Mani­fest der soli­da­ri­schen Ärz­te in Frank­reich

Mani­fest der soli­da­ri­schen Ärz­te

Als Ärz­te sind wir damit betraut, die Krank­hei­ten unse­rer Pati­en­ten zu behan­deln, zu dia­gnos­ti­zie­ren, zu ver­hü­ten; wir kön­nen nicht indif­fe­rent blei­ben gegen­über dem Anstieg der Maß­nah­men, die den Zugang zur kos­ten­lo­sen Ver­sor­gung ein­schrän­ken und die sozia­le Sicher­heit pri­va­ti­sie­ren.

Wir leh­nen die immer wie­der­keh­ren­de ideo­lo­gi­sche Kam­pa­gne ab:

Wir leh­nen es ab, den Anstieg der Kos­ten für Gesund­heit in einem der reichs­ten Län­der der Welt zu bekla­gen. Fort­schrit­te in der Medi­zin­tech­nik wie in der Chir­ur­gie sind ein Merk­mal der Zivi­li­sa­ti­on und sol­len für Alle zugäng­lich sein. Weit ent­fernt, die­se Ent­wick­lung posi­tiv zu wür­di­gen, lie­fert die Obrig­keit unter dem Vor­wand des Anstiegs der Gesund­heits­aus­ga­ben das Soli­dar­sys­tem den pri­va­ten Ver­si­che­run­gen aus.

Wir leh­nen die Ana­ly­se ab, dass das Defi­zit der Sozi­al­ver­si­che­rung vor allem auf die Mehr­aus­ga­ben und nicht auf die Res­sour­cen­knapp­heit zurück­zu­füh­ren sei, die, wie all­seits bekannt, mit dem Rück­gang der Mas­sen­ein­kom­men – was die Ungleich­heit noch ver­schärft – und den unbe­zahl­ten Schul­den zusam­men­hängt.

Wir sind empört über die ideo­lo­gi­sche Kam­pa­gne der Schuld­zu­wei­sung an die Ärz­te und die Kran­ken, denen man zu hohe Aus­ga­ben, man­geln­de Risi­ko­be­reit­schaft, Frei­bier­men­ta­li­tät und auf­wän­di­ge Unter­su­chun­gen vor­wirft, obwohl der Ver­zicht auf medi­zi­ni­sche Leis­tun­gen mas­siv zunimmt.

Wir sind gegen die Maß­nah­men, die «Über­tra­gung von Ver­ant­wor­tung» (Eigen­ver­ant­wor­tung) genannt wer­den, die sich aus dem oben genann­ten erge­ben und ver­mehrt dazu füh­ren, dass Jeder für sei­ne Ver­sor­gung indi­vi­du­ell bezah­len muss.

Wir pran­gern die sozia­le Kon­trol­le der Bevöl­ke­rung an: Die Kran­ken­ver­si­che­rungs­kar­te erlaubt eine schnel­le­re Rück­erstat­tun­gen der Kos­ten, dient aber auch dazu, die­se zu indi­vi­dua­li­sie­ren und zu ver­schlei­ern. Das Foto des Kran­ken ver­wan­delt ihn in den Augen der Ver­sor­ger in einen poten­ti­el­len Betrü­ger. Wir wei­sen die­se Ver­un­glimp­fung zurück. Wir ver­sor­gen Men­schen, denen wir respekt­voll begeg­nen die aber ein­ge­zwängt sind in eine gewinn­ori­en­tier­te und unglei­che Gesell­schaft. Wir leh­nen es ab, dass die Kran­ken­ver­si­che­rungs­kar­te ein Instru­ment für ein medi­zi­ni­sches Regis­ter der Bevöl­ke­rung wird, eine unmit­tel­ba­re Gefahr für unse­re Frei­hei­ten.

Wir pro­tes­tie­ren gegen die maß­lo­se Macht, den auto­ri­tä­ren Cha­rak­ter der Füh­rungs­spit­zen der Sozi­al­ver­si­che­rung und der regio­na­len Gesund­heits­äm­ter, deren gemein­sa­mes Cha­rak­te­ris­ti­kum dar­in besteht, dass sie nicht von der Bevöl­ke­rung demo­kra­tisch gewählt wur­den.

Im Namen einer ren­ta­blen Gestal­tung der Medi­zin, auf die die Prin­zi­pi­en der Pri­vat­wirt­schaft über­tra­gen wer­den,

  • för­dern die Füh­rungs­spit­zen der Sozi­al­ver­si­che­rung die Pra­xis des Über­schrei­tens der Gebüh­ren­ord­nung (Ärz­te neh­men für eine Leis­tung mehr, als die Kas­se dem Pati­en­ten dann zurück­er­stat­tet, NR), die das Prin­zip der regu­lä­ren und ega­li­tä­ren Kos­ten­rück­erstat­tung im Rah­men des gesetz­li­chen Leis­tungs­ka­ta­logs zer­stört;
  • ver­lan­gen sie von Ärz­ten und Pfle­ge­kräf­ten, bei der Ein­schrän­kung des Zugangs zu medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung mit­zu­wir­ken, so wenig wie mög­lich erstatt­ba­re Medi­ka­men­te zu ver­schrei­ben, Unter­su­chun­gen anzu­ord­nen und Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen aus­zu­stel­len;
  • wäh­rend sie immer noch öffent­li­che Kran­ken­häu­ser schlie­ßen, die damit für die Pati­en­ten in grö­ße­re Ent­fer­nung rücken, drü­cken sie dort eine „Fließband“-Arbeit beim Per­so­nal durch, das dann ver­su­chen muss, die Lücken in der Ver­sor­gung und der mensch­li­chen Betreu­ung der Kran­ken mit sei­ner Selbst­lo­sig­keit zu kom­pen­sie­ren.

Wir leh­nen die Bevor­mun­dung der Ärz­te und der Pfle­ge­kräf­te ab, die belohnt oder bestraft, sogar bewer­tet wer­den, in Kon­kur­renz zuein­an­der gesetzt, um Ren­ta­bi­li­täts­zie­le zu erfül­len, die auch noch „gute medi­zi­ni­sche Pra­xis“ genannt wer­den.

Wir sind zutiefst ver­pflich­tet

  • dem Prin­zip einer Medi­zin von hoher Qua­li­tät, für Alle gleich, und einer soli­da­ri­schen Sozi­al­ver­si­che­rung;
  • einem not­wen­di­gen Ver­trau­en in die Qua­li­tät der Ver­sor­gung, das davon bedroht wird, dass die Gesund­heit der Men­schen der wirt­schaft­li­chen Pro­spe­ri­tät der Gesund­heits­bran­che und der sozia­len Siche­rungs­sys­te­me gegen­über­ge­stellt wird;
  • der Mög­lich­keit, die Kran­ken nach bes­tem Wis­sen und Gewis­sen zu ver­sor­gen;

Wir erklä­ren, dass wir uns den Vor­schrif­ten wider­set­zen wol­len, die den Zugang zu medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung erschwe­ren.

Dezem­ber 2010

(Der Text ist im Ori­gi­nal zu fin­den unter: http://www.petitions24.net/manifeste_des_medecins_solidaires,

Über­set­zung aus dem Fran­zö­si­schen: Nad­ja Rakowitz/Line Wag­ner)

 



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