Pres­se­er­klä­rung des vdää zu IGe­Leis­tun­gen in der Kas­sen­pra­xis

Ange­sichts der Tat­sa­che, dass es für vie­le the­ra­peu­ti­schen und dia­gnos­ti­schen IGe­Leis­tun­gen kei­ne belast­ba­re wis­sen­schaft­li­che Evi­denz gibt oder ihre Nutz­lo­sig­keit bewie­sen ist, ist die oben beschrie­be­ne skep­ti­sche Hal­tung der Bür­ge­rIn­nen durch­aus gerecht­fer­tigt. Bei­spiels­wei­se wird der Nut­zen einer der meist­ver­kauf­ten Ige­Leis­tun­gen, die Augen­in­nen­druck­mes­sung zur Früh­erken­nungs­un­ter­su­chung auf einen grü­nen Star durch den IgeL-Moni­tor der AOK (im BÄK-KBV-Rat­ge­ber expli­zit emp­foh­len) als ten­den­zi­ell nega­tiv, die vagi­na­le Ultra­schall­un­ter­su­chung auf ein Ova­ri­al­kar­zi­nom sogar als nega­tiv bewer­tet. Bei­de Unter­su­chun­gen stel­len mit ca. 40% aller IGe­Leis­tun­gen deren Haupt­kon­tin­gent dar, wäh­rend Rei­se- und Sport­un­ter­su­chung mit weni­ger als 10% fast zu ver­nach­läs­si­gen sind. Wür­den die Ärz­tIn­nen und Ärz­te die Kri­te­ri­en der BÄK-KBV in der Pra­xis ernst neh­men, dürf­ten min­des­tens 80% aller IGe­Leis­tun­gen nicht ange­bo­ten wer­den.

Der vdää kann das Anlie­gen des BÄK-KBV-Rat­ge­bers, „die Dis­kus­si­on zu ver­sach­li­chen, die Argu­men­te zu dif­fe­ren­zie­ren und offen, aus­ge­wo­gen zu infor­mie­ren“, des­halb nur bedingt tei­len. Kla­re Regeln für Gesprä­che über Leis­tun­gen, für die es kei­ne Evi­denz gibt, sind nutz­los, weil die­se Leis­tun­gen gar nicht erbracht wer­den dürf­ten. Eine kla­re Regel für ein sol­ches Gespräch kann nach unse­rem Medi­zin­ver­ständ­nis allen­falls dar­in bestehen, den Pati­en­tIn­nen davon abzu­ra­ten und die Leis­tung ent­spre­chend nicht zu erbrin­gen. Genau die­sen Rat fin­det man aber lei­der nir­gends in dem Rat­ge­ber. Der Arzt wür­de dann aller­dings mit sei­ner ande­ren Rol­le als Kauf­mann in Kon­flikt gera­ten.

Auch wenn BÄK und KBV wis­sen, dass im „Bereich der Früh­erken­nungs­un­ter­su­chun­gen … bei­spiels­wei­se Über­dia­gno­se und Über­the­ra­pie zu den Risi­ken“ zäh­len und dass „IGeL zur Früh­erken­nung (‚Vor­sor­ge’) von Krank­hei­ten … häu­fig Unter­su­chun­gen (sind), deren Nut­zen nach dem aktu­el­len Kennt­nis­stand nicht oder nicht aus­rei­chend belegt ist“, fin­det man nir­gends den Rat an Ärz­tin­nen und Ärz­te, die­se Leis­tun­gen dann erst gar nicht anzu­bie­ten. Somit hat auch die neue Auf­la­ge des IGeL Rat­ge­bers nur eine Ali­bi­funk­ti­on: Der Schein ist gut, aber die Rea­li­tät des IGeL-Unwe­sens wird nicht in Fra­ge gestellt.

BÄK und KBV pro­ble­ma­ti­sie­ren auch nicht, dass es bis­her kei­ne Über­wa­chung oder Regu­lie­rung die­ser Leis­tun­gen gibt. Kei­ne Instanz prüft die Indi­ka­ti­ons­stel­lung, nie­mand fragt nach der Qua­li­fi­ka­ti­on des Leis­tungs­er­brin­gers. Die Rech­nungs­stel­lung erfolgt indi­vi­du­ell und unkon­trol­liert. Alle Zah­len über IGeL beru­hen auf Befra­gun­gen oder Schät­zun­gen, ver­läss­li­che Zah­len exis­tie­ren nicht. Wir befin­den uns hier in einem qua­li­ta­ti­ven und quan­ti­ta­ti­ven Grau­be­reich.

Das Ange­bot von IGeL in den Pra­xen hat in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren von 9% auf 28% zuge­nom­men, es hat sich ver­drei­facht, mit stei­gen­der Ten­denz. Beson­ders den obe­ren sozia­len Schich­ten wer­den die­se Leis­tun­gen ange­bo­ten. Der vdää sieht hier­in ein wei­te­res Sym­ptom für die Kom­mer­zia­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens, die wir ableh­nen. Tritt der Arzt aber Kauf­mann auf, so gefähr­det das sein pro­fes­sio­nel­les Han­deln.

Wir wie­der­ho­len des­halb unse­re Fest­stel­lung aus dem Jahr 2011: Der vdää tritt für ein voll­stän­di­ges Ver­bot von dia­gnos­ti­schen und the­ra­peu­ti­schen IGeL in der Kas­sen­pra­xis ein. Es muss Schluss sein mit der Ver­un­si­che­rung der Pati­en­ten. „Medi­zi­nisch sinn­vol­le Leis­tun­gen gehö­ren in den Leis­tungs­ka­ta­log der gesetz­li­chen Kas­sen, alle ande­ren Leis­tun­gen dürf­ten, da medi­zi­nisch nicht sinn­voll, nicht von Ärz­ten mit Kas­sen­zu­las­sung erbracht wer­den”, for­dert Prof Wulf Diet­rich, Vor­sit­zen­der des vdää. Und sinn­vol­le Leis­tun­gen aus dem IGeL-Kata­log, wie z.B. Rei­se­taug­lich­keits- oder sport­me­di­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen, soll­ten von den Kran­ken­kas­sen gezahlt wer­den. Schließ­lich dient Sport der Prä­ven­ti­on und die Fol­gen von Rei­se­er­kran­kun­gen müs­sen auch von den Kas­sen getra­gen wer­den. Solan­ge die sinn­vol­len Leis­tun­gen kei­ne Kas­sen­leis­tung sind, kann man über Rege­lun­gen dis­ku­tie­ren. Zuerst aber müs­sen die medi­zi­nisch nicht ver­tret­ba­ren Aus­wüch­se besei­tigt wer­den.

Statt Gesprä­chen über unsin­ni­ge Leis­tun­gen kla­re Regeln zu geben, schlägt der vdää ein Zer­ti­fi­kat für Pra­xen vor, die kei­ne unsin­ni­gen IGeL anbie­ten: „Pati­en­ten sol­len schon am Pra­xis­schild erken­nen, ob ein Arzt auf markt­schreie­ri­sche Ange­bo­te ver­zich­tet. Medi­zin darf nicht zur Ware wer­den!” for­dert Prof. Wulf Diet­rich.

Prof. Dr. Wulf Diet­rich (Vor­sit­zen­der)
Dr. Bern­hard Win­ter (Stellv. Vor­sit­zen­der)


×