Euro­päi­sches Mani­fest gegen die Kom­mer­zia­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens

Die­se Bedin­gun­gen für eine gute Medi­zin her­zu­stel­len, ist in allen euro­päi­schen Län­dern mög­lich. Ist doch die EU eine der reichs­ten Regio­nen der Erde. Aktu­ell erle­ben wir euro­pa­weit eine Ent­wick­lung, die die­sem Anlie­gen ent­ge­gen­läuft.

Krank­heit ist kei­ne Ware!

Ob wir ein staat­li­ches Gesund­heits­we­sen haben oder eines, das über Sozi­al­ver­si­che­run­gen orga­ni­siert wird, wir sehen über­all eine zuneh­men­de Pri­va­ti­sie­rung und Kom­mer­zia­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens bzw. der Medi­zin. Das Gesund­heits­we­sen wird zum Markt, Gesund­heit und Krank­heit wer­den zu Waren. Ein wich­ti­ges Moment die­ser Ökonomisierung/Kommerzialisierung ist die Pri­va­ti­sie­rung.

Pri­va­ti­sie­rung bedeu­tet:

  • ehe­mals staat­li­che oder gemein­nüt­zi­ge Kran­ken­häu­ser wer­den pri­va­ti­siert;
  • gro­ße Kli­nik­kon­zer­ne, als Akti­en­ge­sell­schaf­ten orga­ni­siert, über­neh­men zuneh­mend die sta­tio­nä­re Ver­sor­gung und drin­gen in den „Markt“ der ambu­lan­ten Ver­sor­gung ein;
  • in ehe­mals staat­li­chen Gesund­heits­we­sen kön­nen pri­va­te Anbie­ter Leis­tun­gen anbie­ten;
  • Gewin­ne aus Gesund­heits­leis­tun­gen flie­ßen an pri­va­te Kapi­tal­ge­ber und wer­den damit dem Gesund­heits­we­sen ent­zo­gen und ver­teu­ern es so für die Gesell­schaft;
  • medi­zi­nisch not­wen­di­ge Leis­tun­gen wer­den aus dem Leis­tungs­ka­ta­log des staat­li­chen Gesund­heits­we­sens bzw. der Sozi­al­ver­si­che­run­gen aus­ge­glie­dert und müs­sen pri­vat bezahlt wer­den;
  • hoch­tech­ni­sier­te Leis­tun­gen, die gut hono­riert wer­den, kom­men zuneh­mend zur Anwen­dung.

Pri­va­ti­sie­rung führt zu gesell­schaft­li­cher Ent­so­li­da­ri­sie­rung und Abwäl­zung des Krank­heits­ri­si­kos auf die Indi­vi­du­en und sie beschränkt demo­kra­ti­sche Ein­fluss­mög­lich­kei­ten. Der Druck von Gesund­heits­kon­zer­nen, Pro­fi­te machen zu müs­sen, ord­net medi­zi­ni­sche Prio­ri­tä­ten zwangs­läu­fig öko­no­mi­schen bzw. betriebs­wirt­schaft­li­chen unter und unter­gräbt das Arzt-Pati­ent-Ver­hält­nis.

Um die­se Prin­zi­pi­en sys­te­ma­tisch im Gesund­heits­we­sen zu ver­an­kern, wer­den Mecha­nis­men kapi­ta­lis­ti­scher Kon­kur­renz unter der beschö­ni­gen­den Bezeich­nung „Wett­be­werb“ imple­men­tiert: So kon­kur­rie­ren pri­va­te Anbie­ter mit öffent­li­chen und gemein­nüt­zi­gen. Kran­ken­häu­ser kon­kur­rie­ren unter­ein­an­der um Pati­en­ten. Nicht das medi­zi­nisch bes­te Kran­ken­haus ist der „Sie­ger“ in die­sem Wett­be­werb, son­dern das betriebs­wirt­schaft­lich am erfolg­reichs­ten arbei­ten­de. Auch bei gesetz­li­chen, sozia­len Kran­ken­ver­si­che­run­gen ist das Kon­kur­renz­prin­zip ein­ge­führt.

