In einer tumultartigen Sitzung hat sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am 1.9. für Kampfmaßnahmen gegen die Festsetzung des Orientierungswertes durch den erweiterten Bewertungsausschuss ausgesprochen. Der Orientierungswert ist eine Rechengröße, die den durchschnittlichen Aufwand für den in vertragsärztlichen Praxen erbrachten Aufwand in Form von Punkten abbilden soll. Der Preis der ärztlichen Leistung ergibt sich aus der Anzahl der dieser Leistung zugeordneten Punkte. Dieser Wert ist ein pseudoobjektive Richtgröße, der sicher nicht die Kostenstruktur einer individuellen Praxis abbildet. Der Streit entbrannte also „nur“ an der Berechnung der Unkosten der in den Praxen erbrachten Leistungen. Sicher haben auch die Kassen im Vorfeld der Verhandlungen einiges Öl ins Feuer gegossen. Der Orientierungswert wurde an Hand vorgelegter Berechnungen vom erweiterten Bewertungsausschuss festgelegt. Der unabhängige Vorsitzende gab hier den Ausschlag.
Der vdää hält es für unsinnig, bei dieser Rechenformel von einem „Krieg der Kassen gegen uns Ärzte“ zu sprechen. Wenn auf der KBV-Versammlung unter Jubel der Anwesenden davon gesprochen werden konnte, dass die „Kassen eine Kassenräterepublik mit Spitzelmentalität (planten)“ und es angeblich „um die Machtfrage in diesem Land“ gehe, so ist eine derartige Diskussion absurd und bestätigt nur das schlechte Image der Ärzteschaft in der Öffentlichkeit. Es geht hier auch nicht „um grundsätzliche Fragen der ärztlichen Berufsausübung“, wie der Bundesärztekammervorsitzende Montgomery meint, sondern schlichtweg um eine Berechnung der Praxisunkosten. Dieser Beschluss kann vom zuständigen Minister geprüft und aufgehoben oder vom Sozialgericht angezweifelt werden. Kein Grund zum Geschrei in aller Öffentlichkeit. Außerdem sollte im zweiten Teil der Verhandlungen am Montag über die Anzahl der zu vergütenden Leistungen, also letztlich über die Höhe des Einkommens, verhandelt werden. Diesen Termin haben die Kassenärzte platzen lassen.
Völlig unangemessen ist die öffentlich vorgebrachte Forderung nach einem „Ärztestreik“. Ein Streik ist eine Auseinandersetzung von abhängig Beschäftigten mit ihrem Arbeitgeber. Ärztekammerpräsident Montgomery stellte noch am 26.6., als es um die Bestechlichkeit von Ärzten ging, fest, „dass Ärzte nicht Beamte oder angestelltenähnliche Amtsträger von Krankenkassen seien“. Jetzt soll aber gegen den Arbeitgeber Krankenkasse gestreikt werden! Bemerkenswert auch, dass die Kassenärzte, die nicht müde werden, ihre Selbstständigkeit als „freier“ Beruf zu betonen, jetzt schon noch während der Verhandlungen nach staatlichem Eingriff durch den Gesundheitsminister rufen.
Ein solcher „Streik“, bzw. solche Praxis-Schließungen, würden die Honar-Auseinandersetzungen der Vertragsärzte auf dem Rücken der Patienten austragen. Nur sie sind die Leidtragenden eines Streiks, die Kassen dagegen sparen noch Honorare während der Streikzeit. Die angedrohten Kampfmaßnahmen sind nichts als Arbeitsverweigerung, die Öffentlichkeit und Politik unter Druck setzen soll. Deshalb spricht sich der vdää ganz entschieden gegen Praxisschließungen oder ähnliche Kampfmaßnahmen der Kassenärzte aus.
Im Bewertungsausschuss hatten die Ärzte anscheinend die schlechteren Zahlen vorgelegt, die Kassen waren wohl besser gerüstet und es kam zu einem Kompromiss, der den Kassenärzten nicht schmeckte. Wenn die Argumente ausgehen, setzen Geschrei und Polemik ein. Nicht die Kassen, sondern die Kassenärzteschaft hat mit der tumultartigen Veranstaltung die „rote Linie“ überschritten. Das ist peinlich für die gesamte Ärzteschaft.
Prof. Dr. Wulf Dietrich
Dr. Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser
(Vorstand des vdää)