver­hal­ten oder ein ärzt­li­cher Kunst­feh­ler sind das Pro­blem, son­dern der Ver­rat ärzt­li­chen Selbst­ver­ständ­nis­ses, die Unter­ord­nung ärzt­lich-ethi­scher Stan­dards unter staat­lich repres­si­ve Auto­ri­tät.

Der vdää for­dert die zustän­di­ge Lan­des­ärz­te­kam­mer erneut auf, das Ver­hal­ten ihres Mit­glie­des hin­sicht­lich der Ver­let­zung der ver­bind­li­chen Berufs­ord­nung zu über­prü­fen. Die beson­de­re Qua­li­fi­ka­ti­on eines Arz­tes, sei­ne erlern­te Fähig­keit, die kör­per­li­che Inte­gri­tät Ande­rer ver­let­zen zu kön­nen, darf weder von ihm noch von Drit­ten miss­braucht wer­den.

Um ent­spre­chen­des Fehl­ver­hal­ten zu unter­bin­den, erwar­ten wir eine offe­ne Aus­ein­an­der­set­zung in Aus‑, Fort- und Wei­ter­bil­dung und nicht nur im Fach Medi­zin­ethik zum mög­li­chen Miss­brauch der Medi­zin. Ent­schei­dend ist die Schär­fung des Bewusst­seins von Ärz­tin­nen und Ärz­ten, die Sen­si­bi­li­sie­rung gegen­über Situa­tio­nen, die dem Arzt ein Ver­hal­ten abver­lan­gen, das im Wider­spruch zum Hip­po­kra­ti­schen Eid steht.

Dr. Bern­hard Win­ter
(Stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des vdää)

PDF: Pres­se­er­klä­rung des vdää zur mög­li­chen Ein­stel­lung des „Bre­mer Brech­mit­tel­pro­zes­ses“

 



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