Begrün­det wird die­se Kom­mer­zia­li­sie­rung über­all mit den glei­chen ideo­lo­gi­schen For­meln: Es gebe eine Kos­ten­ex­plo­si­on durch den so genann­ten medi­zi­ni­schen Fort­schritt, die Über­al­te­rung der Bevöl­ke­rung aber auch durch die gestie­ge­ne Anspruchs­hal­tung der Bevöl­ke­rung. Ange­sichts knap­per Res­sour­cen der öffent­li­chen Hand sei­en Ein­spa­run­gen not­wen­dig und die­se am bes­ten durch mehr Wett­be­werb und Pri­va­ti­sie­rung zu errei­chen.

Tat­sa­che aber ist: Je mehr pri­va­ti­siert wird, umso mehr hän­gen Zugang und gute Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung vom eige­nen Ein­kom­men ab. Je mehr pri­va­ti­siert wird, umso teu­rer wird ein Gesund­heits­we­sen – ohne dass die Lebens­er­war­tung und der Gesund­heits­zu­stand der Bevöl­ke­rung bes­ser ist als anders­wo (sie­he USA). Und: Je mehr pri­va­ti­siert wird, umso büro­kra­ti­scher wird ein Sys­tem, denn nur was doku­men­tiert wird, wird im Wett­be­werb auch bezahlt.

Das ist nicht unse­re Vor­stel­lung von einer huma­nen Gesell­schaft. Die Huma­ni­tät einer Gesell­schaft zeigt sich an der Soli­da­ri­tät mit ihren schwächs­ten Mit­glie­dern.

Kran­ken­häu­ser sind kei­ne Pati­en­ten­fa­bri­ken!

Die Kom­mer­zia­li­sie­rung hat unak­zep­ta­ble Kon­se­quen­zen für Pati­en­tIn­nen und Beschäf­tig­te im Gesund­heits­we­sen. Sie führt zu Über‑, Unter- und Fehl­ver­sor­gung und damit zu ver­meid­ba­rem Lei­den. In Län­dern, in denen die Öko­no­mi­sie­rung schon weit fort­ge­schrit­ten ist, führt sie dazu, dass häu­fig nicht medi­zi­nisch indi­zier­te Leis­tun­gen erbracht wer­den,  da aus betriebs­wirt­schaft­li­chen Grün­den neue „Geschäfts­fel­der“ erschlos­sen wer­den müs­sen. Das geht so weit, dass Krank­hei­ten für die­sen Zweck regel­recht erfun­den wer­den. Gleich­zei­tig wird zur Rea­li­sie­rung von Pro­fi­ten immer mehr Per­so­nal abge­baut. Dies führt bei einer extre­men Arbeits­ver­dich­tung für die Beschäf­tig­ten zu einer schlech­te­ren Ver­sor­gung für die Pati­en­tIn­nen. Die Öko­no­mi­sie­rung selek­tiert Pati­en­ten in lukra­ti­ve und weni­ger lukra­ti­ve Pati­en­tIn­nen, die unter­schied­lich behan­delt wer­den. Dies wider­spricht den Grund­sät­zen der Huma­ni­tät und unse­rem Berufs­ethos.

Als Health Pro­fes­sio­nals spre­chen wir uns gegen die Öko­no­mi­sie­rung und die Pri­va­ti­sie­rung des Gesund­heits­we­sens aus. Statt­des­sen for­dern wir:

  • einen glei­chen Zugang zu medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung für alle
  • qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Ver­sor­gung für alle – ohne Anse­hen der Per­son
  • eine soli­da­ri­sche und gerech­te Finan­zie­rung des Gesund­heits­we­sens
  • aus­rei­chen­des, gut aus­ge­bil­de­tes und ordent­lich bezahl­tes Per­so­nal im Gesund­heits­we­sen (mit gesetz­li­cher Rege­lung eines ver­bind­li­chen Per­so­nal­schlüs­sels)

Wir for­dern die Bevöl­ke­rung, Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten auf, sich mit uns für die­se Zie­le ein­zu­set­zen. Wir for­dern die ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker auf, den Zug der Öko­no­mi­sie­rung und Kom­mer­zia­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens zu stop­pen und zur Umkehr zu zwin­gen!

Unter­zeich­ner (01.10.2012)

V.i.S.d.P.: Dr. Nad­ja Rako­witz, Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te, Kant­str. 10, 63477 Main­tal, info@vdaeae.de        www.vdaeae.de



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